Alexander Osang: "die nachrichten"


Jan Landers ist 34, gewitzt und Sprecher bei der "Tagesschau". Ach ja, und eigentlich kommt er aus den sogenannten "Neuen Bundesländern", aber da käme man, wenn man ihn so sieht, gar nicht drauf. Und darauf ist Landers stolz. Und alles wäre in bester Ordnung, wenn da nicht plötzlich der "Spiegel" mit einer geplanten Stasi-Enthüllungsgeschichte über Landers Wirbel verursachen würde. Der Nachrichtensprecher wird bis zur Klärung der Vorwürfe vom Dienst suspendiert und reist auf der Suche nach seiner Vergangenheit nach Berlin und Neubrandenburg. Währenddessen liefern sich eine "Spiegel"-Redakteurin und ein Redakteur des "Nordkurier" in Neubrandenburg ein Wettrennen um Landers' Stasi-Akte. Ein Mitarbeiter der Neubrandenburger Stasi-Unterlagen-Behörde hat die Akte gestohlen und treibt ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Journalisten.

Durch das geschickt gewählte Thema gelingt es Alexander Osang, gleich mehrere Milieustudien in seinem ersten Roman zu verbinden. Als da wären: Die "ARD-aktuell"-Redaktion in Hamburg, zuständig für "Tagesschau" und "Tagesthemen"; die Sylter Schickeria; die Berliner Redaktion des "Spiegel"; die Redaktion des "Nordkurier" in der mecklenburgischen Provinz; und nicht zuletzt die Neubrandenburger Filiale der Gauck-Behörde, die die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit verwaltet und zugänglich macht. Obwohl der Autor in seiner Danksagung unterstreicht, dass alle Figuren des Romans seiner Fantasie entsprungen sind, erwischt man sich beim Lesen immer wieder dabei, dass man den erfundenen reale Figuren zuzuordnen versucht. So moderiert im Roman etwa Jan Landers neben seiner Tätigkeit als Nachrichtensprecher noch die Sendung "Auf dem Zahn der Zeit" im MDR. Eine Sendung, so heißt es im Buch, in der die Gäste sich präsentieren, d.h. ihre Bücher und Platten vorstellen sollen, ohne kritische Fragen befürchten zu müssen. Im realen Fernsehen gibt's da doch die Sendung "Riverboat" mit dem realen Nachrichtensprecher Jan Hofer ... Insgesamt jedoch hat Osang in "Die Nachrichten" die realen Figuren hier und dort in ihren Eigenschaften miteinander vermischt und verfremdet, so dass von einem echten Schlüsselroman keine Rede sein kann.

Der Autor erweist sich als hervorragender Beobachter der jeweiligen Milieus, die er amüsant und mit großer Detailfreude vor dem Leser ausbreitet. Als da etwa wären: Grundmann, der "ARD-aktuell"-Chef, der sich dafür hasst, "zum Fernsehen gegangen zu sein", weil ihm seit geraumer Zeit die Haare ausfallen, die Zähne sich lockern, und weil er kaum in der Lage ist, einen Satz zu sprechen, ohne sein Gegenüber oder das vor ihm liegende Papier zu bespucken. Die "Nachrichtenbeamten", die jeden Abend so tun, als hätten sie "im Team" gerade den us-amerikanischen Präsidenten gestürzt, die aber ehrgeizlos und gelangweilt von ihrer Arbeit sind und den Florida-Korrespondenten um seine Arbeit beneiden. Der Chef des Berliner "Spiegel"-Büros, ein Gutmensch ohne journalistischen Biss, der statt Stasi-Enthüllungsgeschichten lieber Zeitgeistiges, Service und Geschichten über "Ostdeutsche, die es geschafft haben" im Magazin haben will. Die Berliner "Spiegel"-Redakteurin Doris Theyssen mit dem Bulldoggengesicht, die den Wischiwaschijournalismus ihres Chefs hasst und es als eine Art Sport ansieht, Personen des öffentlichen Lebens mit Stasi-Enthüllungen zu "erlegen" - so auch den Nachrichtensprecher Landers. Der Neubrandenburger Provinzjournalist und Alkoholiker Raschke, der mit über 40 Jahren hofft, eines Tages vom "Spiegel" entdeckt zu werden und sich mit Doris Theyssen ein Wettrennen um die Stasiakte von Jan Landers liefert. Und nicht zuletzt die beiden Liebschaften des Nachrichtensprechers: Zum einen Margarete, die attraktive Tochter eines reichen, kauzigen Sylters, für die eine aufgetauchte Stasi-Akte kein moralisches Dilemma ist, sondern nur die Frage nach dem besten Anwalt aufwirft. Zum anderen die unscheinbare Ilona, Planungsredakteurin bei "ARD aktuell", die Landers wegen dessen Stasi-Akte zunächst Vorwürfe macht, dann aber Landers' Version glaubt, er könne sich nicht an eine Zusammenarbeit mit der DDR-Staatssicherheit erinnern.

