Richard Katz (1888-1968), der vergessene Exilschriftsteller

 Jeroen Dewulf


Wer in Rio de Janeiro ankommt, will bleiben. Schließlich kommt man nicht jeden Tag im Paradies an. Anders etwa als die zweite Hafenstadt Brasiliens, Santos, wo man gleich nach der Ankunft weiterzureisen pflegte, besitzt Rio eine Art "Haftfähigkeit". Tatsächlich, was könnte es nach Rio überhaupt noch an Schönerem und Besserem geben? Wurden vor einem so imponierenden Dekor nicht auch die abgehärtetsten Seefahrer wieder weich, so weich, dass sie im auffälligsten Hügel der Bucht die Bestätigung eines alten Kindertraumes sahen: der eines riesigen Zuckerhutes. Ankommen in Rio ist denn auch viel mehr als ein Ereignis, es ist eine Tätigkeit, eine, die nicht wenige versucht haben, auf Papier festzuhalten. Nehmen wir dazu doch folgendes, berühmtes Beispiel:

Alles ist hier Harmonie, die Stadt und das Meer und das Grün und die Berge, all das fließt gewissermaßen klingend ineinander, selbst die Hochhäuser, die Schiffe, die bunten Lichtplakate stören nicht; und diese Harmonie wiederholt sich in immer anderen Akkorden: anders ist diese Stadt, von den Hügeln gesehen, und anders vom Meer, aber überall Harmonie, gelöste Vielfalt in immer wieder völliger Einheit, Natur, die Stadt geworden ist, und eine Stadt, die wie die Natur wirkt. (Zweig 1941=1997:179f.)

Dieses Zitat stammt aus Stefan Zweigs Brasilien, ein Land der Zukunft (1941). Was auffällt, ist dass Zweig hier in einem einzigen Satz nicht weniger als dreimal das Wort "Harmonie" benutzt. Nicht von Ungefähr kommt diese besonders für deutschsprachige Reiseberichte so typische Neigung, eine paradiesisch anmutende Landschaft als harmonisch darzustellen. Unverkennbar ist hier der Einfluss Alexander von Humboldts; während aber Humboldt die Ideale der deutschen Klassik in die tropische Natur hineininterpretierte, tat dies Stefan Zweig mit der tropischen Lebenshaltung. Die paradiesische Schönheit und Harmonie, die Zweig bei seiner Ankunft in Rio meint feststellen zu können, ist daher mehr als reine Landschaftsschilderung, es ist ein Auftakt zu seiner Vision Brasiliens als "das Land der Zukunft".

Auch Richard Katz hat seine Ankunft in Rio geschildert, und auch bei ihm fließen Natur und Kultur harmonisch ineinander:

Wenn schon Großstadt - dann so!

So wie Rio sollten Grossstädte aussehen.

Nur: Wo sonst als in Rio bietet sich ihnen Meeresbucht und offner Strand, Binnensee und Hügelland gleichzeitig als Grundriss dar? Wo sonst als in Rio schießen Felsen Kapriolen, hängen schwerkraftwidrig über, bäumen sich wie Füllen, bückeln sich wie Kätzchen? Wo sonst als in Rio segeln Schmetterlinge über Mietskasernen, rauschen Königspalmen um Fabriken? Wo sonst ist die Luft so weich wie ein laues Bad und das Grün der Pflanzen so feist und tief und bläulich? (Katz 1931=1935:234)

So hat Katz Rio 1931, also fünf Jahre vor dem ersten Besuch Stefan Zweigs in Brasilien, geschildert. Interessant aber ist, dass es bei Katz auch eine zweite Schilderung der Stadt gibt, eine, die er nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb. Dort heißt es: 

Im Zusammenwirken von Bergen, Bai und offenem Meer, im Nebeneinander lose gezimmerter Negerbuden und üppiger Gartenschlösser, amerikanisch hochhäusiger Geschäftsstraßen und altportugiesischen Hafengewinkels, mächtiger bretterwurzeliger Banyanbäume und knallroter Neonlichter: immer wieder erkennt man in solch scheinbaren Widersprüchen, dass der Hauptreiz Rios auf Gegensätzen beruht, die harmonisch wirken. (Katz 1950a:117)

Katz hält hier zwar fest am Begriff der Harmonie, es ist allerdings keine Harmonie mehr, die alle Gegensätze aufhebt. Rio bleibt für ihn eine wunderschöne Stadt, ein Paradies aber ist sie nicht mehr. Diese doppelte Begegnung mit Rio deutet auf eine Maturität hin, die in Zweigs Auseinandersetzung mit Brasilien oft fehlt.

