Horst Michael Hanika: "Das Chaos Syndrom"

Warum Hierarchien nicht funktionieren, wie sie sollen


Die goldene Regel lautet: Es gibt keine goldene Regel. (George Bernard Shaw)

Grundlagen der Konfusionsforschung

Warum funktionieren Hierarchien nicht so, wie sie sollen? Mit dieser Frage beschäftigt sich Horst Michael Hanika in seinem Buch "Das Chaos Syndrom". Da der Begriff "Chaosforschung" bereits von den Naturwissenschaften belegt ist, bezeichnet der Autor sein Forschungsfeld, das sich mit dynamischen Vorgängen in Hierarchien befasst, als "Konfusionsforschung". Dieser Begriff sei noch untertrieben, so der Autor, da das Ganze einem Gang durchs Irrenhaus gleichkomme.

Hanika stützt sich auf die drei bekannten Hypothesen "Peter-Prinzip" (Innerhalb eines Unternehmens wird jeder Mitarbeiter so lange befördert, bis er die Stufe der Unfähigkeit erreicht hat.), "Murphys Gesetz" (Alles was schief gehen kann, geht schief.) und "Parkinsons Gesetz" (Jede Arbeit dauert so lange, wie Zeit für sie zur Verfügung steht.) und erweitert diese um einige Faktoren, die ihm bei seinen langjährigen Beobachtungen aufgefallen sind.

Herausgekommen ist ein gleichermaßen unterhaltsames wie aufrüttelndes Buch, welches durch eine etwas andere Perspektive besticht. Alles nur Satire? Jedermann kann sich zum Thema eine fundierte Meinung bilden. Es reicht eine (selbst)kritische Analyse der Hierarchien, in die man als Bürger, Arbeitnehmer, Vereinsmitglied etc. eingebunden ist.

Hanika beschreibt ausführlich die Ursachen des Chaos. Diese liegen im Menschen, in der Struktur und in den Prozessen begründet. Aufschlussreich ist die umfassende Beschreibung der verschiedenen Charaktere in Hierarchien und ihr Einfluss auf die Organisation. Deutlich wird: Die Motivation der Einzelpersonen harmoniert nicht mit dem Ziel der Organisation. Die Strukturen sind historische Artefakte, aufgebläht und überwiegend mit internen Prozessen belastet. Es geht um den reinen Selbsterhalt, der durch Hanikas Hypothese: "Der Zweck einer Organisation ist ihre Existenz." treffend beschrieben wird. Die komplexen Wechselwirkungen in Hierarchien werden wesentlich durch das Peter-Prinzip und die Wirkungen von Murphys Gesetz beeinflusst. Hierzu gehören Erfahrungen wie: "Je höher die Kosten einer Investition, desto geringer die Chance, dass sie unterbleibt.", "Eine geforderte Mindestleistung ist das Maximum dessen, was erreicht wird." und (Jeder kennt dieses Phänomen!) "Die Glühbirne des Projektors geht zu Beginn der Konferenz kaputt."

Der Kampf gegen das Chaos ist ein schwerer, nahezu aussichtsloser Kampf, da alle Lösungen widersinnig sind. Warum ist das so? Werden alle relevanten Faktoren in die Problemlösung einbezogen, resultiert daraus die Erkenntnis: "Die absolut perfekte Methode ist absolut unanwendbar!" Also ist eine Problemvereinfachung erforderlich, bei der Einzelaspekte, meist Nebensächlichkeiten, herausgegriffen werden. Im Extremfall reduziert sich das Problem auf eine einzelne Hypothese, für die dann Expertenmeinungen eingeholt werden. Diese weisen unterschiedliche Lösungen aus. Die notwendige Entscheidung führt zu folgender Absurdität: "Von zwei absolut richtigen Lösungen wird die absolut falsche genommen."

Im Kapitel "Die Durchsetzung von Lösungen" findet der Leser Zynismus pur vor. Hier geht es um "Macht", "Zwang" und "Täuschung". Während der Einstieg in das Thema mit dem Slogan: "Wer kein Ziel hat, erreicht es leichter." beim Leser ein müdes Lächeln hervorruft, wirft der Sinn der Macht ("Ziel der Macht ist mehr Macht") Fragen auf. Zwangs- und Täuschungsmethoden werden gegenüber dem, was der Leser vielleicht aus der Managementliteratur kennt, umgedeutet. Fazit: (Falsche) Lösungen werden trickreich durchgesetzt.

Was sind die Folgen? Das Chaos ist unerbittlich: Entsprechend dem Schmetterlingseffekt schaukeln sich kleine Ursachen zu unberechenbaren Wirkungen auf. Der Einfluss der Nebenwirkungen führt zum Paradoxon: "Lösungen sind die hauptsächliche Ursache von Problemen." Die Katze beißt sich in den Schwanz.

Man kann eine Hierarchie aus dem Blickwinkel der Ordnung oder aus dem Blickwinkel des Chaos betrachten. Der Autor betrachtet das Geschehen - entgegen der üblichen (Berechenbarkeit implizierenden) betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise - aus dem Blickwinkel des Chaos. "Wer angesichts der erdrückenden Indizien an die Vormacht der Ordnung glaubt", so der Autor, "ist ein Opfer der Asymmetrie menschlichen Erlebens; wir sehen nur, wofür unser Gehirn konditioniert ist: die Ordnung." An dieser Stelle wird es schwierig: Welchen Rat kann man einem Buch entnehmen, welches Ratlosigkeit aufgrund chaotischer Verhältnisse propagiert? Die Beteiligten einer Hierarchie sollten sich und ihr System (und auch das Buch?) nicht allzu ernst nehmen. Chaos ist die kreative Kraft der Natur und geradezu erforderlich, um die Entwicklung voranzutreiben und neue Ordnungssysteme zu schaffen. Der Mensch in seinem Mittelpunktswahn hält sich selbst verantwortlich für die Schöpfung neuer Strukturen, ist aber in Wirklichkeit nur ein Opfer der Umstände. Wäre eine linear extrapolierbare Welt nicht auch extrem langweilig?

Im letzten Kapitel erläutert Hanika das auch in den Naturwissenschaften bekannte Prinzip "Selbstorganisation". Aus dem Chaos heraus können ohne besondere organisatorische Gestaltungsabsicht spontan neue, stabile, effiziente Strukturen und Verhaltensweisen entstehen. Auf Organisationsstrukturen angewandt bedeutet das eine Abkehr von der pyramidenförmigen hierarchischen Struktur. Stattdessen sind einzelne Einheiten (Cluster) durch einen losen Verbund miteinander verknüpft. Man erhofft sich von diesem Modell einen besseren Umgang mit dem Chaos und damit ein höheres Maß an Innovation.

Horst Michael Hanika, geboren 1941, war Berufssoldat. Als Generalstabsoffizier lernte er alle Hierarchien der Bundeswehr bis zum Verteidigungsministerium sowie zivile obere Bundesbehörden kennen. Zwei Jahre verbrachte er an der italienischen Kriegsakademie und vier Jahre in NATO-Stäben. Es folgte eine Karriere in der Großindustrie.

(Klemens Taplan; 04/2005)


Horst Michael Hanika: "Das Chaos Syndrom"
Signum, 2005. 232 Seiten.
ISBN 3-85436-367-2.
ca. EUR 20,50.
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