Lily Brett: "Ein unmögliches Angebot"


Sechzehn Geschichten voller Affären, Klatsch und Tratsch

Es gehört längst zu den brachenüblichen Gepflogenheiten, dass Verlage im deutschen Sprachraum die frühen Werke inzwischen etablierter fremdsprachiger Autoren nach (zum Teil überraschenden) Verkaufsschlagern auf den Markt werfen; so wurde Jonathan Franzens Romanerstling "Die 27ste Stadt" aus dem Jahr 1988 nach dem Erfolg des später entstandenen gefeierten Werkes "Die Korrekturen" auf Deutsch publiziert, geht doch der jeweilige Verlag solcherart ein ungleich kleineres finanzielles Risiko ein, als es beispielsweise bei Erstübersetzungen bislang vielleicht lediglich in ihren Heimatländern erfolgreicher Schriftsteller der Fall wäre. Es ist bekanntlich allemal mit geringerer Anstrengung verbunden auf einen rollenden Zug aufzuspringen, als diesen selbst in Bewegung zu setzen.
Dem Umstand, dass sich manche Leser demzufolge mitunter scheinbaren "stilistischen Schwankungen" (aufgrund der nicht chronologischen Veröffentlichungen) ausgesetzt sehen, die sie nicht ausnahmslos goutieren, scheint kaum Beachtung geschenkt zu werden ...

"Ein unmögliches Angebot" fügt sich auf den ersten Blick nahtlos in diese Art der Literaturwirtschaft ein: Lily Bretts Geschichtensammlung erschien bereits 1991 in Australien, immerhin 13 Jahre bevor sie sozusagen im deutschen Sprachraum eintraf. Die Autorin hat seither auch hierzulande eine treue Leserschaft gefunden, somit war es tatsächlich lediglich eine Frage der Zeit, bis auch Lily Bretts Debüttitel der derzeitigen Tendenz entsprechend Einzug halten würde. Im Gegensatz zu manch anderen "Publikationsnachzüglern" befindet sich "Ein unmögliches Angebot" jedoch auf einem Niveau mit Bretts späterem Schaffen, und die Lesergemeinde wird darin die aufgrund von Büchern wie "Alles halb so schlimm" und "Von Mexiko nach Polen" liebgewonnene, unverwechselbare Tonart erfreut wiedererkennen.

Mehr oder weniger alltägliche, bisweilen auch skurrile Begebenheiten werden in sechzehn lose verbundenen Geschichten geschildert, autobiografische Elemente reichern die mit sanftem Humor umsponnenen, teilweise komischen, teilweise bewegenden Episoden an. Ort des Geschehens ist das australische Melbourne, wo eine jüdische Gemeinschaft ansässig ist, der auch Ruthie Brot, eine eingefleischten Brett-Lesern nicht Unbekannte, angehört, die in "Ein unmögliches Angebot" ihren ersten Auftritt hat, im Zuge dessen sie einer Bekannten den Mann ausspannt.
Auch die Themenschwerpunkte sind - aus Lily Bretts späteren Büchern - bekannt: neurotische Beziehungen, alltägliche Dramen, familiäre Verwicklungen, Generationenkonflikte, Sexualität, Leidenschaft und Mitgefühl sowie die Bewahrung der Erinnerung.
Die Geschichten entwerfen ein dichtes Netz aus Beziehungen und Gefühlszuständen. Lily Bretts Protagonisten sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen, verbunden vor allem, aber nicht nur, durch die gemeinsame tragische Vergangenheit: Alle sind sie Nachkommen von Überlebenden des Holocaust.

Die Männer in "Ein unmögliches Angebot" bleiben eher im Hintergrund, wenn sie nicht gerade ihre Gattinnen betrügen; eine bekannte Journalistin plant nach drei gescheiterten Ehen einen Neuanfang in Israel, eine nach Perfektion strebende Ehefrau findet einen Weg, mit den Techtelmechtel ihres Angetrauten umzugehen, eine Verheiratete verlautbart ihren Unmut über ihren Gatten an der Fassade, ein Witwer in vorgerücktem Alter heiratet eine Philippinin und zeugt ein Kind, auch von einer nach jahrelanger Therapie unverändert neurotischen Dame ist zu lesen.

Wenngleich jede der Figuren ihre eigenen Probleme zu bewältigen sucht, der individuelle Umgang mit Schuldgefühlen und Angstempfindungen ein anderer sein mag, haben sie doch auch einiges gemeinsam, beispielsweise - trotz aller Seitensprünge und Scheidungen - das Bedürfnis nach Familienzusammenhalt, das Verlangen danach, einer (Glaubens-)Gemeinschaft anzugehören, aber auch aufgestauten Ärger, Zweifel und grundlegendes Misstrauen; dies alles nicht ohne Selbstironie, was die Charaktere bis zu einem gewissen Grad sympathisch erscheinen lässt.

(Franka Reineke)


Lily Brett: "Ein unmögliches Angebot"
(Originaltitel "What God Wants")
Aus dem Englischen von Melanie Walz und Brigitte Heinrich.
Suhrkamp.
Buch bei amazon.de bestellen

Ein weiteres Buch der Autorin:

"Chuzpe"

"Schmonzes", sagt Edek, als seine Tochter Ruth ihn ermuntert, sich einem Lesezirkel anzuschließen. Seine Kriminalbücher, sagt er, könne er ganz alleine lesen. Schmonzes sagt Edek auch zu Schwimmunterricht, Massagen und der Mitgliedschaft in einem jüdischen Seniorenclub. Ruth begreift nicht sofort, dass ihr Vater, vor wenigen Wochen erst von Melbourne zu ihr nach New York gezogen, weit davon entfernt ist, einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. Und dass Lebensabend überhaupt der falsche Begriff ist für den munteren Siebenundachtzigjährigen, der sich erst in Ruths Korrespondenzbüro nützlich zu machen versucht, indem er täglich Unmengen von Papier und Büroklammern bestellt - und wenig später ein Verhältnis beginnt mit der (wie Ruth findet, viel zu jungen) Polin Zofia (69). Al  Edek zusammen mit Zofia und deren Freundin Walentyna auch noch ein Restaurant an der Upper East Side eröffnen will, das auf polnische Fleischbällchen spezialisiert ist, bangt Ruth gleichermaßen ums Erbe und um ihre Nerven.
Ein Roman über Väter und Töchter, polnische Küche und New Yorker Neurosen; eine Geschichte ernster Irrungen und komischer Wirrungen, erzählt mit genau der Mischung aus Witz, Wärme und Verstand, die Lily Bretts Stimme so unverwechselbar macht. (Insel)
Buch bei amazon.de bestellen