Arne Karsten: "Kleine Geschichte Venedigs"


Mythos und Gegenmythos

Die im Nordosten Italiens an der Adria zwischen den Mündungen von Po und Piav liegende berühmte Lagunenstadt mit über hundert kleinen Inseln, die fast 200 Kanäle durchziehen, allen voran der berühmte Canal Grande, welche mit rund 400 Brücken (u. a. die weltbekannte Rialtobrücke) miteinander verbunden sind, übt auf ihre Besucher alljährlich eine ungewöhnliche und exzeptionelle Faszination aus. Hinzu kommen die architektonische Vielfalt und die immer noch spürbare ehemalige Anhäufung unermesslicher Reichtümer über Jahrhunderte hinweg.

Zu dieser einzigartigen Atmosphäre trägt auch der dazugehörende Lebensstil ihrer Einwohner und die Kunst eines Carpaccio, Bellini, Giorgione und Tizian, eines Tintoretto und Veronese, eines Tiepolo und Guardi bei. Venedig bietet Kunst und Kultur in Hülle und Fülle. Ob Kirchen von der Romanik bis zum Barock, allen voran der Markusdom (San Marco), das einstige Wahrzeichen Venedigs als Stadt und Republik, oder Paläste, als bekanntester wohl der Dogenpalast oder die ihm gegenüberliegende Libreria Vecchia, die Alte Bibliothek, Venedig ist eine einzigartige Ansammlung kulturhistorischer Bauwerke.

Die Stadt mit den vielen Gesichtern lässt einen nicht mehr los, hat man sie einmal gesehen. Sie wirkt oft wie ein Traum und hinterlässt dennoch tiefe Eindrücke. "Keine andere Stadt der Welt hat die Vorstellungskraft der Menschen in vergleichbar intensiver Weise beschäftigt [...]. In mühsamer Arbeit einer lebensfeindlichen Umgebung abgerungen, entwickelte sie sich aus einer bescheidenen Siedlung im Sumpf zu einer europäischen Großmacht", beginnt Arne Karsten seine "Kleine Geschichte Venedigs".

Thema mit Variationen
Trotzdem schon Unzähliges über diese Stadt mit der mystischen Aura, die beinahe auf der Wasseroberfläche zu gleiten scheint, geschrieben wurde, legt der 1969 geborene Wissenschaftliche Mitarbeiter am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität Berlin ein kompaktes Buch vor, das die Geschichte der Lagunenstadt neu aufrollt. Aber gerade die Kompaktheit des qualitativ hochwertigen Bandes, mit vielen zum Teil farbigen Abbildungen, macht seinen besonderen Reiz aus.

"Thema mit Variationen" nennt der Autor die Beschäftigung mit der Geschichte Venedigs und seiner Kunst. "Das Thema, nämlich Ruhm und Herrlichkeit der Serenissima, ändert sich nie; umso größer ist die Fantasie, der Reichtum an Varianten bei seiner Ausgestaltung.
Auf der anderen Seite entwickelte sich der Gegenmythos: Venedig als raub- und raffgieriges Monster, einzig und allein auf den eigenen Vorteil bedacht, jederzeit zu Betrug und Verrat bereit."


Karsten zeichnet kein mystisch verklärtes Bild, sondern rollt in klar strukturierten Kapiteln noch einmal den Werdegang der Serenissima von der spätantiken Siedlung im Sumpf, dem Aufstieg zur Handelsgroßmacht, den Zusammenbrüchen und erneuten Aufstiegen bis zur heutigen existenzbedrohten Touristenmetropole und "Stadt der Verliebten" auf. Hauptaugenmerk hat er auf die ökonomischen und sozialen, politischen und militärischen Bedingungen gelegt, unter denen die einst bedeutendste Handels- und Seemacht des Mittelmeers die noch heute zu bewundernde oder zu erahnende einzigartige Kunstfülle produzieren und jenen legendären Mythos kultivieren konnte.

Dabei arbeitet der Autor aus den retrospektiven Bildern von Geschichte das heraus, was die historischen Quellen als gesichert erscheinen lassen; "wohl wissend, dass es eine objektive Geschichte nicht gibt, weil alle Wahrnehmungen der Vergangenheit an das wahrnehmende Subjekt und seine Interessen gebunden ist."

