"Der Erste Weltkrieg"


Europas blutiger Weg ins 20. Jahrhundert

"In Deutschland war der Erste Weltkrieg lange Zeit ein vergessener Krieg", beginnt der Klappentext. "Doch mit dem Abstand von drei Generationen wird deutlich: Er ist das Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts."

In der Tat schloss dieser schaurige Krieg das 19. Jahrhundert ab und stellte die Weichen für einen noch entsetzlicheren Flächenbrand. Um den Zweiten Weltkrieg und die unheilvolle Entwicklung zu verstehen, die ihm vorausging, muss man sich mit dem Ersten Weltkrieg befassen. Es war jedoch ein langer, verschlungener Weg von Sarajewo nach Versailles, oder eigentlich vom Versailles des Jahres 1871 zum Versailles von 1918. Die Texte von Jürgen Büschenfeld, Susanne Stenner, Heinrich Billstein, Werner Biermann, Anne Roerkohl sowie Christine Beil und Gabriele Trost zeichnen diesen labyrinthartigen Weg nach.

Der erste Abschnitt zeigt auf, wie es zum Krieg kam, und fasst ihn so knapp wie möglich und so erzählerisch wie möglich zusammen. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Mythos Tannenberg: Das im Grunde verhängnisvolle Duo Hindenburg-Ludendorff gewann durch seine Siege im Osten schließlich de facto die Macht über das gesamte Reich. Die Anwendung der im Osten erfolgreichen Strategie auf die verfahrene Situation im Westen führte zur Katastrophe in Form eines unglaublichen Blutzolls und der Unmöglichkeit eines Verständigungsfriedens.
Heinrich Billstein beschreibt in "Gashölle Ypern", wie der deutsche Verstoß gegen das Völkerrecht durch den Gebrauch von Kampfgasen zur völligen Entmenschlichung des Krieg führte, und er weist auf die Bilanz hin: Die schrecklichen Qualen, die letztlich beide Seiten erlitten, führten netto zu keinem nennenswerten Geländegewinn.
Auch Verdun darf in diesem Buch nicht fehlen, und das entsprechende Kapitel gibt die Schrecken des Stellungskrieges detailgetreu wieder, jene sinnlose Vergeudung von Menschenleben und Material. Anne Roerkohl wiederum erläutert die Bedeutung der Heimatfront für den Krieg und vollzieht die Leiden der deutschen Zivilisten nach, sie untersucht die Rolle der Frauen vor allem in den kriegswichtigen Industrien und liefert ein differenziertes Bild von der Stimmung im Reich während des vierjährigen Krieges.
Im Kapitel "Trauma Versailles" schließlich geht es um die Vorgeschichte der Kapitulation in Compiègne, um das Tauziehen zwischen den Mächten im Vorfeld des Versailler Vertrags und um dessen fatale Folgen für Deutschlands erste, unfertige Demokratie.

An diesem Buch fällt sofort der Wechsel zwischen objektiver Berichterstattung und subjektivem Erleben von Zeitzeugen positiv auf, etwa anhand von Briefwechseln zwischen Soldaten und ihren Familien. Und wenngleich die deutsche Sicht vorherrscht, gelingt es den Autoren, die Motivation und die Ziele anderer Länder ebenfalls verständlich darzustellen; kein leichtes Unterfangen gerade bezüglich dieses eigenartigen Krieges, den offensichtlich alle und keiner wollten. Gelegentlich fehlen mir jedoch Hinweise auf glaubwürdige Verfechter anderer Theorien als der vom jeweiligen Autor bevorzugten bezüglich des einen oder anderen von Historikern bis heute kontrovers diskutierten Themas.
Zu den Pluspunkten des Buchs gehören die zahlreichen Informationskästen, die näher auf bedeutende Persönlichkeiten, Örtlichkeiten und Geschehnisse eingehen, sowie textnah eingefügte, detaillierte Karten zum Frontgeschehen.
Trotz des geringen Umfangs liefert das Buch alle notwendigen Fakten und ihre Interpretation im logischen Zusammenhang - wer eine chronologische Anordnung wünscht, kann sich an die Zeittafel im Anhang halten, wo man weitere Europakarten findet, allerdings kein Stichwortverzeichnis. Die Autoren legen viel Wert auf die menschliche Seite abseits der Statistiken, vor allem auf die Leiden der von den Generälen verheizten Millionen Soldaten; der Schrecken des Krieges wird auch durch zahlreiche erschütternde Fotos vermittelt. Trotzdem bleibt das Buch immer sachlich und ohne Sentimentalität.
Die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die unmittelbar nachfolgenden Ereignisse in Europa wird durch dieses an keiner Stelle trockene Buch nachvollziehbar, das sich somit erfolgreich einer sehr schwierigen Aufgabe stellt.

(Regina Károlyi; 05/2006)


"Der Erste Weltkrieg"
rororo Rowohlt, 2006. 262 Seiten.
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Mit dem Ersten Weltkrieg verbindet sich in der kollektiven Erinnerung vielfach das Trauma des modernen, technisierten Krieges. Sein Bild wird dominiert von den Ereignissen und Erfahrungen an der Westfront - von Namen und Symbolorten wie Verdun, Flandern und die Somme. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt Potsdam (MGFA) nahm den 90. Jahrestag des Kriegsausbruches zum Anlass, um sich den ersten beiden Jahren des Krieges im Osten zuzuwenden, der in der Forschung bislang kaum behandelt worden ist. Der Band geht aus einer internationalen Tagung des MGFA und des Deutschen Historischen Museums hervor. Er verfolgt drei miteinander verbundene große Themen: - Die Kampfhandlungen an der Ostfront in den ersten beiden Kriegsjahren; - die erlebte Kriegswirklichkeit und die Verarbeitung der Kriegserfahrung an der Front und in der Heimat; - die Darstellung der Realitäten und der Erfahrungen des Krieges in Museen, Gedenkstätten und modernen Medien.
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Autoren des Spiegel und bekannte Historiker wie Hew Strachan und Hans-Ulrich Wehler beleuchten die vielfältigen Aspekte dieser "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts. Sie analysieren die Vorgeschichte mit dem Höhepunkt des Attentats von Sarajevo und der Juli-Krise. Sie beschreiben die verbissenen Kämpfe in Frankreich, Belgien, Italien und im Osten Europas sowie die globale Dimension der Auseinandersetzung. Sie schildern Hungersnot und Mangelwirtschaft und werfen einen neuen Blick auf die so weitreichenden Folgen dieses Krieges. Ergänzt wird der Band durch Farbaufnahmen. (DVA)
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"Der Erste Weltkrieg"
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