Jón Gnarr: "Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!"

Wie ich einmal Bürgermeister wurde und die Welt veränderte


Wie einer auszog, die etablierten Parteien und Politiker das Fürchten zu lehren

Jón Gnarr war, bevor er zu seiner eigenen Überraschung im Jahr 2010 Bürgermeister der isländischen Hauptstadt Reykjavík wurde, unter anderem Komödiant und Taxifahrer. Er galt als Kind als etwas zurückgeblieben und besuchte eine Sonderschule. Seine erstaunliche Geschichte erzählt er in "Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!" - übrigens der Satz, der ihm aus einem Audio-Deutschlehrgang am besten in Erinnerung geblieben ist, und der sich, wie er meint, durchaus auch für andere Lebenslagen eignet.

Als Jón Gnarr mit einigen Freunden die "Beste Partei" gründet, ist er von der Politik enttäuscht. Island befindet sich in einer massiven Finanzkrise, und diejenigen, die diese verursacht haben, sitzen weiterhin auf einflussreichen Posten. Sie machen Politik, jedoch nicht für die Menschen der Stadt und des Landes, sondern offensichtlich vor allem im Sinne ihrer persönlichen Interessen.

Anders als die anderen Unzufriedenen beschließt Jón Gnarr, sich nicht damit abzufinden. So entsteht die "Beste Partei". Sie stellt Forderungen auf wie jene, dass der Schwimmbadbesuch inklusive Handtüchern kostenlos sein solle, und dass Korruption künftig nur noch offen betrieben werden solle. Am Anfang bewegen sich die Umfragewerte bei unter einem Prozent. Kurz vor der Wahl schießen sie nach oben: Die Gruppe aus Künstlern mit Gnarr an der Spitze ist plötzlich stärkste Partei - und wird es bei der Wahl auch.

Jón Gnarr, den zwischenzeitlich Selbstzweifel überkommen haben, nimmt die Herausforderung an. Er koaliert mit den Sozialisten und zieht als Bürgermeister ins Rathaus ein. Und er erkennt, dass der "Job", den er angetreten hat, zwar fordernd und schwierig ist, aber erlernbar wie jeder andere auch.

Zwar versuchen die etablierten Parteien, vor allem die Konservativen, ihn mit allen Mitteln als unfähigen "Clown" zu diskreditieren. Doch Jón Gnarr tut seine Arbeit, verzeichnet einige Fehler, aber auch Erfolge, und das mit Humor, etwas Anarchismus und surrealen Anklängen.

In seinem Buch erzählt Gnarr die Geschichte seiner nicht sonderlich glücklichen Kindheit und Jugend, seinen ungewöhnlichen Werdegang und vor allem von der oben umrissenen Parteigründung, Kandidatur, erfolgreichen Wahl und Arbeit als Reykjavíks Bürgermeister. Ganz offen zeigt er auf, wie er mit Quatsch und Unfug, Dada und Surrealem die Wahl gewann, wobei anklingt, dass Gnarr ein sehr genaues Gespür dafür hat, wo die Grenzen der Komödie liegen: Er kann auch "auf seriös machen", und vor allem ist er bereit, etwas zu tun, von anderen zu lernen und das Gelernte unmittelbar umzusetzen, ohne sich um Lobbyinteressen zu kümmern. Es zählen der gesunde Menschenverstand und der Einsatz für zurückgesetzte, unterprivilegierte Menschen, zusammen mit dem Spaß an der Politik.

Dementsprechend macht es auch Spaß, die in lockerem, unterhaltsamem Stil verfasste, durchaus ziemlich verrückte Geschichte des sympathischen Quereinsteigers zu lesen. Sie hat sehr viel Charme und enthält Herzblut, vor allem jedoch belegt sie, dass es möglich ist, den alteingesessenen politischen Cliquen in die Parade zu fahren, ohne schmuddelig im Privatleben Einzelner zu graben (was seine Gegner wiederum ihm gegenüber ausgiebig versuchten). Der Komödiant zeigt auf, dass gerade die etablierten Mächtigen im Grunde eine sehr schmierige Komödie vor den Augen der Steuerzahler aufführen. Indem er scheinbar sich vor ihnen als Clown gibt, entlarvt er sie als Witzfiguren.

Vor allem aber macht das Buch Mut, nicht nur zu jammern und zu klagen, sondern die missliebigen Dinge selbst anzupacken und etwas zu bewegen. Am Fehlen dieses Engagements kranken heutige Gesellschaften, wie auch Gnarr meint. Eine Möglichkeit, wie man es vollbringen kann, präsentiert er in seinem exzellenten Buch, das jeden nicht zu engstirnigen Politikinteressierten zu fesseln vermag.

(Regina Károlyi; 02/2014)


Jón Gnarr: "Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!
Wie ich einmal Bürgermeister wurde und die Welt veränderte"

Aus dem Isländischen von Betty Wahl.
Tropen bei Klett-Cotta, 2014. 175 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Digitalbuch bei amazon.de bestellen

Ein weiteres Buch des Autors:

"Indianer und Pirat. Kindheit eines begabten Störenfrieds"

Der kleine Jón hasst die Schule. Denn er hasst es, sich irgendwo einordnen zu müssen. Schließlich ist er Anarchist und Punk. Dafür sticht er sich sogar eine Sicherheitsnadel durchs Ohr und gründet die erste Punkband Islands. Der große Jón ist Bürgermeister der Hauptstadt Islands und setzt eine Schulreform durch ...
Im ersten Teil seiner Autobiografie schildert Jón Gnarr eine Kindheit im Ausnahmezustand: seine Probleme mit dem Schulsystem, das schwierige Verhältnis zu seinen überforderten Eltern und die aufkeimende Liebe für die Ideen des Anarchismus - klar, dass der junge Jón überall aneckt und sich auch viele Feinde macht. Doch der Störenfried entdeckt bei den Kämpfen gegen eine wenig tolerante Mitwelt auch die Ideale, für die er später als Politiker kämpfen wird: Gewaltlosigkeit und vor allem: die Dinge nicht so ernst zu nehmen. Mit viel Herzenswärme und beeindruckender Offenheit erzählt Jón Gnarr von seiner schwierigen Kindheit und macht damit Eltern und Jugendlichen Mut. Denn auch ohne Schulabschluss kann man auf dem Bürgermeistersessel einer Hauptstadt landen. (Tropen bei Klett-Cotta)
Buch bei amazon.de bestellen