Nun hatte Katz von Anfang an einen Vorteil gegenüber andern Exilautoren: Als er nach Brasilien floh, hatte er eine klare Vorstellung vom dortigen Leben. Schließlich war er vom Juli 1930 bis Juli 1931 quer durch Südamerika gereist. Damit hatte Katz den unvermeidlichen "exotischen Schock" bereits hinter sich.

Katz hatte aber nicht nur Erfahrung, was die Tropen betrifft, auch ein Leben im Exil war ihm keineswegs neu. Nach dem Ersten Weltkrieg verließ der Deutsch-Österreicher Katz seine Prager Heimatstadt und zog nach Deutschland. 1931 ließ sich in der Schweiz nieder. Als aber die Schweizer Behörden immer nachdrücklicher auf seine Weiterreise drängten, floh er 1941 zum dritten Mal, diesmal nach Brasilien.

Ein wichtiger Unterschied zwischen Katz und den meisten anderen Exilautoren ist auch, dass Katz im Exil nie finanzielle Schwierigkeiten kannte. Er war denn auch keineswegs ein obskurer Autor, an den man sich heute nur noch deswegen erinnert, weil er ein Opfer des Nazismus wurde. Im Gegenteil, in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gehörte Richard Katz mit seinen Reisebüchern zu den meistgelesenen Autoren Deutschlands. Rechtzeitig konnte er sein Vermögen in die Schweiz retten und wechselte er vom Berliner Ullstein Verlag zum Zürcher Eugen Rentsch Verlag. Katz konnte daher von Brasilien aus ohne Probleme weiter publizieren, gelegentlich sogar auch für amerikanische Zeitschriften wie Life und Reader’s Digest. Politisch war Katz ein Einzelgänger. Seine konservativen Einsichten, seine tiefdeutsche Gesinnung und besonders seine Freundschaft zu Gerhard Hauptmann entfremdeten ihn seinen Zeitgenossen im Exil.

Dies alles erklärt, warum Katz Brasilien nie wirklich als Exil betrachtete, vielmehr wurde das Land zu seiner Wahlheimat. Wenn er Portugiesisch lernte, dann nicht nur um sich in der Bäckerei verständlich zu machen, sondern um brasilianische Literatur zu lesen. Bei Katz findet man daher eines der ersten Zeugnisse auf Deutsch über die literarische Qualität eines Euclídes da Cunha, eines Jorge Amado oder einer Rachel de Queiroz. Sogar die  Bedeutung der sogenannten "literatura de cordel" hat Katz bereits in den 40er Jahren erkannt. Dieser Annäherungsprozess kulminierte darin, dass Katz brasilianischer Staatsbürger wurde und beschloss, auch nach dem Krieg in Brasilien zu bleiben.

Aber auch wenn Katz keineswegs ein typischer Exilautor war, der Horror des Nazismus hat seine in Brasilien entstandenen Werke deutlich geprägt. Besonders ist dies dort auszumachen, wo Katz auf das Thema Rasse und Rassismus zu sprechen kommt. Während Zweig begeistert davon berichtete, wie Brasilien die Rassenfrage ein für allemal gelöst hat, war Katz weitgehend pessimistischer. Rassendiskriminierung erscheint bei ihm als eine menschliche Schwäche, die überall auf der Welt anzutreffen ist, in Europa, wie in Asien oder in Südamerika, und der nur mit Bildung entgegenzutreten sei. Katz sieht sich daher genötigt, auch in Brasilien vor den Gefahren des Rassenwahns zu warnen:

Die Anbetung reiner Rasse stammt aus der Halbbildung, die Rasse mit Volk verwechselt (...). Solches Gerede hat sich über die ganze Erde verbreitet. Habe ich doch selbst in der nüchternen Schweiz eine selbstgefällige Abhandlung gelesen, die Schweizer stammten reinrassig von Pfahlbauern ab! Und las ich nicht eben heute in einer hiesigen Zeitung, dass dieses schöne Land der "reinen brasilianischen Rasse" erhalten bleiben muss? (Katz 1950a:49)

Auf der Insel Paquetá, wo sich Katz niedergelassen hatte, entdeckt er eines Tages einen Gedenkstein mit der Aufschrift: "Auf dieser bewundernswerten Insel wohnten unsere Vorfahren die Tamoio-Indianer".[1] Das Wort "Vorfahre" irritiert ihn, denn, so stellt er fest:

Indem ich meinen Blick über die Leute ringsum schweifen liess: eine Portugiesin, einen Negerbuben, der angelte, die alte Syrierin, die unterhalb des Denksteins Mandarinen verkauft, den Italiener, der nicht weit von mir auf seinem Kutschbock saß, und die USA-Familie, die aus seinem Wagen ausgestiegen war, um sich wechselseitig zu filmen. Die einzigen Nachkommen von Indianern, die ich auf der Insel kannte, waren der Knabe Roberto und seine Mutter, und die kamen aus Uruguay. Wieso wirklich "Vorfahren"? (Katz 1950a:78)

Katz' Irritation hat damit zu tun, dass sich Brasilien auf der einen Seite als Immigrationsland bezeichnet und, wie er meint, zu Recht stolz ist auf das "jus soli", aber daneben dennoch an Vorstellungen festhält, die vielmehr zu jenen Ländern gehören, in denen der Mythos der Blutverwandtschaft weiterhin existiert. In der Idee, dass alle Brasilianer die Indios als ihre Vorfahren zu bezeichnen hätten, sieht Katz daher eine Bedrohung, die er versucht zu erklären, indem er eine Beziehung zu Deutschland zieht und darlegt, wohin die Besessenheit mit dem "germanischen" Erbe geführt hat:

Ja, ja, erst die alten Germanen mit ihren heiligen Runen und dann die nordische Edelrasse mit ihrem Lebensraum... So viel Blut und Tränen sind darüber geflossen... Und nun die alten Tamoios hier, die mit dieser Insel so wenig zu tun haben wie die alten Germanen mit Berlin oder Nürnberg... (Katz 1950a:79)

Im Gedenkstein sieht Katz ein Zeichen, dass auch die Brasilianer ein Bedürfnis nach Tradition aufweisen, und dass dies allzu willig befriedigt wird. Die Gefahr dabei ist, so Katz, dass: "Zwischen Ahnenstolz und Rassenwahn die Grenzen [verschwimmen]". (Katz 1950a:81) Nach Katz gäbe es aber in Brasilien keine reinen Menschenrassen mehr:

Zur weißen Einwanderung haben alle europäischen Völker beigesteuert (und ihr Grundbestandteil, die Portugiesen, stellt seinerseits eine komplizierte Mischung aus Iberern, Phöniziern, Kelten, Karthagern, Römern, Goten und Arabern dar).

Der schwarze Bevölkerungsteil hat seine Ahnen unter allen Negervölkern Afrikas, vom Kap bis zum Mittelmeer und vom Somaliland bis Senegambien.

Auch die eingeborenen Indianern bestehen aus vielerlei Stämmen. (Katz 1950a:232f.)

Mit dieser Bemerkung kommt Katz der aktuellen These nahe, dass alle Länder der Welt, also auch die europäischen, als Immigrationsländer zu bezeichnen wären, da ihre Bevölkerung immer schon eine Mischung der verschiedensten Völker gewesen ist. Katz zögert tatsächlich nicht, die brasilianische Völkermischung mit der europäischen gleichzusetzen. So gesehen wäre Völkermischung also keineswegs eine brasilianische Besonderheit. Was in Brasilien passierte, ist nach der Ansicht Katz’ vielmehr die Mischung einer Mischung: "Mischrassen, die von Japan bis Portugal und von Norwegen bis Südafrika kamen, mischen sich seit vier Jahrhunderten wiederum in der feuchten Wärme Brasiliens". (Katz 1950a:50)

Wichtig dabei ist, dass sich Katz Thesen nicht lediglich auf Eindrücke stützen, sondern auch auf Lektüre. Katz kannte die Klassiker der brasilianischen Anthropologie, von Raimundo Nina Rodrigues bis Arthur Ramos, mit dem er übrigens eng befreundet war und dessen Hauptwerk As Culturas Negras no Novo Mundo (1946) er ins Deutsche übersetzte. Es handelte sich damals um die erste deutsche Übersetzung eines noch lebenden brasilianischen Autors. Ein entscheidendes Stichwort in Katz’ Einführung ist "Umdenken"; dabei warnt er seine Leser ausdrücklich:

Es wird den Leser von der gewohnten Höhe patriarchalisch-wohlwollender Beobachtung auf dieselbe Ebene mit seinen schwarzen Mitmenschen senken, und es wird schließlich der Mode, die um so eifriger Negerskulpturen sammelt, je üppiger sie Busen und Geschlechtsteile übertreiben, Negerkulturen entgegenhalten, die an manche europäische heranreichen und andere übertreffen. (Katz 1948:14)

Es mag klar sein, dass Katz insgesamt eine viel differenziertere Vision von Brasiliens Rassendemokratie vermittelt hat, als wir sie bei Stefan Zweig antreffen. Allerdings erscheint Brasilien bei Zweig nicht nur wegen der Rassenfrage als ein Land der Zukunft. Zweig lässt sich auch vom "brasilianischen Lebensgefühl" begeistern und lobt das Land, weil dort "weniger Stoßkraft, weniger Vehemenz und weniger Dynamik" herrschen würden. Dieser Skepsis gegenüber jedem Fortschrittoptimismus teilt Zweig mit Katz. Dessen Werk Drei Gesichter Luzifers: Lärm, Maschine, Geschäft (1934) gilt als eine der frühesten Sachbücher in deutscher Sprache, in der technologischer Fortschritt prinzipiell als gefährlich dargestellt wird: "Wir haben uns zu lange einreden lassen, dass es ein ‚Fortschritt’ sei, möglichst viel zu produzieren, und wir haben uns um dieses Fortschritts willen den Maschinen versklavt." (Katz 1934:220) Lange vor Adorno und Horkheimer appellierte Katz an den "Widerstand" gegen die Technologiegesellschaft, und wenn von zukünftigen Kriegen die Rede ist, schreibt er 1934 fast visionär von einem bevorstehenden "Streit ums persische Erdöl". (Katz 1934:134)

Trotz aller Skepsis lässt sich Zweig in seinem Land der Zukunft dennoch zu Aussagen verführen, die in diesem Zusammenhang überraschen. So nennt Zweig die Metropole São Paulo in seinem Tagebuch eine hässliche und ungeordnete Stadt, in seinem Land der Zukunft aber spricht er voll Lob von einer "werdenden Schönheit" und von einer "Form von morgen". (vgl. Zweig 1936=1984:409; Zweig 1941=1997:225f.) Der gleiche Zweig, der in einem Privatbrief nicht versteht, weshalb die Paulistaner auf ihre Hochhäuser stolz sein können, lässt sich im Land der Zukunft nicht ungern zum obersten Stockwerk eines Hochhaus führen, um dort von den vielen "erfreulichen Ausblicken" zu schwärmen. (vgl. Zweig, apud Michels 1997:298; Zweig 1941=1997:225) Katz aber erblickt vom oberen Stockwerk eines der Hochhäuser in São Paulo keineswegs Erfreuliches, im Gegenteil:

So wächst São Paulo! (...) Von einer Etage auf dreiundzwanzig! Bei der nächsten Übersiedlung hat man sich auf sechsundvierzig gefasst zu machen. Wo das hinaus will? ... Schon von meiner neunten Etage aus bestehen die Menschen, die unten über die Gasse wimmeln, nur noch aus Kopf und Füßen... (Katz 1947=1963:28)

Katz ist in seiner Abneigung von jeder Form des Forschritts nicht nur radikaler, sondern auch deutlich konsequenter als Zweig. Nicht auszuschließen ist sogar, dass gerade diese seine Abneigung gegenüber Technik, Lärm und Geschwindigkeit Katz 1956 dazu brachte, Brasilien auf Nimmerwiedersehen zu verlassen. Solange er in Brasilien war, lebte Katz nie in Rio selber, sondern immer in der Peripherie. Häufig hatte er sogar zwei Wohnsitze zur gleichen Zeit, auf Paquetá, auf der Gouverneursinsel, in Teresópolis, in Petrópolis oder in Nova Friburgo. So konnte er einerseits von den Vorteilen einer Großstadt profitieren, dem Verkehrschaos, dem Lärm, der Luftverschmutzung und sonstigen Unannehmlichkeiten jederzeit ausweichen. Es ist möglich, dass dies Mitte der fünfziger Jahre allmählich schwieriger wurde, bezeichnend in dieser Hinsicht ist sein Gedicht über den Bau des neuen Flughafens von Rio, das sich fast wie ein Abschiedslied auf Brasilien liest. (vgl. Katz 1967:208) Auch soll daran erinnert werden, dass 1956 das Jahr ist, in dem der Bau von Brasília konkrete Formen annimmt; Brasília, diese Utopie des Fortschritts, die Brasilien in ein (fortschrittliches) Land der Zukunft zu verwandeln sollte. Ironischerweise lässt sich also nicht ausschließen, dass gerade die Tatsache, dass sich Brasilien in ein Land der Zukunft zu verwandeln drohte, Katz zur Auswanderung trieb.