Landers selbst ändert im Verlauf des Romans seine Einstellung zu seiner Vergangenheit: Vor den Ermittlungen zu seiner Stasi-Vorgeschichte tut Landers alles, um sich an die Lebensweise der Hamburger Oberschicht anzupassen und sich als Ostdeutscher nicht zu erkennen zu geben. Alles dreht sich für ihn darum, das richtige Auto zu fahren (einen Saab), in der richtigen Wohnung zu leben (natürlich in einer "Loft"-Wohnung) und in dieser Wohnung die richtigen Bilder aufzuhängen (auf keinen Fall Miró, denn der hängt jetzt in jeder Zahnarztpraxis). Und Feste auszurichten für Mittdreißiger, die wirken wollen wie Menschen, die in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen, und dies an ihrer Kenntnis von Wein, Käse, Möbeln und Bildern festmachen. Unmittelbar nach seiner Suspendierung vom Dienst beharrt Landers dann darauf, nichts mit der Staatssicherheit zu tun gehabt zu haben und sich an nichts erinnern zu können. Am Ende reist der Nachrichtensprecher jedoch durch Berlin und Neubrandenburg, wühlt in alten Schulzeugnissen und Briefen und spricht mit Menschen aus seiner Jugend, um endlich zu erfahren, "wer er damals eigentlich war".

Eine wichtige Figur ist neben den bereits genannten der Mitarbeiter der Neubrandenburger Stasiakten-Behörde, der Landers' Akte aus der Behörde stiehlt und die Journalisten damit an der Nase herumführt. Näheres soll hier allerdings nicht gesagt werden, um möglichen Lesern die Spannung zu erhalten - die Spannung, die unter anderem in der Frage besteht, wer dieser Mitarbeiter der Behörde ist, und was seine Motive für den Diebstahl der Akte sind.

Insgesamt ist "die nachrichten" ein sehr gelungenes Buch.

 


Alexander Osang: "die nachrichten"
S. Fischer.
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Alexander Osang, geboren 1962 in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete nach der Wende als Chefreporter der "Berliner Zeitung". Für seine Reportagen erhielt er mehrfach den "Egon-Erwin-Kisch-Preis" und den "Theodor-Wolff-Preis". Nach sieben Jahren als Reporter für den "Spiegel" in New York lebt er heute wieder in Berlin. Alexander Osangs erster Roman "die nachrichten" wurde verfilmt und mit zahlreichen Preisen, darunter dem "Grimme-Preis", ausgezeichnet.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Lennon ist tot"

Eigentlich ist Robert Fischer aus Berlin-Friedrichshagen nach New York gekommen, um zu studieren. Nun aber sitzt er in einem Keller im winterlichen Manhattan und sichtet im Auftrag einer Detektei stundenlang Videobänder. Als ihm dabei ein Mann auffällt, folgt er ihm auf eine Fähre, die ihn auf eine kleine Insel im Atlantik bringt. Dort gerät er in ein altes Holzhaus, in dem einmal John Lennon gewohnt haben soll. Robert Fischer schläft in Lennons Bett und hört Lennons Lieder, er erfährt die Geschichten der Inselbewohner und findet auf dem Dachboden stapelweise Zeitungen mit Berichten über Lennons Ermordung. Irgendwann glaubt er, dass ihm der tote Musiker verschlüsselte Botschaften schickt. Robert Fischer folgt den Signalen zurück nach New York, wo inzwischen auch sein Vater eingetroffen ist, um nach seinem verschwundenen Sohn zu suchen. Sie sind jetzt in derselben Stadt, aber noch immer in verschiedenen Welten. (S. Fischer)
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