Hansjörg Pfister: "Philosophische Einführung in den frühen Buddhismus"


Auf zweierlei Pfad führt der Autor in den frühen Buddhismus, auch Theravada-Buddhismus bzw. Hinayana-Buddhimus (Buddhismus des kleinen Fahrzeugs) genannt, ein: zum einen, indem er Kernaussagen des Buddha, wie sie im Pali-Kanon, den ältesterhaltenen buddhistischen Schriften zu finden sind, mit dem Instrumentarium der abendländischen Filosofie, insbesondere der kritischen Filosofie von Immanuel Kant, durchleuchtet, zum andern, indem er diese Aussagen mit anderen indischen Denkrichtungen zur Zeit Buddhas, um etwa 500 v. Chr., vergleicht.

Wenn der Buddha im Hinayana auch als "Tathagata", als So-Gekommener gilt, der ohne Hilfe eines Gurus oder eines Systems die Erleuchtung erlangt hat, steht er, wie Hansjörg Pfister zeigt, nichtsdestotrotz vollkommen in indischer Tradition und von wenigen Ausnahmen abgesehen in krassem Gegensatz zu europäischen Geistesrichtungen, indem er nicht das Denken, sondern den Willen als erstes, grundsätzliches Prinzip des Seins annimmt. Typisch indisch ist auch das Ziel der Erlösung des Menschen von der Illusion der weltlichen Verstrickungen bzw. - sofern mit dem Glauben an die Wiedergeburt verknüpft - vom Daseinskreislauf. Einige Begriffe übernimmt der Buddha überhaupt: "Samsara", die zu durchbrechende Kette von Geburt, Tod und Wiedergeburt und "Avidya" (Unwissenheit) als der wahnhafte Bewusstseinszustand, welcher das Fortwirken dieses Kreislaufes erst ermöglicht, werden von Vedanta und Buddhismus gleichermaßen verwendet, in seinen Meditationsmethoden wiederum zeigt sich der frühe Buddhismus dem System des Sankya, welches später auch die Yogalehre des Patanjali maßgeblich beeinflusst hat, verwandt. Radikal vom Hinduismus unterscheidet sich der Buddhismus hingegen durch die Ablehnung (genauer: Nichtempfehlung der Verwendung) des Begriffs des "atman", der Einzelseele, welche im Vedanta mit "brahman" bzw. der Weltseele bzw. Gott (ein Begriff, der im Buddhismus ebenfalls kein Äquivalent hat) wesensident ist. Auch Karma, das Gesetz über die Auswirkung der Taten und Tatabsichten (umgangssprachlich: dass man erntet, was man sät) ist keine buddhistische Erfindung, allerdings, wie Pfister mit Textbeispielen aus dem Pali-Kanon belegt, vom Buddha mit neuer Bedeutung versehen, mitnichten als einfaches Gesetz von Ursache und Wirkung, in welcher Form es sich unter anderem gut zur Rechtfertigung des Kastenwesens missbrauchen ließe, aufzufassen, sondern als Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Weiterentwicklung, Saat, die je nach sonstigem Tun und Lassen des jeweiligen Menschen aufgehn, große und kleine Früchte hervorbringen kann oder auch nichts dergleichen.
Freilich erwähnt der Buddha drei Arten von Karma, wovon einer sehr wohl Notwendigkeit innewohnt. Letztere Behauptung, die für die europäische Filosofie in den Bereich Metafysik fallen würde, stellt, so Pfister, insofern eine Ausnahme dar, als der Buddha Aussagen dieser Art möglichst vermeiden wollte (wie gesagt sucht man auch vergeblich nach einem Gottes- und Seelenbegriff). Kein absolutes Wissen sollte vermittelt, vielmehr durch bloßes technisches Wissen der Weg zur Befreiung gelehrt werden, eine weitere wesentliche Charakteristik des Buddhismus, die ihn, zumindest tendenziell in ihrer Betonung des Möglichen gegenüber dem Notwendigen (Gottgewollten), des freien Moments und seiner Hintanstellung von Offenbarung, von den anderen Weltreligionen unterscheidet. Eine Rolle hierbei spielte sicher, dass der Buddha damit die Adepten vor den Fallen abstrakten Denkens und vorzeitigen Sichzufriedengebens bewahren wollte, der Autor verweist außerdem auf die große Ähnlichkeit mit dem transzendentalen Idealismus Kants und dessen Grenzziehung zwischen Wissensmöglichem und Unerkennbarem (ein gutes Beispiel ist "die psychologische Idee" bei Kant von der Nichterkennbarkeit eines persönlichen Wesenskerns à la Leibniz); der Frage Kants "Was können wir wissen?" entspräche somit die implizite Frage "Was sollen wir wissen?" des Buddha. Dass Hansjörg Pfister so weit geht, den frühen Buddhismus als Vorstufe eines transzendentalen Idealismus zu deuten, hat allerdings zumindest dieses gegen sich, dass der Buddhismus eben keine Filosofie, sondern eine Heilslehre sein will, die sich nicht in erster Linie, und schon gar nicht ausschließlich auf das Denken gründet, sondern auf Meditation und die buddhistische Erfahrung des "Nirwana" bzw. der Wahnerlöschung bzw. der "transzendentalen Synthesis" (am Ende womöglich des endgültigen Ausgangs aus selbstverschuldeter Unmündigkeit?).

