2. Veilchen
25. April 1834.
Heute ist weithin heiterer Himmel mit
tiefem Blau, die Sonne scheint durch mein geöffnetes Fenster; das draußen
schallende Leben dringt klarer herein, und ich höre das Rufen spielender Kinder.
Gegen Süden stellen sich kleine Wolkenballen auf, die nur der Frühling so schön
färben kann; die Metalldächer der Stadt glänzen und schillern, der Vorstadtthurm
wirft goldne Funken, und ein ferner Taubenflug läßt aus dem Blau zu Zeiten weiße
Schwenkungen vortauchen.
Wäre ich ein Vogel, ich sänge heute ohne
Aufhören auf jedem Zweige, auf jedem Zaunpfahle, auf jeder Scholle, nur in
keinem Käfig - und dennoch hat mich der Arzt in einen gesperrt, und mir Bewegung
untersagt; deßhalb sitze ich nun da, dem Fenster gegenüber, und sehe in den Lenz
hinaus, von dem ein Stück gütig zu mir hereinkommt. Auf dem Fenstergesimse
stehen Töpfe mit Levkojenpflänzchen, die sich vergnüglich sonnen und ordentlich
jede Secunde grüner werden; einige Zweige aus des Nachbars Garten ragen um die
Ecke, und zeigen mir, wie frohe Kinder, ihre kleinen, lichtgrünen, unschuldigen
Blättchen.
Zwei alte Wünsche meines Herzens stehen auf. Ich möchte eine Wohnung von zwei
großen Zimmern haben, mit wohlgebohnten Fußböden, auf denen kein Stäubchen liegt;
sanft grüne oder perlgraue Wände, daran neue Geräthe, edel, massiv, antik einfach,
scharfkantig und glänzend; seidne, graue Fenstervorhänge, wie matt geschliffenes
Glas, in kleine Falten gespannt, und von seitwärts gegen die Mitte zu ziehen.
In dem einen der Zimmer wären ungeheure Fenster, um Lichtmassen hereinzulassen
und mit obigen Vorhängen für trauliche Nachmittagsdämmerung. Rings im Halbkreise
stände eine Blumenwildniß, und mitten darin säße ich mit meiner Staffelei, und
versuchte endlich jene Farben zu erhaschen, die mir ewig im Gemüthe schweben
und Nachts durch meine Träume dämmern - ach, jene Wunder, die in Wüsten
prangen, über Oceanen schweben und den Gottesdienst der Alpen feiern helfen.
An den Wänden hinge ein oder der andere Ruysdael oder ein Claude, ein sanfter
Guido und Kindergesichtchen von Murillo. In dieses Paphos und Eldorado ginge
ich dann nie anders, als nur mit der unschuldigsten, glänzendsten Seele, um
zu malen oder mir sonst dichterische Feste zu geben. Ständen noch etwa zwischen
dunkelblättrigen Tropengewächsen ein paar weiße, ruhige
Marmorbilder alter Zeit,
dann wäre freilich des Vergnügens letztes Ziel und Ende erreicht.
Sommerabends, wenn ich für die
Blumen die Fenster öffnete, daß
ein Luftbad hereinströme, säße ich im zweiten Zimmer, das das gemeine
Wohngehäuse mit Tisch und Bett, und Schrank und Schreibtisch ist, nähme auf ein
Stündchen Vater Göthe zu Handen oder schriebe, oder ginge hin und wieder, oder
säße weit weg von der Abendlampe und schaute durch die geöffneten Thürflügel
nach Paphos hinaus, in dem bereits die Dämmerung anginge oder gar schon
Mondenschein wäre, der im Gegensatze zu dem trübgelben Erze meines Lampenlichtes
schöne weiße Lilientafeln draußen auf die Wände legte, durch das Gezweig
spielte, über die Steinbilder glitte und Silbermosaik auf den Fußboden setzte.
Dann stellte ich wohl den guten Refraktor von Fraunhofer, den ich auch hätte,
auf, um in den Licht- und Nebelauen des Mondes eine halbe Stunde zu wandeln;
dann suchte ich den Jupiter, die Vesta und andere, dann unersättlich den Syrius,
die Milchstraße, die Nebelflecken; dann neue, nur mit dem Rohre sichtbare
Nebelflecken, gleichsam durch tausend Himmel zurückgeworfene Milchstraßen. In
der erhabenen Stimmung, die ich hätte, ginge ich dann gar nicht mehr, wie ich
leider jetzt Abends thun muß, in das Gasthaus, sondern ...
