Umberto Eco: "Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß"


Rushdie ist arm, da er nirgends mehr sicher ist; Fußball ist interessant, nur sollte man nicht übertreiben; die Argumente der Holocaust-Leugner sind schon in logischer Hinsicht nicht gut, Barcelona und Amsterdam sind schön, Dresden ist bedauernswert ob seiner - auch von den Angloamerikanern heute ach so bedauerten - Zerstörung im Krieg, trägt aber sein Schicksal ohne Opfergetue, New York hingegen ist eine wunderschöne Stadt, aber hat jetzt die Todesstrafe eingeführt, was weniger schön ist, sodass Eco seine Vorstellungen, dort wohnen zu können, revidieren muss, "denn wie kann man in einer Stadt leben, wo getötet wird, um zu lehren, dass man nicht töten darf?" Die Todesstrafe ist überhaupt nicht gut, deshalb sollte man Hinrichtungen im Fernsehen direkt übertragen und ihre Befürworter zum Zusehen verpflichten. Der Zusammenbruch eines Imperiums bringt verschiedene Gefahrenmomente mit sich.

Das vorliegende Buch des Erfolgsautors Umberto Eco besteht aus einer Auswahl von Texten aus dem im Jahr 2000 erschienenen Band "La Bustina di Minerva".
"La Bustina di Minerva" ist der Titel einer seit März 1985 auf der letzten Seite des Römischen Nachrichtenmagazins "L'Espresso" erscheinenden Kolumne und bezieht sich auf jene kleinen Streichholzhefte, die von einer Firma mit dem Namen "Minerva" hergestellt werden, und deren Deckel innenseitig als Notizzettel verwendet wird. Eine Auswahl dieser Texte wurde unter der deutschen Übersetzung "Streichholzbriefe" u.a. in der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlicht.

Diese Kolumnen Ecos sind allesamt von bestechender Vernunft, tiefer Menschlichkeit und bewundernswürdiger Klugheit. Wer würde auch obigen Aussagen schon widersprechen? Diese hehren Ansprüche schließen auch keineswegs durchgehend Ironie, Witz und Pointiertheit aus, sodass hin und wieder während der Lektüre sogar ein kleines Schmunzeln aufkommen kann. Die klare gebotene Stellungnahme für das Gute, Edle und Richtige erfordert mitunter auch das unmissverständliche Aussprechen von Binsenweisheiten. Auch Originalitätssucht kann man Eco keineswegs zum Vorwurf machen (der beste Beitrag des Buches, nämlich der Namensgebende über Derrick, beruht weitgehend auf der Wiedergabe fremder Analysen), wenngleich auch kein Kolumnenschreiber dieser Welt gänzlich frei von Selbstgefälligkeit und Eitelkeit sein dürfte.

Heiße Eisen scheut Eco nicht, und seine Sichtweise des auch Italien stark betreffenden Migrationsproblems wird ihm dort zweifellos nicht nur Zustimmung einbringen. Schrieb er etwa 1990 anlässlich Florentinischer Rassenunruhen: "Die großen Wanderungen hören nicht auf. Was sich da vor unseren Augen abzeichnet, ist einfach eine neue Phase der afro-europäischen Kultur", so wurde er 1995 schon deutlicher: "Kein Grund zur Aufregung: So wie die Etrusker verschwunden sind, werden auch die Italiener verschwinden. Seit einiger Zeit wird ja schon gesagt, dass wir uns auf ein farbiges Europa einrichten müssen, und das wahre Problem ist, ob diese Nicht-Europäer dann noch an die Sorbonne und nach Oxford gehen können. Wenn jedoch auch Siena - nur so als Beispiel - ein Mega-Slum würde, bewohnt von chinesischen Jugendlichen, die auf kongolesische Jugendliche schießen, dann wäre das schade (für Siena, für die Chinesen und für die Kongolesen)."

Die Frage, ob dies alles (zumindest in absehbarer Zeit) so kommen müsse, kann sich einem Links-Liberalen (mit starker Akzentuierung auf Letzterem) natürlich nicht stellen. Anerkennenswert ist immerhin jedoch die harte Ehrlichkeit, mit der dieses Problem in Italien diskutiert wird, die Deutlichkeit, mit der Eco sagt: "Ja, so ist es, aber ich finde es nicht unerträglich", zumal in unserem Land Zukunftsszenarien dieser Art weitgehend tabu sind. Die Texte über Bevölkerungsexplosion und Migration zählen denn auch - unabhängig, ob man die darin vertretene Meinung teilt oder nicht - zu den besten dieses Buches.

(Franz Lechner; 07/2002)


Umberto Eco: "Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß"
Carl Hanser, 2000. 185 Seiten.
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