Dr. Wenzel Jacob (Hrsg.): "Angkor"

Göttliches Erbe Kambodschas


Kunst und Kultur in Kambodscha von den Anfängen bis in die heutige Zeit

Die Khmer-Kultur und Angkor faszinieren jeden Freund asiatischer Kunst und Architektur. Wenngleich sich die kambodschanische Kunst sowohl bezüglich der vor allem religiös inspirierten Motive als auch des Stils zu einem erheblichen Teil aus dem indischen Vorbild ableitet, so hat sich um Angkor doch etwas Unvergleichliches entwickelt.

Das Buch umfasst sechs Abschnitte:

I Die Geburt eines Mythos
II Vorgeschichte und erste Khmer-Reiche am Mekong bis zum 8. Jahrhundert
III  Angkor als Zentrum der Macht 9. bis 12. Jahrhundert
IV Angkor Thom und das Imperium von Jayavarman VII. 
Ende 12. bis Anfang 13.Jahrhundert
V Die Rückkehr an den Mekong - Kontinuität und Wandel
15. bis 20. Jahrhundert
VI Nationale Identität und das Bewahren des Kulturerbes
im heutigen Kambodscha

Im ersten Abschnitt lernt der Leser die wechselhafte und häufig durch die üblichen Vorurteile geprägte Geschichte der Wiederentdeckung Angkors teils durch Khmer-Herrscher, teils durch Europäer ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert kennen. Der zweite Abschnitt schildert die Besiedlung der fruchtbaren Gebiete am Mekong seit etwa 4.000 v. Chr., vor allem aber die beiden Reiche Funan und Zhenla, die Angkor vorausgingen. Besondere Bedeutung erlangt der in der Tempelarchitektur des 7. und 8. Jahrhunderts vorherrschende Einfluss von Buddhismus und Brahmanismus. Die vorzüglich gearbeiteten Statuen und Heiligtümer verweisen bereits deutlich auf Angkor, dem der dritte Abschnitt gewidmet ist: Nachdem Jayavarman II. den Thron bestiegen hatte, kam der Angkor-Stil mit den berühmten großflächigen, an typischen Ornamenten reichen Anlagen und den Statuen mit charakteristisch kantigen Gesichtern auf. Ganz besonders ziehen den Betrachter die üppigen Reliefs in den Bann, die umfangreiche Geschichten erzählen, zumeist religiöse Epen wie das Ramayana in seiner Khmer-Variante.

Zur im vierten Abschnitt thematisierten Regierungszeit von Jayavarman VII. hatten neue religiöse Richtungen Eingang in das Khmer-Reich gefunden, die sich in den reichen Formen der Anlage von Angkor Thom niederschlugen, deren Bau sich über mehrere Etappen hinzog. Im vierzehnten Jahrhundert ging die Zeit der Tempelbauten zu Ende. Im fünften Abschnitt wird die darauf folgende Zeit behandelt, die von wechselnden Abhängigkeiten Kambodschas handelt, das zumeist unter Thai- oder vietnamesischem Einfluss stand, bis Frankreich es zu seinem Protektorat machte. Ausdrucksvolle, symbolstarke, weiterhin am Vorbild von Angkor orientierte Kunst entstand weiterhin - auch im 20. Jahrhundert.

Der letzte Abschnitt befasst sich mit der internationalen Arbeit am Kulturerbe Kambodschas und der Vorreiterrolle, die kambodschanische Fachkräfte nach Ende des Bürgerkrieges immer mehr bei der Konservierung und Restaurierung der Khmer-Kunst übernehmen. Hier zeigen sich viel versprechende Entwicklungen, die freilich nottun, denn der Verfall schreitet rasch voran.

Dieses Buchprojekt wurde anlässlich einer noch bis zum 9. April 2007 in Bonn stattfindenden Ausstellung realisiert und kann als Ausstellungskatalog dienen, denn die Exponate sind darin abgebildet und ausführlich beschrieben, kommentiert und im kulturellen und kunst- beziehungsweise architekturgeschichtlichen Zusammenhang interpretiert. Sie stammen übrigens, was die Ausstellung bisher einzigartig macht, aus verschiedenen europäischen und amerikanischen Sammlungen, vor allem aber auch aus dem Nationalmuseum Kambodscha in Phnom Penh.

Doch das Buch geht bezüglich seines Inhalts und der Ausgestaltung weit über einen Ausstellungskatalog hinaus. Jeder der erwähnten Teile enthält zunächst eine Reihe hochinteressanter, ausführlicher Fachbeiträge, die beispielsweise durch Fotos besprochener oder im Kontext bedeutsamer Bauwerke oder architektonischer Details, durch Anlagenpläne und Skizzen illustriert werden und sowohl für den bereits vorgebildeten Leser als auch, dank ihrer Anschaulichkeit, für den Laien eine Fülle von Informationen bereithalten. Die Aktualität dieser Beiträge sei besonders betont angesichts der Tatsache, dass die fortschreitenden Restaurationsarbeiten in Kambodscha viele neue Erkenntnisse hervorgebracht haben.

Ebenfalls hervorzuheben ist der Umstand, dass die Autoren das Phänomen Angkor nicht mit der Aufgabe der Tempelanlagen enden lassen, sondern aufzeigen, dass die Angkor-Kultur bis in die Gegenwart hinein ihren Einfluss auf die kambodschanische Kunst und zuweilen sogar auf das Brauchtum gewahrt hat und somit von einem Niedergang Angkors keineswegs die Rede sein kann.

Auf die Sachbeiträge jedes Buchteils folgen die Fotos und Beschreibungen der dazugehörigen Ausstellungsstücke, deren Vielfalt einen tiefen und unmittelbaren Einblick in die Kultur und Lebenswelt sowie das überlegene Kunsthandwerk der Khmer bietet. Vor allem aber bestechen die Exponate durch ihre ruhige, zutiefst anrührende Schönheit, die durch die hohe Qualität der Aufnahmen vorzüglich zur Geltung kommt.

"Angkor" bietet dem an ostasiatischer Kunst interessierten Leser, auch dem Laien, somit einen umfassenden - da aus zahlreichen Perspektiven bestehenden - Einblick in die Kunst- und Kulturgeschichte Kambodschas bis in die heutige Zeit hinein. Sachbuch und Bildband erfahren eine echte Symbiose; und mancher Leser wird, sofern ihm dies noch möglich ist, einen Besuch der besagten Ausstellung erwägen.

(Regina Károlyi; 01/2007)


Dr. Wenzel Jacob (Hrsg.): "Angkor - Göttliches Erbe Kambodschas"
Prestel, 2006. 335 Seiten. 260 farbige Abbildungen.
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