Nicholas Goodrick-Clarke: "Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus"

Die Ariosophie in Österreich und Deutschland von 1890-1935


Über Rassenwahn, der zum Himmel stank

Bislang gab es nur einige wenige Autoren, die sich mit den okkultistischen Hintergründen des Nationalsozialismus seriös auseinander setzten. 1981 veröffentlichte Friedrich Wilhelm Haack "Wotans Wiederkehr: Blut-, Boden- und Rasse-Religion", vier Jahre später folgte Wilfried Daim mit "Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Die sektiererischen Grundlagen des Nationalsozialismus". 1995 publizierte René Freund "Braune Magie? Okkultismus, New Age und Nationalsozialismus". Allesamt hochinteressante Bücher. Als Standardwerk schlechthin gilt allerdings "Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus" von Nicholas Goodrick-Clarke. In englischer Sprache bereits 1985 erschienen, dauerte es fast zwei Jahrzehnte, ehe nun die deutsche Übersetzung vorliegt. "The New York Review of Books" überschlug sich ebenso mit Lob für das Werk wie die Literaturbeilage der Londoner "The Times". Warum? Was ist so Besonderes an Goodrick-Clarke? Einerseits studierte der Okkultismusforscher an der berühmten Uni in Oxford (Dissertation: "The Occult Roots of Nazism") und gilt als ausgewiesener Experte für die Geschichte der Esoterik: Über Paracelsus, John Dee, Robert Fludd, Emanuel Swedenborg oder Rudolf Steiner veröffentlichte er Sachbände. Andererseits kann "faktisch jeder Satz mit Primärquellen belegt werden", wie es im Vorwort des vorliegenden Buches heißt. Intention des Autors ist es, "den Mythen, Symbolen und Phantastereien, die zur Entstehung eines reaktionären, autoritären, nationalsozialistischen Denkens beigetragen haben" auf den Grund zu gehen.

Braunes Wurzelgeflecht im 19. Jahrhundert
Die Wurzeln des Nationalsozialismus beginnen nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und erreichen volle Stärke gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In den deutschen Kleinstaaten wie auch in Preußen und im deutschsprachigen Teil Österreichs schwillt ein nationalistisches Gemeinschaftsgefühl an, das in einigen elitären Zirkeln religiöse Züge annimmt. Im Zentrum all dieser neugermanischen Kulte um Blut und Boden steht der Glauben an die Überlegenheit der eigenen Rasse, ob sie nun als "(indo-)germanisch", "nordisch" oder "arisch" bezeichnet wird. Richard Wagner (1813-1883), späterhin von Adolf Hitler zum Lieblingskomponisten erkoren, komponiert nicht nur Opernstoff aus "Edda" und "Nibelungenlied", sondern fordert ganz eindeutig die "Emanzipation der germanischen Edelrasse von fremden parasitischen Eindringlingen". Was denn nun Wagner genau unter "Emanzipation" versteht, möchten wahrscheinlich viele Wagnerianer heutzutage lieber nicht im Detail wissen. Bayreuth soll ja schließlich nicht mit Auschwitz assoziiert werden. Auch Friedrich Nietzsches (1844-1900) Konzept vom "Übermenschen", seine Kritik an der christlichen "Sklavenmoral", passt gut in das Weltbild der Neugermanen, wenngleich der große Philosoph selbst nichts von deren verquerem Gedankengut wissen will. Wer nun annimmt, die neuheidnisch-rassistische Bewegung wäre "typisch deutsch", liegt im Irrglauben. Ausgerechnet ein Franzose, Arthur de Gobineau (1816-1882), Kabinettchef von Außenminister Alexis de Tocqueville, glaubt an die "vollkommene arische Urrasse". Vermischung mit "minderwertigen Rassen" führe unweigerlich zur "Degeneration" und damit zum Untergang eines Reiches, so das wenig diplomatische Credo des oftmaligen Auslandsgesandten. Der Engländer Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) stößt ins selbe rassistische Horn. Für den Deutschland-Fanatiker und Ehemann der Richard-Wagner-Tochter Eva, stehen die Germanen an der Spitze der "arischen Rasse". Im Unterschied zu anderen Gesinnungskameraden rechnet er aber auch die Slawen zu den Ariern, kurzum, alle Völker Europas. Hitler wird ihn einst als den "Propheten des III. Reiches" preisen. Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891), Spiritistin, Mitbegründerin der Theosophie sowie den Worten George Bernard Shaws nach "eine der vollendetsten Hochstaplerinnen der Menschheitsgeschichte", entwickelt eine wissenschaftlich völlig unhaltbare Lehre der "7 Wurzelrassen", doziert von intellektuell hochstehenden und minderen Rassen. Sie gib an, mit geheimen Meistern im Himalaja in Verbindung zu stehen. 1938 macht sich die "SS-Expedition Schäfer" nach Tibet auf, um diese vermeintlich so edlen Weltenlenker aufzuspüren; ein weiteres Indiz für die enge Verquickung zwischen Okkultismus und Politik im III. Reich. Zwei Personen stechen aus diesem Wust an Ariertümelei besonders hervor, ein Duo hartgesottener Rassisten, das in engem Kontakt zueinander steht und sich gegenseitig mit Phantasmen indoktriniert: Guido (von) List sowie Lanz (von) Liebenfels.