Schließlich werden die vier edlen Wahrheiten unter die Lupe genommen, der viele Europäer düster anmutende Satz, wonach alles Dasein Leiden ("dukkha") ist, welchen Pfister am ehesten als Postulat der Vergänglichkeit versteht und woran ihn, zumal es sich um die erste Wahrheit handelt, stört, dass nicht klar ersichtlich ist, ob es sich um ein Urteil a priori oder a posteriori und so um eine dubios wirkende Mischung aus terminus technicus und Erfahrungsfeststellung handelt. Eine wesentlich klarere logische Form, einen schönen Konditionalnexus bzw dessen Auflösung, weisen die Wahrheiten vom Ursprung und der möglichen Aufhebung des Leidens auf. Dieser Konditionalnexus oder, wie der Buddha sagt, die Lehre vom bedingten Entstehen bzw. Entstehen in Abhängigkeit, beschreibt, wie aus einander bedingenden Gliedern (Unwissenheit, Empfindung, Bewusstsein, Ich-Gefühl, Tatabsichten, Verlangen etc.) unsere leidvolle Welt zusammengesetzt wird. Die Aufhebung besagt, dass durch Entfernung eines einzigen dieser Glieder, des Verlangens ("tanha"), schließlich die gesamte leidvolle Welt mit allem, was sie ausmacht, Empfindung, Bewusstsein, Geburt, Tod usw. in sich zusammenbricht. In diesem Konditionalnexus und seiner Auflösung erblickt Hansjörg Pfister die originäre (als Theorie gesehen könnte man sagen: dekonstruktivistische) Leistung des historischen Buddha.
Ausführlich werden auch der achtfache Pfad und sonstige wichtige buddhistische Begriffe (die fünf "Skandas" bzw. Aneignungsgruppen, das Anhaften, "Anatta" bzw. die Lehre vom Nicht-Ich, die Fahrzeugfunktion des Buddhismus etc.) besprochen, alles unter häufiger Heranziehung von pali-kanonischen Textbeispielen.

Damit sei ausreichend auf des Autors Art, sich dem Thema zu nähern, eingegangen, eine sehr europäische, logische Art, wobei nicht zuletzt aufgrund der durchgeführten Konsequenz die Vorteile (die im Buchtitel versprochene filosofische Einführung unter Herausarbeiten interessanter Aspekte) die Nachteile (in beiläufigeren Passagen gelegentliches Abgleiten in populärmaterialistische Formulierungen) bei weitem überwiegen.

(fritz; 07/2004)


Hansjörg Pfister: "Philosophische Einführung in den frühen Buddhismus"
Verlag Reith + Pfister 2004
132 Seiten
ca. EUR 24,90.
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