Wie dem auch sei, 1956 ließ sich Katz definitiv in der Südschweiz nieder. Sein Lebensende war traurig. Katz wurde nach dem Krieg mit dem geringen Absatz seiner Bücher nie fertig, beschuldigte seinen Verlag, nicht genug Werbung zu machen und verdächtigte ihn sogar betrügerischer Abrechnung. Es kam schließlich zum Bruch mit dem Eugen Rentsch Verlag, aber weder der Wechsel zum Verlag Fretz & Wasmuth, zum Albert Müller Verlag, noch zum Schweizer Druck- und Verlagshaus konnte etwas an der Situation ändern.[2] Vor allem in Deutschland blieb der Erfolg aus. Dies hatte teils damit zu tun, dass bis 1951 keine Bücher aus dem Ausland in Deutschland verkauft werden konnten, darüber hinaus aber hatte sich Katz nach dem Krieg in Deutschland und Österreich mit bestimmten Kommentaren nicht gerade beliebt gemacht. Sätze, wie "Das erste, was der Fremde an den Wienern bewundert, ist die Elastizität, mit der sie ihre Meinung über Deutschland geändert haben" (Katz 1950b:167), oder "Wer traute dem alten Berliner Ehepaar (...) den Freudentanz zu, den es einmal beim Einmarsch der Deutschen in Paris aufgeführt hat?" (Katz 1950b:165) und gar "Klagen sie übers Bombardement ihrer Stadt, und man wendet ein, dass Coventry zuerst bombardiert worden ist, schauen sie einen ratlos an (...). Sie können sich einfach nicht nach Coventry versetzen, nicht nach Rotterdam (...) und schon gar nicht nach Auschwitz." (Katz 1950b:198), solche Sätze las man im Deutschland der 50er Jahre nicht gerne.[3]

All dies führte dazu, dass die Erinnerung an diesen doch recht interessanten Autor rasch verloren ging als Katz 1968 starb. Mit Ausnahme eines seiner Tierbücher wurde seit 1982 kein einziges seiner Werke neu aufgelegt.[4] Sogar in den Nachschlagewerken über Exilliteratur sucht man meistens vergebens nach seinem Namen. Dazu mag allerdings auch ein postumes Drama beigetragen haben. Nach Katz’ Tod beerbte ihn nämlich sein Sekretär und Freund August-Wilhelm Rabien, dieser aber erlag wenige Jahre später auf dem Weg zum Grab seines Freundes einem plötzlichen Herzschlag. Damit erbten dessen Schwester und Bruder Katz’ Vermögen. Mit der Bibliothek und dem Archiv wussten sie aber nichts anzufangen. Sie boten es der brasilianischen Botschaft in Bern an, die aber freundlich ablehnte. Deswegen wurden die Bücher verramscht, und das Archiv landete vermutlich im Mülleimer.[5]

Vielleicht aber bezahlt Katz mit dem Mangel an Anerkennung auch den Preis, nie richtig irgendwo dazugehört zu haben, als Deutschsprachiger war er eben kein "richtiger" Tscheche, als Jude kein "richtiger" Deutscher, als Konservativer kein "richtiger" Exilautor. Offenbar gab es auch in seiner eigenen Biografie zu viele Gegensätze, als dass von einer Harmonie die Rede sein konnte. Nur in seiner Fantasie gelang es Katz manchmal, die Gegensätze seines zerstreuten Lebens harmonisch zusammenzufügen; so zog er in seinen Memoiren eine melancholische Bilanz seines Lebens:

Kann der Mensch zwei Heimate haben, oder, wie ich, sogar drei? Es scheint, er kann es. Ich bin in dreien glücklich gewesen und unglücklich. Vielleicht ist es unser aller Ziel, nur eine Heimat zu haben, eine gemeinsame: unsere Liebe, geduldige Erde, die Palmen und Tannen treibt und vielerlei Kristallbildungen zulässt... (Katz 1958:325)

Bibliographie:

KATZ, Richard. Zickzack durch Südamerika: Schnaps, Kokain und Lamas, Zürich/Leipzig, Eugen Rentsch Verlag 1935 [1931].

