Ekkehard Eickhoff: "Venedig, Wien und die Osmanen"

Umbruch in Südosteuropa 1645-1700


Ein europäisches Trauma aus eher ungewohnter Sicht

Denkt man an die Türkenkriege, so hat man stets die Belagerung von Wien vor Augen. Dass sich ein erheblicher Teil der Auseinandersetzungen Europas mit dem Ansturm der Osmanen in der Ägäis und auf dem Balkan, teils auch nördlich und östlich davon, abspielte, ist dem Mitteleuropäer kaum bewusst, sofern er keine profunden Geschichtskenntnisse besitzt.

Ekkehard Eickhoff erzählt ein ausgesprochen spannendes, dramatisches Kapitel der europäischen Geschichte, das ein Trauma erzeugt hat, dessen Nachhall man heute noch beobachten kann, etwa im Zuge des umstrittenen möglichen EU-Beitritts der Türkei.

Das Buch beginnt mit dem jahrzehntelangen verzweifelten Versuch der Republik Venedig, die Besitzungen in der Ägäis zu halten. Vor allem um Kreta entbrennt ein langwieriger, erbitterter Kampf, der bei gesamteuropäischen Geschichtsbetrachtungen meistens keine angemessene Beachtung findet angesichts des praktisch zeitgleich stattfindenden Dreißigjährigen Krieges. Und doch werden hier bereits die Weichen gestellt für die nachfolgenden Auseinandersetzungen, die den Türken den Weg nach Mitteleuropa öffnen: Die Rolle des Papstes und vor allem Frankreichs, das durch die gesamte Epoche der Türkenkriege geschickt zwischen eigenen und gesamteuropäischen Interessen abwägt, wird im Grunde bereits zu diesem Zeitpunkt festgelegt. Auch im heutigen Dalmatien findet eine Weichenstellung statt.

Wenig beachtet werden heute im Zusammenhang mit den Türkenkriegen die Vorgänge um die Kosaken und Tataren, Völkerschaften, die sich in raschem Wechsel unterschiedlichen Mächten anschlossen. Vor allem das damalige Polen wurde durch die Konflikte mit diesen Völkern nachhaltig destabilisiert. Ungarn, zerrissen zwischen Habsburgern, Türken und opportunistischen lokalen Herrschern in Siebenbürgen, diente als Pufferzone. 1683 schließlich kam mit der Belagerung von Wien und der Abwehr der Türken durch eine Koalition von Fürsten aus ganz Mittel- und Westeuropa die Wende; die Osmanen wurden nach und nach zurückgedrängt.

Der Autor versteht es, in den einzelnen Abschnitten des Buchs die Vorgänge an den wichtigen Schauplätzen der Kriege europäischer Mächte gegen die Türken übersichtlich darzustellen. Denn das Buch ist nicht streng chronologisch, sondern vor allem nach politisch-geografischen Gesichtspunkten geordnet. So lernt der Leser die Vorgänge auf den heute griechischen Inseln, vor allem auch die bedeutenden Seeschlachten, ebenso aber die Interna im türkischen Serail kennen, und es erschließen sich ihm die komplexen politischen Verflechtungen und Machtverschiebungen im östlichen Mitteleuropa bis hin zur gegenwärtigen Ukraine mit Tataren und Kosaken als relativ unberechenbaren Jokern in einem Spiel mit unklaren Regeln.

Zu den Jokern, auch das wird sorgsam herausgearbeitet, gehörte ebenso Frankreich, das zwar eine Verpflichtung als christliches Königreich erkannte, doch nicht minder auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich aus Neutralität oder Zusammenarbeit gegenüber der Türkei ergaben. Die bedeutende Rolle des Vatikans lässt sich ebenfalls vorzüglich nachvollziehen.

Treffend zeigt der Autor auf, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich für das vom Dreißigjährigen Krieg verschont gebliebene östliche Mitteleuropa vergleichbar verheerend waren wie jener für das Heilige Römische Reich deutscher Nation.

