David Lodge:

 

"Ginger, You're Barmy"

 

"Out of the Shelter"

"Small World"


"Ginger, You're Barmy" ist erstmals 1962 erschienen, direkt nach Mr. Lodges eigener Zeit im National Service, einer Einrichtung, vergleichbar mit der Bundeswehr, die allerdings heute in Großbritannien nicht mehr existiert.

Jonathan Browne - der Icherzähler dieses Romans - hat gerade seinen BA gemacht und begibt sich nun auf die Reise zu seinem Regiment, in dem er die nächsten zwei Jahre seinem Land dienen soll. Wie bei den meisten Wehrpflichtigen wird diese Zeit für ihn mit allerlei überflüssiger Routine angefüllt sein, ein Faktum, das diesen Roman vom Anfang bis zum Ende durchzieht und den Leserinnen und Lesern, die es nicht bemerkt haben sollten, im Anhang durch den Autoren selbst noch einmal verdeutlicht wird. Die Erzählung selbst ist ein Wechsel zwischen der ersten und der letzten Dienst-Woche des Erzählers, der vom Kennenlernen der Kameraden, der Grundausbildung, den Schikanen der Ausbilder und dem teilweise gehirnerweichenden Traditionsgemisch der einzelnen Regimenter erzählt. Dies wird kontrastiert durch die Erzählung der Abenteuer von Mike "Ginger" Brady, einem jungen Iren, der sich immer wieder aktiv gegen die Befehlsstrukturen auflehnt, schließlich desertiert und im Zuge einer RAF-Attacke auf das Waffendepot, das der Erzähler am Ende der Geschichte zu bewachen hat, wieder auftaucht. Dieser Mike ist zu Beginn der Erzählung mit einer jungen Dame namens Pauline zusammen, die sich allerdings nach einiger Zeit mehr auf den Erzähler konzentriert, den sie schließlich auch heiratet.

Mike und Jonathan sind zwei Seiten einer Medaille, d.h. sie stehen beide für Aspekte des Autors selbst, der sich gerade mit der Person des Erzählers professionell vor dem Werk von Graham Greene verneigt.

Das Leben ist selten erfüllt von wirklichem Drama, und für die meisten Wehrpflichtigen ist die Dienstzeit eine mehr oder weniger verlorene Zeit in ihrem Leben, bzw. eine willkommene Warteschleife, in der sie entscheiden können, was sie mit ihrem weiteren Leben machen wollen. Dieses Faktum ist in diesem Roman erstklassig wiedergegeben, und jeder, der darüber nachdenkt, ob er diesen Dienst leisten oder seine Zeit lieber produktiveren Dingen zuwenden möchte, sollte ihn dringend lesen. Außer in Kriegszeiten sind die Männerfreundschaften beim Militär doch eher hehre Augenauswischereien, die eine eigentlich nutzlos vertane Zeit mit einer Form von moralischem Sinn füllen sollen und darum auch meist am Ende dieser Zeit weitestgehend inhaltslos. Wer mal auf einem Kameradschaftstreffen war, weiß, wovon ich rede.

Guter Realismus ist aber nicht notwendigerweise gutes Drama und macht darum auch nicht notwendigerweise einen interessanten Roman. Wer also Spannung und "Action" auf diesen Buchseiten sucht, der wird bitter enttäuscht sein. Wer hingegen die bittere Wahrheit über das Leben eines Wehrpflichtigen ohne Ziel kennen lernen möchte - Personen, die aus Gründen der Berufsvorbereitung und -planung daran teilnehmen, seien hier bewusst ausgenommen - der wird hier genau das bekommen, was er bestellt hat. Wobei ich nicht versprechen kann, dass es ihm dann auch schmeckt.

 

"Out of the Shelter"

Für uns Deutsche ist die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit in der Regel mit der Rolle Deutschlands, dem Wiederaufbau und dem Holocaust verknüpft. Wenn wir uns andere Länder in diesem Zusammenhang anschauen - so weit wir dazu nach der Schulzeit noch Lust verspüren - dann richtet sich unser Blick meist in den Osten Europas, was vor dem Hintergrund der Geschichte auch einen gewissen Sinn macht. Wie aber hat ein junger Mensch in London diese Zeit erlebt?