Fazit:
Auch wenn in derart kompaktem Rahmen größere Zusammenhänge nur knapp skizziert werden und zahlreiche Aspekte eines kulturgeschichtlichen Zeitraums von annähernd 1500 Jahren lediglich gestreift werden können, ist es Arne Karsten in seiner "Kleinen Geschichte Venedigs" gelungen, dem interessierten Leser einen Gesamteindruck von der Geschichte dieser einzigartigen Stadt zu vermitteln. Und das tut er ausgesprochen faktenreich und trotzdem sehr lebendig und lesenswert.

(Heike Geilen; 02/2009)


Arne Karsten: "Kleine Geschichte Venedigs"
C.H. Beck, 2008. 272 Seiten.
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Dank seiner einzigartigen Qualitäten - dem betörenden Zusammenspiel von Licht, Wasser und Atmosphäre - avancierte Venedig im 19. Jahrhundert zu einem magischen "Laboratorium der Wahrnehmung". Wie zahlreiche andere Künstler hielt sich auch Claude Monet in der Lagunenstadt auf und ließ sich während seines Aufenthalts im Herbst 1908 zu seinem berühmten Venedig-Zyklus inspirieren. Die venezianischen Gemälde markieren einen Wendepunkt im Werk des Künstlers auf seinem Weg zu einer zunehmend abstrakteren Bildsprache und veranschaulichen, dass Venedig einen wesentlichen, bis heute wenig beachteten Beitrag zum Emanzipationsprozess der Malerei an der Schwelle zur Moderne geleistet hat.
Der mit zahlreichen großformatigen Farbabbildungen ausgestattete Prachtband widmet sich erstmals umfassend dem Bild der Lagunenstadt in der europäischen und us-amerikanischen Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Im Zentrum der kenntnisreichen Untersuchung steht der Venedig-Zyklus Monets, ergänzt um Meisterwerke von Vorläufern und Zeitgenossen, deren faszinierendes Spektrum von Canaletto über J. M. William Turner bis Paul Signac reicht. 
Die vorgestellten Künstler:
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Susanne Gretter (Hrsg.): "Europa erlesen. Venedig"
Die Ausschnitte aus Romanen, Erzählungen, Briefen, Tagebucheintragungen und Reisebeschreibungen von literarischen Besuchern Venedigs malen ein lebendiges und faszinierendes, historisches und aktuelles Bild dieser einzigartigen Stadt. Vielstimmig laden sie zu einer literarischen Reise nach Venedig ein.
"O Fremder, wer immer du auch seist, der du zum erstenmal in diese bezaubernde Stadt reist, lass mich dir sagen, wie glücklich ich dich preise. Vor dir liegt zu deiner Freude ein Schauspiel, wie es kein Bild jemals darstellen und kein Buch schildern kann - einer Schönheit, die man nur ein einziges Mal in solcher Vollendung empfinden und nach der man sich ewig sehnen wird", schwärmte der us-amerikanische Schriftsteller William Dean Howells, der von 1861 bis 1865 Konsul in Venedig war. Da war er noch "unberührt von jenem tiefen Schmerz um den Verfall, den ich später inmitten der Majestät Venezia immer noch verspürte, - vielleicht zu schön für diese plebejische Gegenwart, in die sie gar nicht passt. Eine Königin, die sich für Geld sehen lassen muss vor Gaffern, die zwar Geld, aber keinen Respekt vor alten Majestäten haben", ergänzt Otto Julius Bierbaum 1902 diesen Eindruck.
"Kennen Sie irgendeinen Ort der Welt, der in gewissen Stunden im Stande ist, die menschliche Lebenskraft anzuregen und alle Wünsche bis zum Fieber zu steigern, wie Venedig?", lockte Gabriele d'Annunzio 1900. "Wenn sie ihre Stadt nur reinlicher hielten", klagte Johann Wolfgang Goethe, der dem Zauber dieser Stadt aber ebenso verfiel wie so viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller vor und nach ihm. Denn "Venedig ist zweifellos der einzige Ort auf der Welt, wo man all seine Wünsche immer wieder erneuern kann" (Jean Giono).
