Barbara Zeman: "Immerjahn"


Hervorragender Debütroman

Während der Lektüre dieses ausgezeichneten Debütromans der jungen Österreicherin Barbara Zeman fragt man sich immer wieder, ob der wahre Protagonist des Romans nicht eigentlich die von Mies van der Rohe gebaute Villa ist, in der sich eine Art Privatmuseum befindet, das der reiche Zementfabrikerbe Immerjahn über die Jahre hinweg erworben oder auch geerbt hat. Nun will er es der Öffentlichkeit zugänglich machen, muss dafür aber erst die Bedingungen schaffen, die einen reibungslosen Besuch von Besuchern ermöglichen sollen. Man wundert sich überhaupt sehr viel beim Lesen dieses Romans, der der Autorin beim Schreiben sicherlich viel Spaß bereitet haben muss. Man hofft zumindest, dass die Autorin nicht weniger Freude als derjenige, der dem Roman nun lesen darf, hatte.

Gotthold Immerjahn, schräger und schrulliger Zeitgenosse "um die 55" mit stark ausgeprägtem Hang zum Morbiden, hat in seiner Villa Van Goghs, de Chiricos, ein paar Malewitschs und auch den einen oder anderen Bacon. Dass Immerjahn so ist, wie er ist, ist letztendlich nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass er zu seinem vierten Geburtstag ein Grab als Geschenk von seinen Eltern erhalten hat. Zusätzlich zur Kunst gibt es eine Sammlung von Rokokohäubchen, Nachttöpfen, Kavalleriedegen und auch Riesenkäfern. Das trägt irgendwie dazu bei, dass man sich diese Villa, die immer wieder ausführlich beschrieben wird, wie eine Art aufgemotzten Trödelladen vorstellt. Aber auch nur irgendwie, denn was hier konsequent durchgezogen wird, ist die Verwirrung des Lesers. Eine Verwirrung, die allerdings im Einklang mit der Verwirrung und den Wirren der Protagonisten steht.

Will man die Handlung dieses Romans beschreiben, so stößt man bald an Grenzen. Grenzen, die von der jungen Autorin selbstsicher und virtuos gezogen wurden. Und so liest man sich durch dieses literarische Labyrinth des Scheiterns, denn das ist der Roman definitiv ebenfalls. Nicht unwesentlich ist auch die Tatsache, dass der Architekt diese Villa, die er auf einem sagenumwobenen "Hagebuttenberg" gebaut hat, als Fortschreiten in Richtung Klarheit gesehen hat. Das ist für das Verständnis, so gut ein wirkliches Verstehen dieses Romans überhaupt möglich ist, immens wichtig.

Der Roman beginnt damit, dass Immerjahn seine nymphomanische Assistentin Polly gekündigt hat, die im Gegenzug allen Bauarbeitern, die für den Umbau der Villa in ein privates Museumsareal angeheuert sind, entlässt. So steht Immerjahn ohne Arbeiter da, der Eröffnungstermin wackelt, und er versteht, dass er mit vereinten Kräften derer, die noch an seiner Seite stehen, selbst Hand anlegen muss. Er begreift nur allzu schnell, dass er ohne Polly ziemlich aufgeschmissen ist und versucht erfolglos, sie zurückzuholen. Als Protagonistin geht sie dennoch nicht verloren, weil Zeman diesen Roman nicht linear erzählt. Danach führt die Autorin behutsam sprunghaft neue Protagonisten ein, die alle irgendwie ein gegenseitig sozial gestörtes Verhältnis zu und mit Immerjahn pflegen. Da gibt es beispielsweise Immerjahns einzigen Freund Fritzwalter. Er ist Maler und seit Jugendtagen Immerjahns Freund. Das hindert ihn allerdings nicht daran, mit Katka, Immerjahns Ehefrau, ein Verhältnis zu unterhalten. Die Ehe der Immerjahns, wie der Leser bald feststellt, schreit aber wahrlich auch danach, dass fremdgegangen wird. Das Fremdgehen ist fast so etwas wie eine Variante üblicher sozialer Muster, die sich hier beruhigenderweise eingeschlichen hat. Immerjahns Sohn Raffael hat seine Lebensbestimmung als Schwimmer gefunden. Just nachdem er im Schwimmbecken einen gescheiterten Selbstmordversuch unternommen hat. Zur Verstärkung der Dekadenz fügt sich die Familiengeschichte der Immerjahns ein, die darunter leidet, zu viel Geld verdient zu haben. Dafür mangelt es an keiner Ecke an zumeist gescheiterter, also fruchtloser Kreativität. Barbara Zeman übertreibt hier bewusst, was dazu führt, dass man als Leser sehr bald ebenso verwirrt durch die Seiten taumelt wie Gottlob Immerjahn und seine Genossen im Buch. Eine künstlerisch wirklich erfreuliche Verwirrung allerdings, wenn man prinzipiell für eine zutiefst österreichisch gefärbte morbide Skurrilität empfänglich ist. Wenn nicht, wird man womöglich mit diesem Roman seine Probleme haben ...