idem. Drei Gesichter Luzifers: Lärm, Maschine, Geschäft, Zürich, Eugen Rentsch Verlag 1934.

idem. Begegnungen in Rio, Erlenbach/Zürich, Eugen Rentsch Verlag 1945.

idem. Auf dem Amazonas, Zürich, Eugen Rentsch Verlag 1946.

idem. Seltsame Fahrten in Brasilien, Zürich, Schweizer Druck- und Verlagshaus 1963 [1947].

idem. „A passeio com o Aleijadinho“. in: Província de São Pedro, Porto Alegre, Vol. 4, Junho de 1948.

idem. Mein Inselbuch: Erste Erlebnisse in Brasilien, Zürich, Eugen Rentsch Verlag 1950a.

idem. Wanderende Welt: Drei Geschichten von Mensch und Tier, Zürich, Fretz & Wasmuth Verlag 1950b.

idem. Allerhand aus fernem Land, Zürich, Fretz & Wasmuth Verlag 1952.

idem. Gruss aus der Hängematte, Zürich/Stuttgart, Albert Müller Verlag 1958.

idem. Das Beste von Richard Katz, Zürich, Albert Müller Verlag 1968.

idem. “Minha amiga Rachel...: Lembranças de Richard Katz da sua amiga Rachel de Queiroz”, Üb. von Jeroen Dewulf, in: Diário do Nordeste, Fortaleza, 16.11.2003, 4.

KESTLER, Izabela Maria Furtado. Die Exilliteratur und das Exil der deutschsprachigen Schriftsteller und Publizisten in Brasilien, Frankfurt a.M./Bern, Peter Lang 1992.

MICHELS, Volker. „Ethnische Vielfalt gegen rassistische Einfalt. Zur Entstehungsgeschichte von Stefan Zweigs Brasilienbuch“, in: ZWEIG, Stefan: Brasilien - Ein Land der Zukunft, Frankfurt a.M./Leipzig, Insel Verlag 1997, 285-299.

RAMOS, Arthur. Die Negerkulturen in der Neuen Welt: übersetzt und eingeleitet von Richard Katz, Zürich, Eugen Rentsch Verlag 1948.

ZWEIG, Stefan. „Reise nach Brasilien und Argentinien“, in: Tagebücher, Frankfurt a.M., Fischer 1984 [1936], 393-412.

idem. Brasilien – Ein Land der Zukunft, Frankfurt a.M./Leipzig, Insel Verlag 1997 [1941].



[1] Katz verkennt offenbar den Grund, weshalb gerade auf Paquetá von Tamoio-Indios die Rede ist. Einer der berühmteste Einwohner der Insel war José Bonifácio de Andrade e Silva (1763-1838). Dieser gilt in Brasilien wegen seiner Rolle im Unabhängigkeitskampf als "Patriarca da Independência". Ganz im Sinne der damaligen Romantik gründete er eine national-brasilianische Dichterschule und wurde als Dichter durch sein indianisches Epos "A confederação dos Tamoyos" bekannt.

[2] Die Bücherprüfung, die Katz 1951 gegen den Eugen Rentsch Verlag veranlasste, ergab eine korrekte Abrechnung, konnte den Bruch aber dennoch nicht vermeiden.

[3] Vor allem mit dem Bericht eines Berlinbesuchs, "Was einem in Westberlin auffällt" (1952), verscherzte Katz viele Sympathien. Unter dem Titel "Herr Katz sieht klar" wurde er im Berliner Tagesspiegel frontal angegriffen und zwar mit der wohl schlimmsten Bemerkung, die man einem Reiseschriftsteller antun kann: "Falls Sie [Richard Katz] bisher aufs Wort geglaubt haben sollten, was er von fremden Ländern erzählte, werden Ihnen jetzt einige Zweifel daran aufsteigen". (Tagesspiegel, 10.09.1952)

[4] Auch ein großes Lob von Erich Maria Remarque anlässlich einer Neuausgabe von Katz erwies sich als nutzlos: "Du hast die stagnierende Reiseliteratur revolutioniert, indem du müde Klischees durch die funkelnde Brillanz des gesunden Menschenverstandes zu neuem Leben erweckt hast." (in: Das Beste von Richard Katz, 1968).

[5] Für diese und andere biografische Angaben zu Richard Katz ist der Verfasser Herrn Rainer Vettin, der zurzeit eine Katz-Biografie schreibt, zu Dank verpflichtet.


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