Was ist eigentlich Anarchie?

„anarchie ist nicht chaos – sondern ordnung ohne herrschaft!“


Vorweg ein Zitat von Immanuel Kant: Anarchie ist Gesetz und Freiheit ohne Gewalt.

Mit Anarchismus bezeichnet man Utopien und Theorien freiheitlicher Gesellschaften ohne Macht und Herrschaft von Menschen über Menschen. Die Freiheit des Menschen als höchster Wert erträgt keine Regierung, gleich welcher Legitimation, auch nicht die Demokratie, da deren Realisierung die Herrschaft der Mehrheit auf repräsentativem Wege bedeutet. Neben dem Staat bekämpfen die Anarchisten das von diesem geschützte Privateigentum an Produktionsmitteln, das Herrschaft von Menschen über Menschen ermöglicht. Das Eigentum an sich soll nicht mit dem großen Bann belegt werden, sondern veredelt und mit den Ansprüchen der Gerechtigkeit und Gleichheit in Übereinstimmung gebracht werden. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sind die theoretischen Ziele des Anarchisten; Gewalt, Attentat, Mord waren allzu oft ihre Praxis; „Anarchie ist (eine) Ordnung“ ging vergessen und wurde nicht nur im allgemeinen Verständnis ersetzt durch „Anarchie ist Chaos“. Ausgangspunkt ist das Bild von einem freien, von Natur (von Geburt) aus weder guten noch bösen, in seinen Eigenschaften nicht vorherbestimmten damit allseits entwickelbaren Menschen. Das, was seinen Charakter ausmache, sei das Ergebnis der auf ihn wirkenden Einflüsse. Eine Variante des Anarchismus ist der sogenannte „Individual-Anarchismus“. Die radikalste Ausprägung findet der „Individual-Anarchismus“ in den Schriften von Max Stirner (Buchtitel: Der Einzige und sein Eigentum). Demokratische Mehrheitsentscheidungen, ja sogar einmütige Willensbekundungen des Volkes sind dem „Einzigen“ eine Freiheitsfessel. Fetischen wie insbesondere Moral, Gott, Freiheit, Wahrheit, Vaterland, Gemeinwohl, Gesetz, Recht, ist ihre unheimliche Heiligkeit zu nehmen. Stirners Egoismus geht bis zur Selbstvergötterung: „Ich allein bin leibhaftig. Und nun nehme Ich die Welt als das was sie Mir ist, als die Meinige, als Mein Eigentum. Ich beziehe alles auf Mich.“ Stirner hatte großen Einfluss auf andere Denker, wie Friedrich Nietzsche, und wurde von Karl Marx als Sankt Max verspottet.
In der geschichtlichen Abfolge entwickelte sich der kollektive Anarchismus, insbesondere im Widerstreit zum autoritären Kommunismus marxistischer Prägung. Der kollektive Anarchismus postuliert: Die Freiheit ist das absolute Recht aller erwachsenen Männer und Frauen, für ihre Handlungen keine andere Bewilligung zu suchen, als die ihres eigenen Gewissens und ihrer eigenen Vernunft... . Nicht als menschlich degenerierter Stirnerscher „Einziger“, sondern als soziales Wesen kommt der Mensch zum Bewusstsein seines Menschseins. Nur als sozialer Mensch erfährt der Mensch Freiheit. Freiheit ist keineswegs Sache der Isolierung, sondern, die Freiheit jedes Menschen ist nichts anderes als die Spiegelung seines Menschentums oder seiner Menschenrechte im Bewusstsein aller freien Menschen.

Es ist unmöglich den vielen Spielarten anarchistischen Denkens in der gebotenen Kürze auch nur annäherungsweise gerecht zu werden. Die philosophische Schärfung des Begriffs von der Freiheit mag sein großer Verdienst sein (v.a. auch im Hinblick auf den Existenzialismus). Anarchismus ist insbesondere auch Emanzipationskultur. Hingegen verliefen sich Anarchisten allzu oft in romantischen Non-Konformismus und gebärdeten sich zuweilen als lächerliche Revolutionäre in nichtrevolutionären Situationen. Anarchismus als antiautoritär-experimenteller Lebensstil hat einen innovativen Charakter, gern geübt von Künstlern. Als Bohemien ist der Anarchist harmlos, und seine Gesellschaft verschmäht auch der Kapitalist nicht. Der Anarchismus kennzeichnet ein Aufbegehren gegen die Entfremdung des Menschen von sich und den anderen. Seine Faszination liegt nicht in der Großartigkeit des intellektuellen Entwurfs freiheitlicher Gesellschaft, sondern im subjektiv-emotionalen Bereich. Anarchisten erscheinen als heldenhafte Märtyrer im Ringen um individuelle Freiheitsräume in hochtechnisierten Gesellschaften; als Missionare der Selbstbestimmung.

(misanthropos; Mrz/2002)


 

und für Interessierte hier auch gleich eine Anarchistenseite

sowie eine über Max Stirner