Doch dieß
führt mich auf den zweiten Wunsch: nämlich außer obiger Wohnung von zwei Zimmern
noch drei anstoßende zu haben, in denen die allerschönste, holdeste,
liebevollste Gattin der Welt ihr Paphos hätte, aus dem sie zuweilen hinter
meinen Stuhl träte und sagte: diesen Berg, dieses Wasser, diese Augen hast du
schön gemacht. Zu dieser Außerordentlichen ihres Geschlechts ginge ich nun an
jenem Abende hinein, führte sie heraus vor den Fraunhofer, zeigte ihr die Welten
des Himmels, und ginge von einer zur andern bis auch sie ergriffen würde von dem
Schauder dieser Unendlichkeit - und dann fingen begeisterte Gespräche an, und
wir schauten gegenseitig in unsere Herzen, die auch ein Abgrund sind, wie der
Himmel, aber auch einer voll lauter Licht und Liebe, nur einige Nebelflecke
abgerechnet; - oder wir gingen dann zu ihrem Pianoforte hinein, zündeten kein
Licht an (denn der Mond gießt breite Ströme desselben bei den Fenstern herein),
und sie spielte herrliche
Mozart, die
sie auswendig weiß, oder ein Lied von
Schubert, oder
schwärmte in eigenen Fantasieen herum - ich ginge auf und ab oder öffnete die
Glasthüren, die auf den Balkon führen, träte hinaus, ließe mir die Töne
nachrauschen und sähe über das unendliche Funkengewimmel auf allen Blättern und
Wipfeln unseres Gartens, oder wenn mein Haus an einem See stände - - -
-
Aber, siehst Du, so bin ich - da wachsen die zwei Wünsche, daß sie mir
am Ende kein König mehr verwirklichen könnte. Freilich wäre alles das sehr
himmlisch, selbst wenn vor der Hand nur die zwei Zimmer da wären, auch mit etwas
geringern Bildern; denn die Herrliche, die ich mir einbilde, wäre ja ohnedieß
nicht für mich leidenschaftlichen Menschen, der ich sie vielleicht täglich
verletzte, wenn mich nicht etwa die Liebe zu einem völligen sanften Engel
umwandelte. Indessen aber stehe ich noch hier und habe Mitleid mit meiner
Behausung, die nur eine allereinzige Stube ist mit zwei Fenstern, durch die ich
auf den Frühling hinausschaue, zu dem ich nicht einmal hinaus darf, und an
Wipfeln und Gärten ist auch nichts Hinreichendes, außer den paar Zweigen des
Nachbars, sondern die Höhe der Stube über andern Wohnungen läßt mich wohl ein
sattsames Stück Himmel erblicken, aber auch Rauchfänge genug und mehrere Dächer,
und ein paar Vorstadtthürme. Die südlichen Wolken stellten sich indessen zu
artigen Partien zusammen, und gewinnen immer liebere und wärmere Farben. Ich
will, da ich schon nicht hinaus darf, einige abzustehlen suchen, und auf der
Leinwand aufzubewahren. - - Ich schrieb das oben Stehende heute Morgens und
malte fast den ganzen Tag Luftstudien. Abends begegnete mir ein artiger Vorfall.
Auch moralischen und sogar zufälligen Erscheinungen gehen manchmal ihre
Morgenröthen vorher. Schon seit vielen Wochen ist mir die Bekanntschaft eines
jungen Künstlers versprochen worden. Heute wurde er als Krankenbesuch von zwei
Freunden gebracht, und siehe da! es war derselbe junge, schöne Mann, den ich vor
drei Tagen auf dem Spaziergange, der mir mein jetziges Halsweh zuzog, gefunden
hatte. Ich erkannte ihn augenblicklich und war fast verlegen; er gab kein
Zeichen, daß er auf den Spaziergänger geachtet habe, der so dreist in sein
Gesicht und Studienbuch geschaut hat. Der Besuch war ein sehr angenehmer und die
Bitte um Wiederholung wurde zugesagt. Sein Name ist Lothar Disson und sein
vorzugsweises Fach die Landschaft; doch soll er auch sehr glücklich
portraitiren.
(von Adalbert Stifter; 1805-1868.)