Guido (von) List (1848-1919)

Guido Karl Anton List, der späterhin das Adelsprädikat "von" für sich geltend macht, wird als Sohn eines Lederwarenhändlers in der Wiener Leopoldstadt, einem traditionell von Juden bewohnten Bezirk, geboren. Als er 1862 die Katakomben unterm Stephansdom besucht, erfährt er eigner Aussage zufolge eine "Bekehrung". Er glaubt, in den unterirdischen Gängen ein altes germanisches Heiligtum entdeckt zu haben und schwört Göttervater Wotan kniend, eben an diesem Ort einen Altar zu errichten., sobald er großjährig wäre. Es soll ein literarisch-ideologischer Altar werden. Goodrick-Clarke: "Guido (von) List war der erste berühmte Schriftsteller, der die völkische Ideologie mit Okkultismus und Theosophie verband.". List sieht sich selbst als den letzten "Armanen", als Priesterkönig der germanischen Urreligion. Blut und Sippe machen der Kern seiner Religion aus. Nur rassische Reinhaltung garantiert den Fortbestand von Stamm bzw. Staat. Diese Reinheit wird Listscher Anschauung zufolge von den so genannten "Affen-Menschen" oder "Tschandalen" bedroht. Die Juden wären solche Tiermenschen. Und die "internationale jüdische Verschwörung" ist demnach der "erklärte Feind des Deutschtums". Krieg gilt für den arischen Rassisten List samt seiner "Armanenschaft" daher als unausweichlich. Damit aber die Auseinandersetzung mit den "Rassefeinden" siegreich bestanden werden kann, muss das Volk zurückkehren zum Glauben der Vorväter. Im Christentum sieht List etwas "Fremdartiges", es ist keine "artgemäße" Religion, es "macht aus Helden Büßer". Für den Nazi-Rassentheoretiker H.F.K. Günther ist der Deutsche der Mensch schlechthin, an dessen Wesen die Welt genesen soll. In seinem 1934 erscheinenden Buch "Frömmigkeit nordischer Artung" findet sich Guido Lists Idee der arischen "Schwertreligion" wieder. Dementsprechend solle das neue Deutsche Reich nach dem Endsieg die Sig-Doppelrune als Staatsymbol tragen - List glaubt inbrünstig an die Macht der Runen. Gehör findet seine Predigt wenige Jahrzehnte später bei der SS und ihrem Reichsführer Heinrich Himmler. Die Doppelrune wird zum Zeichen des "Schwarzen Ordens", der besonders "gründlich" - sprich rücksichtslos - den Holocaust anheizen wird.

