Georg Stefan Troller: "Dichter und Bohemiens"

Literarische Streifzüge durch Paris


Troller führt durch Paris, die Stadt der Bohème

Wohl kaum eine andere Stadt hat in den letzten - sagen wir einmal - 500 Jahren mehr Schriftsteller geboren und beherbergt als Paris. Paris bei Pontoise, wie François Villon dem Galgen nah im Zorn dichtete, was aus dem ansonsten so begnadeten Schandmaul einen seltsam missratenen Beleidigungsversuch darstellt, der vollends zum versteckten Kompliment gerät, wenn man weiß, dass Villon die Todesangst erspart geblieben wäre, hätte er sich nur an den Spruch des Gerichts gehalten, welches in zunächst scheinbar mildem Urteil über ihn nichts anderes als die Verbannung eben aus Paris verhängt hatte.

Aus Anekdoten wie dieser besteht das vorliegende Buch, und wenn es sich dabei auf Dichter, Schriftsteller und Bohemiens beschränkt, so in erster Linie deshalb, weil die Fülle an Material, die man über berühmte Persönlichkeiten (oder auch nur Künstler) an verschiedenen Pariser Örtlichkeiten zusammentragen könnte, jeden Rahmen sprengen würde. Um also nur das Allerwichtigste und Kurioseste dazu zu erzählen, welche Autoren in welcher Straße gewohnt haben, in welchen Cafés aneinandergeraten sind und an welchen Plätzen zur Revolution aufgerufen haben (und dabei den Faden nicht zu verlieren), teilt Georg Stefan Troller Paris in 7 Teile und das Buch in 7 gleichnamige Kapitel (Längs der Seine, Das Quartier Latin, Saint-Germain-des-Prés, Der Montparnasse, Der Marais, Der Westen, Der Montmartre) ein und durchforstet im folgenden jeden einzelnen Part systematisch nach den gesuchten literarischen Bezügen. Dieses Vorgehen bringt neben der nötigen Strukturierung auch den Vorteil mit sich, dass der Autor innerhalb der Stadtviertel die Zügel frei schießen, sich und den Leser führen lassen kann, wohin die freie Assoziation ihn trägt. So plaudert er beschwingt und in wohlgeformten Sätzen über einheimische Giganten wie Beaumarchais, Balzac, Baudelaire, Breton und Beauvoir, über nicht weniger berühmte der Pariser Gastfreundschaft verpflichtete Ausländer wie Samuel Beckett und Walter Benjamin (um nur einige der wichtigsten Namen zu erwähnen), fördert dabei neben manchen bekannten Geschichten auch viele unbekannte Perlen zutage und riskiert en passant auch die eine oder andere Bewertung.
Den Ursprung des 1851 erstmals verbrieften Begriffs der Bohème etwa macht der Autor auf der Insel Saint Louis aus, wo Charles Baudelaire 1843-45 im Privathotel Lauzun (Quai d'Anjou 17) wohnte und, während er begann, seine Blumen des Bösen zu gießen, zweimal die Woche zusammen mit seinem lieben Nachbarn und Kollegen Théophile Gautier im neugegründeten "Klub der Haschischjünger" interessierte Gäste, sofern diese ein scharfes Wort zu führen wussten und keine Frauen waren, was beispielsweise auf Victor Hugo, Honoré de Balzac und Alfred de Musset zutraf, empfing.

240 Seiten sind ein vernünftiger Umfang für ein derartiges Thema, so bietet das Buch viele interessante Detailinformationen und bleibt dabei ein kurzweiliges Lesevergnügen. Und der Wunsch, sich bald wieder und mit neuem Augenmerk in die Seinemetropole zu begeben, wird nach seiner Lektüre mit Sicherheit nicht kleiner geworden sein.

(fritz; 05/2003)


Georg Stefan Troller: "Dichter und Bohemiens. Literarische Streifzüge durch Paris"
Artemis & Winkler, 2003. 240 Seiten.
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