Timothy ist zu Beginn dieses Romans noch sehr jung und lebt in London. Sein Vater arbeitet als Luftschutzwart, und bei jedem deutschen Bomberangriff begibt sich die Familie in den Luftschutzbunker ihrer Nachbarn, wo Timothy mit Jill, der Tochter der Familie, erste zarte Bande der Liebe knüpft. Jills Vater ist Pilot der Royal Air Force. Mit der Zeit hat sich in den Schrecken der Bombenangriffe eine gewisse Routine eingeschlichen, und die Mütter der beiden Familien stricken und unterhalten sich, während ihre Kinder in ihren Notbetten miteinander kuscheln. Doch dann, bei einem Beinahtreffer des Bunkers, werden Jill und ihr Vater getötet und Timothys Mutter beschließt, ihn auf dem Land in Sicherheit zu bringen. Hier - in einer Konventschule - ist er allerdings sehr unglücklich, und beim ersten Besuch seiner Mutter gelingt es ihm sie zu überreden, ihn wieder mit nach London zu nehmen. Bald beginnt für ihn die Schulzeit, und er zeichnet sich in verschiedenen Bereichen aus, während der Krieg um ihn herum langsam zu Ende geht und die Zeit der Rationierung in England beginnt. Seine ältere Schwester, Kath, die bereits vor einigen Jahren angefangen hat, für die Amerikaner zu arbeiten, hat Großbritannien verlassen und ist seit Jahren nicht mehr wiedergekehrt. So ist Timothy relativ überrascht, als er eines Tages von ihr nach Heidelberg eingeladen wird um dort nach dem Abschluss seiner schulischen Laufbahn und vor dem Erhalt seiner Prüfungsergebnisse einige Wochen Urlaub zu machen.

Voller Nervosität begibt er sich in das Land, das in seiner Kindheit das Land des Bösen gewesen ist um dort seine mittlerweile sehr veränderte Schwester wieder zu treffen. Sehr schnell bemerkt er, dass der durchschnittliche Deutsche gar nicht das Monster ist, das er sich immer vorgestellt hat, und vor allen Dingen, dass der Wiederaufbau Deutschlands wesentlich schneller vorangegangen ist, als der von England, in dem die Zerstörungen durch den Krieg doch um einiges geringer gewesen waren als in Deutschland. Doch bleibt sein Kontakt mit den Deutschen relativ begrenzt, da er durch seine Schwester vorwiegend in den Kreis der amerikanischen Besatzer gezogen wird, die in Deutschland ein sehr gutes und sehr schnelles Leben führen, was ihn überrascht und nach einiger Zeit auch irritiert.

Wie in einem Lodge-Roman nicht anders zu erwarten, geht es auch in diesem Buch - das sehr starke autobiografische Züge hat - wieder um das Entdecken der eigenen Sexualität und den englischen Katholizismus, der in Timothys Familie eine sehr große Rolle spielt. Für den Lodge-Neuling ist dies sicherlich ziemlich amüsant, wer allerdings schon mehrere Romane von ihm gelesen hat, wird diese Bereiche des Romans allerdings etwas repetitiv finden.

Die Kontrastierung der deutschen und englischen Nachkriegserfahrung macht diesen Roman allerdings zu einem überaus interessanten Werk der Literatur, vor allen Dingen, weil hier auch - durch die Brille des englischen Jugendlichen - die amerikanische Besatzung mal von einem ganz anderen Standpunkt aus betrachtet wird, als man dies als Deutscher normalerweise gewohnt ist. Insofern ist dieser Roman eine gute Möglichkeit - auch für Historiker - ihr Bild vom Zweiten Weltkrieg und von der Nachkriegszeit durch eine etwas andere Perspektive zu ergänzen.

 

"Small World"

"Small World" ist die Fortsetzung von "Changing Places" und spielt etwa zehn Jahre nach dem Roman, in dem Philip Swallow und Morris Zapp die Plätze getauscht hatten um an der Universität des jeweils anderen ungeahnte Abenteuer des akademischen Lebens und der Liebe zu erleben. Mittlerweile ist die Welt verändert und zu einem einzigen großen Konferenzzentrum für Akademiker geworden, die sich in aller Herren Länder treffen um sich mehr oder weniger originelle Vorträge ihrer Kolleginnen und Kollegen anzuhören oder selbst zu halten, gut zu essen und - so sich die Situation ergibt - sexuelle Abenteuer miteinander zu erleben.

Die erste Konferenz um die es hier geht spielt auf dem Rummidge Campus, und ihr Initiator ist Philip Swallow selbst, der sich auch zu einem regelmäßigen Reisenden in Sachen academia gemausert hat. Die Unterbringung der Gäste im College und das Essen in der Mensa kann die durch Mehr-Sterne-Hotels und -Restaurants verwöhnten Akademiker aber nicht wirklich begeistern, die sowieso nur in sehr geringer Zahl erschienen sind. Unter ihnen ist auch Morris Zapp, der sich freut, seinen alten Bekannten wieder zu treffen und gleichzeitig sein Redemanuskript für die laufende Saison auszuprobieren. Denn wozu sollte man für jede Konferenz einen eigenen Vortrag schreiben?