Eine für gelegentliche Ruhe im Reich dieser sozial gestörten Riege an Protagonisten sorgende Seele hat das Buch allerdings auch. Das ist die Haushälterin, die hier einmal nicht für einen beiläufigen Mord verantwortlich ist, sondern als Ruhepol und zur Befriedigung des leiblichen Wohls dient. Sie ist dennoch nicht befreit von eigenwilliger Komik, weil sie ihre eigene kreative Ader nicht nur beim Kochen auslebt, sondern auch mit leidenschaftlicher Hingabe Stilleben aus Lebensmitteln arrangiert.

Wer jetzt schon verwirrt ist, dem sei gesagt, dass es im Buch noch viel verwirrender zugeht, weil Barbara Zeman vermeintlich sprunghaft von einer Sache zur anderen hüpft. Hüpft deshalb, weil das alles so elegant und fein gearbeitet ist, dass es eine wahre Freude ist, diesen Roman im Zustand der immer stärker werdenden Verwirrung zu lesen.

Während alle irgendwie scheitern, im Leben und überhaupt, setzt Zeman noch paradox drauf, dass der einzige Beteiligte, der am Ende nicht scheitert, der gescheiterte Selbstmörder Raffael ist, der bei den Olympischen Spielen eine Goldene holt ...

"Immerjahn" ist ein sprachlich hochvirtuoser Roman, der sich einer fast altmodischen Sprache bedient, die extrem wandlungs- und modellierfähig ist. Auf eine sehr natürliche Art ist sie trotz ihrer perfekt konstruierten Sätze sehr ausdrucksstark. Vielleicht hinkt der Vergleich ja, aber irgendwie fühlte sich der Rezensent während des Lesens in einem Danse macabre gefangen, der zu einem obskuren Kinderfest für Erwachsene mutiert ist und bei der der Gastgeber auf groteske Glitzerkugeln und Konfetti nicht verzichtet, auch auf die Gefahr hin, dass er sich im herkömmlichen Sinn lächerlich macht.

"Immerjahn" ist ein Roman, den man nicht nur unbedingt lesen, sondern allen seinen Freunden schenken sollte, vor allem denjenigen, die der Meinung sind, dass die junge Literatur sowieso uninteressant und ichbetont ist. Barbara Zeman hat einen wahrlich erfreulich erfrischenden und ausgezeichneten Debütroman vorgelegt. Man kann nur hoffen, dass sie längst an einem weiteren Roman arbeitet ...

(Roland Freisitzer; 02/2019)


Barbara Zeman: "Immerjahn"
Hoffmann und Campe, 2019. 286 Seiten.
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Barbara Zeman, geboren 1981 im Burgenland, lebt in Wien.