Lanz (von) Liebenfels (1874-1954)

Adolf Josef Lanz, der sich Jörg Lanz von Liebenfels nennt, wird im Wiener Bezirk Penzing als Sohn eines Schuldirektors geboren. Wahrscheinlich scheint ihm seine Abkunft nicht heroisch genug, denn er behauptet, in Sizilien als Kind eines Barons das Licht der Welt erblickt zu haben. Nicht genug der Hochstapelei, auch sein späterer Doktortitel ist falsch. 1893 tritt Lanz als Bruder Georg den Zisterziensern im Stift Heiligenkreuz bei. Als er ein Jahr später im Kloster auf den Grabstein eines Tempelritters stößt, hat er eine ähnliche "Bekehrung" wie sein Freund List. Lanz verlässt fünf Jahre danach den katholischen Orden und verschreibt sich der Ideologie der "blonden, blauäugigen Arier", den "Gottmenschen". Im Buch "Theozoologie" erläutert er: Das Blut und Erbe dieser "Asinge" wird von den "Äfflingen" bedroht. Wie Lists "Tschandalen" sind sie "dunkel" im Aussehen und "unedel" im Charakter. Besonders angezogen fühlen sie sich von blonden Frauen, um sich bei jeder Gelegenheit mit ihnen zu paaren - was natürlich zur "Degeneration" der arischen Rasse führt. Deshalb fordert Lanz die "Versklavung und Kastration" der "Untermenschen". Zur holden Weiblichkeit hat er selbst für einen (Ex-)Mönch ein ungewöhnlich gestörtes Verhältnis: "Weiber haben den intensiven Drang, die Rasse hinabzuzüchten", meint er. Bzw.: "Die Natur hat sie uns als Sklavinnen bestimmt." Im schwedischen Dichter August Strindberg (1849-1912), selbst fanatischer Rassist und verklemmter Sexist, findet Liebenfels einen Verehrer. Von 1905 bis 1931 gibt Lanz das Magazin "Ostara", eine "Briefbücherei der Blonden und Männerrechtler" heraus. Adolf Hitler gehört zu den glühenden Lesern dieser aus Sagen und rassistischer Fantasterei zusammengewürfelten Groschenhefte. Mehr noch, der kommende "Führer" nimmt den Inhalt als bare Münze und verdichtet ihn zum persönlichen Glauben an den Weltkrieg der Arier gegen die Juden und ihre Verbündeten. Auch die Hakenkreuzflagge stammt aus dem Fundus des Herrn Lanz. 1907 hisst er sie erstmals auf den Zinnen der Ruine Werfenstein. Das Swastika- und Fyrfos-Symbol sieht er als uraltes Zeichen für die reinigende Kraft des Feuers. Im Gegensatz zum Kollegen List versucht Lanz das Christentum als "ursprünglich arisch" auszulegen. Auch Jesus, der blond gewesen sein soll und "Frauja" hieß, wäre Arier gewesen. Diese sonderbare Ansicht sollte Hitler später ebenfalls vertreten. Im Laufe der Geschichte sei das Christentum aber verfälscht und verweichlicht worden, so Lanz. Der "Nächste", dem die Nächstenliebe zu gelten hat, wäre der rassische "Artgenosse" - und nur der!. Denn: "Gott stirbt, wenn sich ein Edelrassiger mit einem Niederrassigen paart". In den Tempelrittern sah der Rasseokkultist Lanz von Liebenfels Kämpfer gegen Blutschande und für Rassenbewusstsein, weshalb er 1907 den Ordo Novi Templi (ONT) gründet. Neben der Guido-von-List-Gesellschaft (1905 gegr.) und der Thule-Gesellschaft (1918 von Rudolf von Sebottendorf etabliert) avanciert sein Neutempler-Orden zu einem der wichtigsten rassistisch-okkultistischen Zirkeln der Zeit. Pikantes Detail: Trotz der offen zur Schau gestellten neugermanischen Umtriebigkeit ist Lanz nie von den Zisterziensern ausgeschlossen worden.