Mit Beiträgen von: Karl Friedrich Benkowitz, Otto Julius Bierbaum, Ernst Bloch, Joseph Brodsky, Sebastian Brunner, Lord Byron, Alejo Carpentier, Giacomo Casanova, Guido Ceronetti, Milo Dor, Johann Wolfgang Goethe, Sabine Gruber, Wladimir von Hartlieb, Ernest Hemingway, Hermann Hesse, E.T.A. Hoffmann, Hugo von Hofmannsthal, Franz Kafka, Wolfgang Koeppen, Ferdinand Gustav Kühne, Friederike Mayröcker, Mary McCarthy, Robert Menasse, C. F. Meyer, Adrienne Monnier, Friedrich Nietzsche, August von Platen, Edgar Allan Poe, Hans Raimund, Rainer Maria Rilke, Jean-Jacques Rousseau, Ferdinand von Saar, George Sand, Friedrich Schiller, Lisa St. Aubin de Teran, Georg Trakl, Mark Twain, Dragan Velikić, Voltaire, Albert Zacher. (Wieser Verlag)
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Eva Gesine Baur: "Amor in Venedig. Auf den Spuren der Liebenden"
Von jeher hat es Liebende nach Venedig gezogen. Die Stadt war der Schauplatz großer, berühmter Liebesaffären. Eva Gesine Baur führt uns auf den Spuren der Liebespaare in Palazzi und Grandhotels, in verschwiegene Innenhöfe und zweifelhafte Absteigen, durch Gassen und über campi und canali und erzählt dabei die Geschichten von wilder Lust und tiefstem Liebeskummer.
Man begegnet auf diesen Streifzügen Rilke und Mimi Romanelli, Erich Maria Remarque und Marlene Dietrich, Giacomo Casanova mit einigen Nonnen, Thomas Mann und Wladyslaw Moes, Lord Byron mit Marianna Segati, Margarita Cogni und Teresa Contessa Guiccioli, Antonio Vivaldi und Anna Girò, Ernest Hemingway und Adriana Ivancich, Gabriele D’Annunzio und Eleonora Duse, George Sand und Alfred de Musset, Richard Wagner von Carrie Pringle träumend, und vielen anderen verliebten, glücklichen und verzweifelten Paaren. So erhält man nicht nur intime Porträts faszinierender Persönlichkeiten, sondern erfahren durch die Augen der Liebenden mehr über die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen der geheimnisvollen und frivolen Aura der Stadt Venedig und den ebenso bezaubernden wie bedingungslosen Spielarten der Liebe. (C.H. Beck)
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Ela Strieder: "Italienisch - Wort für Wort"
Die Sprechführer der "Kauderwelsch"-Reihe orientieren sich am typischen Reisealltag und vermitteln auf anregende Weise das nötige Rüstzeug, um ohne lästige Büffelei möglichst schnell mit dem Sprechen beginnen zu können, wenn auch vielleicht nicht immer druckreif. Besonders hilfreich ist hierbei die Wort-für-Wort-Übersetzung, die es ermöglicht, mit einem Blick die Struktur und "Denkweise" der jeweiligen Sprache zu durchschauen.
Wer meint, dass ganz Italien im Laufe der Jahre Deutsch gelernt hat, mag Recht haben für einzelne Hochburgen deutscher Urlauber, deren Strom sich Jahr für Jahr über die Alpen ergießt, um drei Wochen in einem Wolkenkratzer an der Adria zu verbringen. Die werden dieses Buch vielleicht nicht brauchen. Wer aber weiter in den Süden oder ins "unbekannte" Landesinnere vordringt und mehr von Italien sehen möchte als Meer, Spaghetti und Rotwein, der wird bald merken, dass er ohne Sprachkenntnisse nicht mehr auskommt.
Die italienische Sprache ist sehr ausdrucksreich, und wer sie auch nur ansatzweise beherrscht, kann sich damit Tür und Herzen öffnen. Er wird wahre Gastfreundschaft kennenlernen und Menschen, die stolz sind auf ihr Land und alles Erdenkliche tun, um zu zeigen, dass sie es zurecht sind.
Dieser Sprechführer soll ein Anfang zu Sprachkenntnissen sein, die ganz und gar nicht perfekt sein müssen. Er soll helfen, Grundkenntnisse in der Grammatik, einen Basiswortschatz und Verständigungsmöglichkeiten zu erlangen, um dem Reisenden ein schönes Land und seine Menschen näherzubringen. (Reise Know-How Verlag Rump)
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