Michela Cessari: "Abendliche Grammatik in Blau"
Gedichte und Prosa
Gepflegte
Parallelwelten
Die Autorin (Jg. 1962), deren Muttersprache eigentlich Italienisch ist,
legt hier Gedichte und Prosa auf Deutsch vor. Der Band beginnt quasi
vorsichtig tastend mit "Sekundengedichten" - zusammenhanglose
Situationen oder Reflexionen mit teils absurden, teils banalen
Momenten: "Dass ich dastehe / Obwohl / Mein
Blut / Vor eintausend
Jahren / Erfror" - oder: "Ich träum von einem
Kuss / Du
bringst mir nur Verdruss." Da ist die Rede von "Amputiertenseelen" oder
von "Traumschutt", von "kaleidoskopischen Seifenblasen in Elfenbein",
da gibt es "Lilienfüße" und
"Orchideenknabenhände". Ein Gedichtzyklus ist dem Pierrot
gewidmet - eine sehr romantische Anwandlung.
Cessari kreiert jede Menge sentimentaler, teilweise auch gewagter
Bilder, ihre Sprache ist durchweg poetisch zu nennen.
Überraschende und eingängige Wortschöpfungen
machen die Lektüre durchaus interessant. Eine stilistische
"Sprachfeier" ist das Titelgedicht "Abendliche Grammatik in Blau":
"ganz / Ohne Krise eine trunkene Kontrastfarben- / Klangorgie im
Perfektpartizip / Oder Futur II dem passiven Imperativ / Zum Trotz."
Cessari arbeitet mit bildungsbürgerlichen Topoi, erzeugt
öfters quasi eine archaische bzw. antikisierende Parallelwelt
zur Moderne. Dieses in etlichen Gedichten praktizierte Muster bricht
noch einmal überdeutlich in der letzten, längeren
Prosa durch. Eine junge Frau erlebt das heutige Berlin in einer
eigentlich homerischen Atmosphäre mit entsprechendem
"göttlichen" Personal. Für Freunde der gepflegten und
gebildeten Literatur eine lohnende Lektüre.
(KS; 08/2006)
Michela
Cessari: "Abendliche Grammatik in Blau"
Königshausen & Neumann, 2006. 123 Seiten.
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Michela Cessari, geboren in Pisa, studierte Germanistik und Romanistik in Pisa, Freiburg i. Br. und Frankfurt a. M. Promotion 1995. Lehraufträge im Fachbereich Germanistik in Frankfurt, Eichstätt und Berlin. Zahlreiche Beiträge in Literaturzeitschriften. Sie lebt als freie Schriftstellerin in Berlin.