Ein weiterer wichtiger Gast auf dieser Konferenz ist Perrse McGarrigle, der Cousin der jungen Bernadette, die zur Zeit von Morris' Aufenthalt in England als eine Art Haussklavin im Hause ihres Onkels gearbeitet hatte, in dem Morris selbst einige Zeit gewohnt hatte. Zusammen mit dem jungen Persse - dessen Namensgleichheit mit Percival mehr als zufällig ist - sucht der gute Morris die ehemalige Stätte seines Wirkens auf, von der aus Persse auf eine weiter reichende Wanderschaft gehen muss.

Ebenfalls auf dieser Konferenz trifft er eine junge Dame namens Angelica Pabst, die ihn zunächst in ein Schlafgemach führt, (wo sie ihn dann allerdings in einer peinlichen Situation zurücklässt), und der er dann um den gesamten Erdball folgt, wobei seine mageren finanziellen Mittel schneller und schneller aufgebraucht werden und er schließlich gezwungen ist, per Anhalter weiterzufliegen. Auf dieser Jagd erlebt er verschiedene Abenteuer, muss zahlreichen Versuchen widerstehen und Rätsel lösen, bis er schließlich die Gesuchte im Rahmen einer Konferenz auf der der vielgeachtete und seit einiger Zeit psychisch bedingt impotente Professor Kingfisher von ihm eine entscheidende Frage gestellt bekommt. Jede Ähnlichkeit mit Wolfram von Eschenbachs "Parzival" ist hierbei vollständig beabsichtigt, was durch die Unschuld des Helden und durch die ständigen Zitate aus romantisch-ritterlicher Literatur noch unterstrichen wird.

Auf der anderen Seite muss es dann natürlich einen Gawain geben, und dieser wird sowohl von Philip als auch von Morris dargestellt. Beide erleben auf ihren Reisen sexuelle Abenteuer, aber auch Entführungen, Gewalttaten und ungeahnte Konkurrenz, die den stillen, unauffälligen Philip Swallow beinahe in die höchstmögliche akademische Position der Welt katapultiert. Diese Handlungsstränge parallel zu der Handlung um Persse zu lesen, bereitet großes Vergnügen. Außerdem hören der Leser und die Leserin noch von den Erlebnissen des Professors Dempsey, der durch Morris' Betreiben zu dessen Zeit in Rummidge bei der Vergabe eines Lehrstuhls hinter Philip zurück treten musste und der sich nun mit computergestützter Textanalyse beschäftigt, einer Arbeit, deren Ergebnis bereits einigen Autoren eine massive Schreibblockade beschert hat. Diese Computerarbeit bringt ihn in den Dunstkreis von ELIZA, einem mehr oder weniger interaktiven Computerprogramm, das er schließlich wie ein Orakel benutzt um die Probleme seines Lebens zu lösen.

Daneben lernt man hier noch einiges über new criticism, Linguistik, Probleme der Übersetzung englischsprachiger Literatur ins Japanische (die Übertragung von Shakespeare-Titeln ins Japanische ist schon fast den Kaufpreis wert; z.B. "Der Kaufmann von Venedig" = "Die seltsame Affäre von dem Fleisch und dem Busen") und natürlich über das Leben der globalen academia an sich. Dabei wird es stellenweise etwas belehrend, denn Mr. Lodge kann seinen eigenen akademischen Hintergrund nur schwerlich verleugnen, aber wer diese kurzen erzählerischen Durststrecken überwindet, wird mit einem durch und durch unterhaltsamen und intellektuell stimulierenden Werk belohnt. Man sollte allerdings beachten, dass die Möglichkeit besteht, dass dieses Amüsement in erster Linie bei anderen Literaturwissenschaftlern geweckt wird, die sich dann auf die Schulter klopfen können dafür, so schlau zu sein, dass sie all diese Anspielungen in diesem Buch verstanden und durchschaut haben. Aber auch davon abgesehen dürfte "Small World" Leserinnen und Lesern einiges an Lesevergnügen bereiten.

(K.-G. Beck; 08/2002)


Bücher (in englischer Sprache) bestellen:
David Lodge: "Ginger, you're barmy"
Penguin Books,1984.
217 Seiten.
ISBN 0-14-006640-3.
ca. EUR 11,92.
Buch bestellen

"Out of the Shelter"
Penguin Books, 1986. 282 Seiten.
ISBN 0-14-008375-8.
ca. EUR 11,92.
Buch bestellen

"Small World"
Penguin Books, 1985. 339 Seiten.
ISBN 0-14-007265-9.
ca. EUR 11,92.
Buch bestellen

hier die Rezension eines weiteren Lodge-Romans