Alraune
(Mandragora officinarum)


Die immergrüne Alraune, von der es sowohl männliche als auch weibliche Pflanzen gibt, gehört zur Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae). Der überirdische Teil der Alraune besteht aus einer dichten Rosette länglich-ovaler Blätter. Nach den unscheinbaren Blüten werden kirschgroße gelblich bis rötlich gefärbte Beeren ausgebildet. Die Alraune wächst ursprünglich auf Brachflächen in kargen Regionen des östlichen Mittelmeergebietes. Alten Überlieferungen zufolge gedeihen die Pflanzen bevorzugt an Richtplätzen, unter Galgen, gezeugt von der jeweils letzten Ejakulation der Gehenkten während ihres Todeskampfes. Daher sind die Pflanzen auch als "Galgenmännchen" oder "Henkerswurzeln" bekannt.
Die Alraunwurzel, die - wie jene des Ginseng - menschenähnliche Form aufweisen kann, fand bei der Herstellung unterschiedlichster Mittelchen Verwendung: Im Alten Ägypten und in Mesopotamien wurden die Früchte allerdings ebenso mit Wein vermischt (beispielsweise als Liebestrank, Schlaf- und Rauschmittel), bei den Kelten, Germanen und Slawen für Heilmittel, Afrodisiaka oder "Flugsalben" - letztere zur äußerlichen Anwendung; die subjektive Flugempfindung wird durch toxische chemische Verbindungen hervorgerufen.

Um die Prozedur der Wurzelernte ranken sich zahlreiche Mythen; so findet sich beispielsweise folgende Anleitung: Das Erdreich um die Wurzel, die eine Länge von mehr als einem halben Meter erreichen kann, wird gelockert, sodass der Ansatz sichtbar wird. Weil - gerüchteweise - jedoch ein Mensch beim Versuch, die Alraunwurzel auszureißen umgehend zu Tode käme, bindet man das eine Ende eines Seiles um den oberen Teil, das anderen Ende an einen Hund, der sodann die undankbare Aufgabe des Herausziehens übernimmt. Angeblich stößt die Alraune dabei schaurige Klagelaute aus, und ihre Beeren leuchten des nachts!
Selbstredend sind derart gewonnene Pflanzen teure Handelsware, und so tauchen allerlei gemeine Rüben als vermeintliche Alraunen auf, denn die Alraune gilt auch als Talisman, der Fruchtbarkeit bringt.

Bei näherer Betrachtung einiger Inhaltsstoffe ergeben sich die überlieferten Anwendungsgebiete und Wirkweisen, denn wie der Stechapfel (Datura) enthält die Alraune u. a. Hyoscyamin und Scopolamin; Substanzen, die nachstehend ansatzweise erläutert werden:

Der Name des Hyoscyamins leitet sich vom Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) her. Hyoscyamin zerfällt, so sagen jene, die es wissen müssen, beim Trocknen zu Atropin. Die Wirksamkeit des Hyoscyamins soll angeblich doppelt so stark wie die des Atropins sein. Seine Wirkung äußert sich insbesondere in folgenden körperlichen Symptomen: Spasmolyse der glatten Muskulatur, Erhöhung der Pulsfrequenz, Einschränkung der Speichel-, Magensaft- sowie Schweißsekretion und Akkomodationslähmung.

Scopolamin wird in eingeweihten Kreisen als Antagonist des Atropins unter den Nachtschattenalkaloiden bezeichnet. Seine Wirkung ist zwar ebenfalls parasympathikus-lähmend, insgesamt jedoch im Vergleich zum Atropin tendenziell sedierend und dämpfend. Scopolamin sorgt für einen Zustand der Willenlosigkeit und Apathie, vergleichbar der Hypnose. Diese Eigenschaften machen es zu einem "beliebten" Wahrheitsserum, weil sich unter dem Einfluss von Scopolamin jeglicher innere Widerstand auflöst. Außerdem soll es verstärkt Krampfzustände bedingen.
Berichtet wird, dass bereits geringste Dosen Halluzinationen, vorwiegend visueller Natur, auslösen. Diese sollen, insbesondere bei subkutaner Zufuhr, mehrere Tage lang anhalten können. Überdosierung hat unweigerlich den Tod zur Folge.