Yann Martel: "Schiffbruch mit Tiger"


"Es ist nicht die biologische Notwendigkeit, die den Tod immer die Nähe des Lebens suchen lässt - es ist der Neid. Das Leben ist so schön, dass der Tod sich in es verliebt hat, ein eifersüchtiger, gieriger Liebhaber, der an sich rafft, was er zu fassen bekommt."

Ein wundervolles, farbenprächtiges, mitreißendes, atemberaubendes Buch. Eine Geschichte die so unglaublich ist, dass man innig wünscht, sie möge wahr sein. Eine Geschichte darüber, dass man Gott in jedem Glauben finden und lieben kann, dass Religion etwas Verbindendes sein sollte und nichts Trennendes.

Das Abenteuer beginnt in Indien, dort begegnen wir Piscine Molitor Patel, dem Sohn eines Zoodirektors in Pondicherry. Dieser Junge beweist, dass man sowohl praktizierender Christ als auch Hindu und Muslim sein kann und durch diese Vielfalt sein Leben nur bereichert. Pi, wie er sich selbst nennt, wächst im Zoo mit einer Unmenge an Tieren auf und ist fasziniert von deren Schönheit, Eigenwilligkeit und ihrem Territorialverhalten. Eines Tages führt der Vater Pi und seinem Bruder die Gefährlichkeit von bengalischen Tigern vor, indem er die Jungen zwingt zuzuschauen, als er eine Ziege in das Gehege von "Richard Parker" lässt und dieser das Tier innerhalb weniger Sekunden reißt. Die beiden Burschen sind sprachlos.

Infolge der politischen Situation beschließt die Familie nach Kanada auszuwandern. Nach langen Vorbereitungen besteigen sie gemeinsam mit einigen der Tiere, die an einen kanadischen Zoo verkauft wurden, ein Schiff, das sie zu ihrem Ziel bringen soll. Doch das Schiff geht unter, und Pi kann sich durch einen Zufall in ein Rettungsboot flüchten.
Allerdings ist dieses Boot bereits von einer Hyäne, einem Zebra und einem Orang-Utan belegt. Als das Rettungsboot im Meer treibt, sieht Pi plötzlich "Richard Parker", den 450 Pfund schweren bengalischen Tiger, im Meer schwimmen. Pi erkennt, dass der Tiger am Ende seiner Kräfte ist und das Rettungsboot noch fern. Er ruft ihm zu, motiviert ihn, wirft ihm einen Rettungsring zu. Erst als der Tiger ganz knapp beim Rettungsboot angelangt ist, wird ihm die Konsequenz seines Handelns bewusst, doch nun ist es zu spät, und Pi fragt sich voller Bangen: "Bin ich die nächste Ziege?"

Dieser Frage lohnt es sich wirklich nachzugehen. Der Leser erfährt die Geschichte einer wundersamen, abenteuerlichen Odyssee und lernt den Romanhelden Pi, einen sechzehnjährigen Jungen, kennen, der nicht bereit ist aufzugeben und offensichtlich zu den Menschen gehört, die kämpfen und kämpfen, egal welche Opfer die Schlacht verlangt und wie gering die Aussicht auf Erfolg ist.
Yann Martel ist es mit diesem Buch gelungen, eine erfrischende und originelle Geschichte zu erzählen, die aufregender nicht sein könnte. Dieser Roman ist ein absolutes Muss. Der Leser wird in eine Welt voller Schönheit, Gefahr und Spannung versetzt, die ihn in seien Bann zieht.

Der in Spanien geborene Diplomatensohn und nunmehrige kanadische Schriftsteller Yann Martel sah sich jedoch nicht nur mit Anerkennung, sondern  auch - vorübergehend - mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert, sollen doch die Grundzüge der Handlung jenen der 1981 erschienenen Novelle "Max e os felinos" ("Max und die Katzen") des brasilianischen Autors Moacyr Scliar über weite Strecken recht ähnlich sein ...
Jedenfalls findet sich im Vorwort folgender Satz: "Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Mr. Moacyr Scliar, der dem Buch Leben einhauchte." Dies obwohl Martel darauf beharrt, nicht das Buch des Brasilianers, sondern nur eine Rezension gelesen zu haben. Wie auch immer, "Schiffbruch mit Tiger" brachte Martel im Jahr 2002 den "Booker-Preis" ein.

(margarete)


Yann Martel: "Schiffbruch mit Tiger"
(Originaltitel "Life of Pi")
Deutsch von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié.
Fischer.
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