Vor allem jedoch versteht es Ekkehard Eickhoff, die Vorgänge von 1645 bis 1700 im südosteuropäischen Raum zum einen mit dem notwendigen Tiefgang und in logischer Gliederung, zum anderen jedoch so spannend und abwechslungsreich zu erzählen, dass die Ereignisse ab der Belagerung von Wien wie ein rasanter Endkampf wirken und sich die Geschichte der Türkenkriege dramatisch entfaltet. Das durch die Lektüre erworbene Verständnis der hochkomplexen Zusammenhänge ermöglicht dem Leser eine differenzierte Sicht auf diesen folgenreichen Konflikt.

Einziger Kritikpunkt ist das Fehlen einer zusammenfassenden Chronologie, die sich angesichts der Gliederung nach politischen Einheiten und Kriegsschauplätzen als hilfreich erwiesen hätte. In diesem Zusammenhang seien die am Anfang und am Ende des Buchs zu findenden Karten zu loben: Eine zeigt die Ägäis, die andere Südosteuropa.

Dieses Buch vermittelt also umfassende Kenntnis eines bedeutenden Aspektes europäischer Geschichte, und es bietet überraschend kurzweilige Lektüre. Die attraktive Aufmachung mit zahlreichen Stichen und Bildern, die thematisch mit den Buchinhalten zu tun haben, fällt ebenfalls sehr positiv auf. Ein rundum gelungenes Werk!

(Regina Károlyi; 06/2008)


Ekkehard Eickhoff: "Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645-1700"
Klett-Cotta, 2008. 464 Seiten.
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Ekkehard Eickhoff, geboren 1927 in Berlin, habilitierte sich 1973 für mittelalterliche und neuere Geschichte an der Universität Stuttgart. Seit 1953 gehörte er dem Auswärtigen Dienst an, arbeitete an den Botschaften in Kairo, Bern und Ankara sowie in der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes. Er war Botschafter in Südafrika, Irland und in der Türkei und leitete die KSZE-Delegation der Bundesrepublik Deutschland in Wien. In seinen Büchern und Aufsätzen behandelt er Themen der mittelmeerischen und südosteuropäischen Geschichte und deren Bedeutung für die Geschichte Deutschlands und Mitteleuropas.

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"Venedig - Spätes Feuerwerk. Glanz und Untergang der Republik - 1700-1797"

Ekkehard Eickhoff lässt die Venezianer und ihr europäisches Publikum noch einmal auf ihrer "großen Bühne von Marmor und Wasser, schattigen Gassen und lichten Plätzen" tanzen.
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Kurz vor der ersten Jahrtausendwende beschleunigt sich der Gang der Geschichte. Polen und 
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Sein historisches Panorama, das mit "Theophanu und der König" begann, setzt Ekkehard Eickhoff mit einer anschaulichen Schilderung der ersten Jahrtausendwende fort. Im Zentrum steht nun der junge, hochgebildete Kaiser Otto III. Mit seiner "Erneuerung des römischen Reichs" wird das Papsttum gestärkt, werden Rom und Aachen zu Herrschaftszentren. Gemeinsam mit Gerbert von Aurillac, dem späteren Papst Silvester II. und brillantesten Gelehrten, entwickelt er ein Konzept von historischer Tragweite: Die Christianisierung der östlichen Nachbarn verbinden sie mit einer Friedensordnung, in der sich die entstehenden jungen Nationen an Kaiser und Papst orientieren. Lange vor dem Stauferkaiser Friedrich II. wird Otto III. "Wunder der Welt" genannt.
Ekkehard Eickhoff gelingen historische Nahaufnahmen Ottos III., der überragenden, zu Unrecht vergessenen Gestalt der ersten Jahrtausendwende, und Ausblicke auf die ungestüme Erneuerung des christlichen Abendlandes.
Eine Epoche wird besichtigt, profund dargestellt, literarisch außergewöhnlich veranschaulicht. (Klett-Cotta)
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