Lily Brett: "Von Mexiko nach Polen"


"Ich gerate so leicht in Stress. Ich kann überall hysterisch werden. Ich kann an Orten angespannt sein, die andere aufsuchen, um sich zu entspannen. Ich kann in der Sauna, im Schönheitssalon und im Jogakurs angespannt sein."

Mein absolutes Lieblingsbuch! Aber das denke ich nach der Lektüre eines jeden Buches von Lily Brett. Selten, dass es eine Autorin geschafft hat, mich so tief zu berühren. Mich, einen sehr kontrollierten Menschen, zu Lachausbrüchen in der U-Bahn zu motivieren, grenzt an ein kleines Wunder. Bei diesem Buch gelingt es aber tatsächlich, alles um sich herum zu vergessen. Sehr feinfühlig beschreibt Lily Brett eine Reise von Mexiko nach Polen, die auch vor dem Dickicht ihrer Gefühle nicht Halt macht. Herrlich die Beschreibungen ihrer Aufenthalte in Mexiko, des Aufeinanderprallens verschiedener Kulturkreise. Ihre Suche nach Ruhe und Entspannung, um zu schreiben, wird durch immer wieder erfolgende alltägliche Störungen durchbrochen, angefangen bei der Verstopfung der Toilette, der Bewässerung ihrer Notizen durch den Gärtner und dem sehr unbekümmerten Umgang des Dienstmädchens mit ihren Proportionen. Sie schildert die Anziehungskraft dieser bemerkenswert offenen Menschen, die oft auf engstem Raum mit der ganzen Familie leben, und beklagt ihre Unzulänglichkeit, wenigstens ein gemeinsames Familienwochenende zu koordinieren.

Sehr ehrlich ist die Auseinandersetzung mit ihren eigenen Aggressionen, vor denen sie sich trotz aller Therapiestunden immer noch fürchtet, und vielen Unzulänglichkeiten und Marotten, die ihr Leben manchmal dramatisch erschweren. Lily Brett beschreibt auf sehr kluge und schonungslose Art den Umgang mit persönlichen und allgemeinen Katastrophen, so wie einerseits das Feuer, das ihre eigene Wohnung und damit Teile ihrer Vergangenheit zerstört hat, und andererseits die Verzweiflung, die ganz New York nach dem 11. September 2001 empfunden hat. Schwierig gestaltet sich der Aufbau eines neuen Lebens in beiden Fällen, da die Mutlosigkeit und der Schock schwer zu überwinden sind.

Erstmals gibt Lily Brett unumwunden ihre Liebe zu New York preis und erklärt, dass gerade diese Stadt sie daran gehindert hätte, selbstgefällig zu werden. Auch ihre sehr kontroversielle Beziehung zu Polen ist Thema dieser berührenden Erzählung. Immer wieder spürt sie die Anziehungskraft der Konzentrationslager und besucht Auschwitz und Birkenau. Hier sucht sie nach den Überbleibseln jener, die hier durchgingen und überzeugt den Leser, dass von jedem, der jemals hier war, etwas hinterblieben ist. Kritisch hinterfragt sie den heutigen Umgang mit diesen Stätten, ist verwundert, dass es jemandem möglich ist, in einem dort installierten Restaurant zu speisen. Sie zieht auch Parallelen zum 11. September 2001 in New York und erkennt schockiert, wie rasch nach einer derartigen Katastrophe selbst Menschen der Mittelklasse wie Flüchtlinge wirken.

Ein sehr intensives Buch, voller Lachen und Weinen, voller Liebe und Schmerzen - ein Buch wie ein wunderschönes, manchmal sehr bitteres, aber intensives Leben.

(Margarete Wais)


Lily Brett: "Von Mexiko nach Polen"
Aus dem Englischen von Melanie Walz.
Suhrkamp.
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Ein weiteres Buch der Autorin:

"Immer noch New York"

Die lange erwartete Fortsetzung von "New York"
"In Downtown Manhattan sah man oft einen Mann, der mit einem Papagei auf dem Kopf herumspazierte. Ein Papagei weckt in New York kein großes Interesse, ein Papagei auf dem Kopf eines Mannes schon."
Lily Brett, die australische New Yorkerin mit europäischen Wurzeln, steckt mittendrin, und um die Stadt einzufangen, hält sie sich selbst den Spiegel vor. Hinreißend erzählt sie von ihren Nöten, einen halbwegs anständigen Büstenhalter im Greenwich Village zu erstehen, vom befremdlichen Anblick der Schoßhündchen in Regenmänteln und Sonnenbrillen, vom überbordenden Großstadtverkehr. Und zum Glück gibt es in dieser ziemlich hektischen Stadt auch Winkel der Ruhe und des Friedens, den Geruch von frisch gebackenem Brot und die entwaffnend ehrlichen Gespräche mit ihrer Kosmetikerin. Denn in Manhattan ist nichts unbedeutend und nichts selbstverständlich.
Lily Bretts Kolumnen sind Klassiker. Denn in der tragikomischen Mischung aus Autobiografie und kleinen Alltagsvignetten schimmern die großen Themen des Lebens durch. (Suhrkamp)
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