Späterhin werden all neugermanischen Strömungen wie jene von List und Lanz gerne unter Ariosophie zusammengefasst. Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kommen, verbieten sie die meisten der Geheimgesellschaften kurzerhand - Konkurrenz ist unerwünscht, es hat nur das Wort des "Führers" zu gelten. Ein Treppenwitz der Geschichte: Just als das eintritt, was die Rasseokkultisten lange herbeigesehnt hatten, haben sie von der Bildfläche zu verschwinden. Die Ideologie von List, Lanz und Konsorten blieb jedoch bei vielen Nazi-Größen wie Alfred Rosenberg oder Heinrich Himmler tief verwurzelt. Letzterer gestaltete die Wewelsburg als SS-Feste gegen die "Horden aus dem Osten" um, als den Ort der alles entscheidenden Endschlacht. Und Adolf Hitler selbst ließ sich messianisch mit der Heiligen Lanze abbilden, einem mystisch-magischen Utensil, das ihm Göttlichkeit verleihen und das Tausendjährige Reich einleiten sollte. Glücklicherweise überdauerte das "Millennium" nur sieben Kriegsjahre. Samt dem III. Reich ging die Anziehungskraft der Ariosophie unter. Offensichtlich meinte es die von Hitler oft beschworene "Vorsehung" nicht gut mit ihm: Der Rassenwahn hatte lange genug gegen Himmel gestunken.

Dem Marixverlag ist es zu danken, dass dieses dunkle Kapitel der Ideengeschichte nun endlich in deutscher Sprache historisch hieb- und stichfest aufgearbeitet worden ist, mit Quellenverzeichnis und Literaturanhang - für all jene, die immer noch Zweifel am okkultistischen Unterbau des III. Reiches haben sollten. Ariosophie und Nationalsozialismus sind zwar passé, doch oft kehrte das Alte in modischem Gewand wieder. Wem also in jüngster Zeit Wahlplakate mit den Gegensätzen Kirche-Moschee ins Auge stechen oder einfältige Kampfsprüche wie "Pummerin statt Muezzin" zu hören kommen, der mag voll Mulmigkeit in Goodrick-Clarkes Buch eine Warnung erkennen.

(lostlobo; 10/2005)


Nicholas Goodrick-Clarke: "Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus"
Übersetzt von Susanne Mörth.
Marixverlag, 2004. 261 Seiten.
ISBN 3-937715-48-7.
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Darüber hinaus beschreibt das Buch aber auch die Herkunft und die Rolle esoterischen Gedankenguts in einer "entzauberten Welt". Im Spannungsfeld von Moderne und Zivilisationspessimismus, von verlorener Spiritualität und einem vielleicht nie abgeschlossenen Kampf zwischen Christentum und Heidentum treibt das Okkulte seine dunklen Blüten. Die Gemeinsamkeiten von New-Age-Ideologie und neuem Rechtsradikalismus scheinen das zu bestätigen. (Picus)
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Rüdiger Sünner: "Schwarze Sonne"
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Eine schier undurchschaubare Vermischung von Tatsachen und Mystifikationen - sowohl von Hanussen selbst, als auch anschließend von den Nazis inszeniert - macht eine wissenschaftlich exakte Biografie des "Gottes der Gaukler" zu einem riskanten und abenteuerlichen Unterfangen. Dem Autor gelang es nach zehnjähriger Recherche, das gesamte, teilweise nur sehr schwer zugängliche Quellenmaterial zu sichten, darunter auch schier unüberschaubare Justizakten. Dadurch konnten die zahlreiche Verfälschungen in den früheren Biografien aufgedeckt werden, so dass hiermit zum ersten Mal eine große und einwandfrei recherchierte Hanussen-Biografie vorliegt, die viele innere Verflechtungen in einem vollkommen neuen Licht zeigt. Aus der Erschließung bisher unberücksichtigter Quellen ergeben sich aufschlussreiche und spektakuläre Zusammenhänge, die mit dem Mord an Hanussen und seiner Rolle beim Reichstagsbrand in Verbindung stehen. Neben den geschichtlichen Fakten versucht das Buch auch eine Wertung von Hanussens Psi-Fähigkeiten zu geben. (Grupello)
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