Leseprobe:

(...) Die Glöcknerin kam durch das Mondlicht vom See zurück. Mit nassen, tropfenden Locken, nur in ihre weiße Chemise gewickelt. Ganz tief schlief Clagenfurth in diesen Tagen.
   Sie huschte von der Seegrabenallee über die Villacher Gasse, sandte den schlafenden Tauben des Ursulinenklosters einen Gruß und begab sich im Schatten der Häuser über den Alten Platz und die Obere Jesuitengasse zur Jesuitenkirche. Manchmal rannen die Tropfen ihres nassen Haares auf ihre bloßen Füße und kitzelten ihre Zehen. Darüber lächelte sie.
   Beim Aufstieg in den Turm rutschte die Chemise bis zu den Hüften hinab, sie ließ es geschehen. Es war ihr nicht hinderlich, denn ihre Füße berührten die Stufen nicht.
  Im Glockenraum kam sie nun an.
   Sie war nackt. Sonthon lag wie ein unschuldiges, völlig ausgeliefertes Opfer unter der großen Glocke, unter der Mutter. Seine Anwesenheit konnte sie spüren. Sie ging in die Hocke, direkt oben an seinem Kopf, und die Pracht ihrer Locken fiel auf ihn, als sie sich vorbeugte, um an ihm zu riechen.
   Da erwachte er durch ihren Duft. Sie ... da war sie.
   Es ging in ein Ganzes über. Sein Aufwachen, diese Frau vom Mondlicht beschienen, wie eine Lichtgestalt. Er hob seinen Kopf und wurde betäubt von dem Geruch ihres nassen Haares.
   Sie sprachen nicht.
   Sie brauchten nichts zu sagen.
   Die Glöcknerin roch die verräterischen Spuren, nahm die Witterung des heißen Schwalles auf, der ihn anschließend hatte einschlafen lassen, einsam, voll Schmerz und Verzeiflung.
   Sie erhoben sich, ihre Hände suchten einander und lernten sich kennen und halten.
   Er lehnte an dem stärksten, breitesten Balken, dem, der die tragende Stütze des Glockengehänges war. Er lehnte da jetzt und fühlte sich ebenso gestützt wie von einem zähen Zedernbaum in einem nächtlichen Park, von rosa und weißem Oleander umgeben.
   Sie waren in einem blühenden Garten angelangt, und er brachte diesen Garten gemeinsam mit ihr zum Blühen.
   Ihr Kopf verschwand unter seinem Gewand und sie hub an, ihm das Hohelied der Liebe beizubringen. Es war ein Lied, das sie beide erhöhte und wie ein Licht strahlte.
   Ausgeliefert an seine wilden Empfindungen, presste er seinen Rücken an den Balken und gab sich ihr hin. Seine Hände suchten sie, aber sie war gänzlich unter dem Talar verborgen.
   Er spürte ihre Locken und ihren Mund, überall in dem Bereich der Versuchung hatte sie ihn getroffen. Alles, was an Wünschen hätte offen sein können, erfüllte sie jetzt.
   Sie trank ihn aus. Vom Grunde seiner Seele trank sie aus ihm.
   Legte ihm ein blutiges Armband um, dessen Anwesenheit nur er sehen und fühlen konnte.
   Als sie wieder hervorkam, waren ihre Lippen voll und feucht und glänzten wie Silber im Mondenschein.
   Sie nahm seine suchenden Hände und strebte der Luke zu. Und sie stiegen auf.
   Sie ging voraus. Nie zuvor war ein Mann in der Laterne gewesen.
   Ihr Geruch betörte seine Sinne, und wie in ein Aphrodisiakum getränkt, steuerten sie weiter aufeinander zu. Unaufhaltsam, wie ein im All sich bewegendes Gestirn geradewegs auf die Sonne zusteuert.
   Der Aufstieg durch den Turm geschah in völliger Dunkelheit. Bei jedem Schritt auf den brüchigen Sprossen tasteten seine Hände ihren Körper. Ihre Fesseln fühlten sich zart an und waren flink.
   Die weichen Kniekehlen versprachen seinen darüberstreichelnden Fingern Mulden um Samt und Seide. Wenn sie innehielt, um auf ihn zu warten, berührte sein Haupt manchmal unversehens die Nacktheit ihrer Scham, was ihn noch mehr verwirrte. Dann seufzte sie hilflos. Denn auch sie hatte den Harnisch der Scheu längst abgelegt und fieberte ihm voraus und entgegen.
   Oben in der Laterne angekommen, befreite er sich jeglicher Kleidung und sie benutzten sie als Liegedecke auf den Holzbrettern.
   Sie flüsterten sich die Liebe in das willige Ohr der Hörigen.
   Jener, deren Augen verfallen im Anblick des geliebten Gesichts.
   Jener, die es nicht leugnen werden können. Die es eine Zeit lang versuchen, ja das schon - es aber schlussendlich nicht leugnen würden können ...
   So geschah es, dass sie einwilligten, sich alles zu geben, was ihre Leiber voneinander forderten, um es ihren Herzen wie ein Brandmal aufzuerlegen.
   So zog sie ihn zu sich wie der Sog eines sinkenden Schiffes, stülpte sich über ihn, schützend wie die große Glocke, die Mutter. Er mochte dieses Spiel, so wie sie da auf ihm saß, und er bewegte sich nicht und sie bewegte sich nicht. Sie bearbeitete seine ihr so wohltuende Männlichkeit nur mit den Muskeln, tief in ihr. Bald glaubte er, den Genuss nicht mehr ertragen zu können und ergoss seine Begierde in sie. Langsam beruhigte sie ihn, kühlte ihn mit ihrem Atem, der wie aus einer anderen Welt zu kommen schien. Umspielte seinen glänzenden, stolzen Speer mit ihrer weichen Zunge, bis er der Sehnsucht, wieder in sie einzudringen, nicht wiederstehen konnte. Er ließ sie nicht betteln darum, aber sie flehte dennoch um ihn, nur um ihn allein. Bis er sich wieder und wieder in ihre Breitbeinigkeit fallen ließ, bis sie ihn mit dem sanften Wiegen ihrer Hüften einkreiste und ihre Schenkel in herausforderndem Takt auf seine Seiten klatschten.
(...)


aus:
"Die Glöcknerin"
Roman. Hermagoras Mohorjeva, 2000.
178 Seiten. ISBN 3-85013-712-0.

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