Leseprobe aus "Es gilt. (ArolaParola Nr. 1)" von Paula Jaegand


(...)
„Wien, Wien nur du allein,
bist stets Bruch von Hals und Bein!“
zählt zu den Lieblingsliedern Markus Verhistors. Er schätzt die alten Melodien, aber auch die schrägen, neuen. Und er mag sein Wien. Er summt, ja singt dennoch bei jeder Gelegenheit:
„Wien, Wien nur du allein,
bist stets Bruch von Hals und Bein!“

Und er schaut dabei recht fröhlich drein, so, als ob gar nichts gewesen wäre.

An anderen Tagen ist er wieder sehr ernst. „Ersaufen, zusammensaufen, deppertsaufen“, sagt er dann oft, wenn er so für sich hinsinniert. Außerhalb seiner Ermittlungsfreunde ist er einsam wie eine Ameise, die dummerweise in ein Motorboot gefallen ist. Auf der Donau. Denn in der Wien schwimmt nichts, hier gibt es nichts außer Gestank, nichts außer Dämpfe von Erinnerungen an Gewaltakte, an Zeiten von früher, an Zeiten wie diesen.
Die Wien als krimineller Ort. Lieblingsort für Kriminelles. Verdichtung der bösen Taten im Naschmarkt-Wienfluss-Viertel. Aber das stille, schmutzige Flüsschen ist unschuldig. Überhöht gedacht ein reines Wässerchen. Die Wien ist ja mehr Luft als Wasser. Die Wien als luftiger, sprich windiger Sammelpunkt allen Geschehens. Berüchtigter Mittelpunkt, Schnittstelle verdächtiger Gruppen.

Und die verdächtigen Gruppen sind

die Gruppe um Leona:
Karl-Heinz, Luise Marie, Sammy-Jonny, Helen Francesca.

die Gruppe um Maika:
Die Chefköchin Lina-Josefa, Franz-Ferdinand, Simson-Peter.

die Gruppe um Helen-Francesca:
Deren Halbschwester und Freunde

Es sind Gruppen, in denen jeweils mindestens eine Person fähig ist, einen Mord zu begehen. Vielleicht auch nur bloß, um zu einem authentischen Mordfall für eine literarische Karriere zu gelangen, locker und leicht. Wer weiß? Wer kann schon behaupten, er könne ins letzte Siebtel jeder Zwiebel schauen! Im Kaffeesud stünde alles geschrieben! Und Kaffeehäuser sind nun einmal Ausgang und Endpunkt jeder unüberlegten Handlung, zumindest in Wien.

Kaffeefreunde und Naschkatzen finden in Wien ihr Dorado. Die Wiener Kaffeehauskultur ist einzigartig, kein Wunder dass sich das Wiener Kaffeehaus auch als Markenzeichen durch-gesetzt hat. Und Claudia Salani liebt sie alle. Vor allem das Cafe Hawelka. „Sie sind doch Claudia Salani, die Stütze der berühmten ArolaParola. Ich kenne Sie vom Fernsehen!“, rief ihr eine junge Frau in diesem Cafe zu. „Ich bin die Halbschwester von Helen-Francesca. Hier habe ich Unterlagen für Sie!“ Claudia Salani, gerade aus dem Knast zurückgekehrt, nickte freundlich. Die junge Frau sagte: „Ich habe sie als Manuskript für Verlage und Zeitschriften verfasst, es wurde aber noch nicht angenommen.“ Sie überreichte ihr eine rund 3 cm dicke Mappe mit A4 Blättern und Zeitungsnotizen darunter. Claudia streckte ihre Beine unter dem abgewetzten Eisentischchen aus und begann im Text der Halbschwester Helen-Francescas zu lesen.
Der Inhalt glich eigenartiger Weise großen Teilen bestehender Berichte. Nur der Schluss war ein anderer. Hier in der Darstellung der Halbschwester wurde die verdächtige Welserin später Fremdenführerin in der Wiener Unterwelt. In anderen Berichten war dies Maika. Und ArolaParola hätte es gewusst.
Überdies stand im Bericht der Halbschwester. Dass die Welserin auch als Beraterin im Brautsalon STERN tätig sei. Was zur Abrundung späterer Einsichten nicht unerheblich sein wird.

Claudia sandte den Bericht der Halbschwester Helen-Francescas an ArolaParola. Diese wiederum gab weiter: „Die Ermittlungen führen nun ins Wiener Kanalsystem, ich vermute aber eher, dass noch wichtige weitere Spuren über den Brautsalon STERN zu finden sind!“

Die Hinweise wurden immer dichter. Ein mit ArolaParola befreundeter Polizist lieferte um 8 Uhr früh noch ein paar neue Details. Er kam gerade von einem Einsatz im Praterviertel. KOMASAUFEN. Zwei Jugendliche, ein Bursch und ein Mädchen waren zu versorgen. Die Umstehenden waren redselig und erzählten von einem Mann, der dunkel gekleidet am Naschmarkt Flugblätter mit christlichem Inhalt verteilte. An sich nichts Besonderes,  dessen Botschaften fordern aber zu exzessivem Lachen in Kirchen auf. Es sollte so etwas wie eine allgemeines Osterlachen geben. Von früher her. Ein alter Brauch. Und dieses laute Lachen sei schon lange in Kirchen verboten. Der Mann hatte ein Jungen mit, mit einer undefinierbaren Maske. Unverständlich das Ganze.

Und mehr wussten die anderen Jugendlichen nicht, mehr ließ sich nicht aus ihnen rausholen. Irgendetwas mit Ostern und Lachen und Kirchen sprudelten sie heraus. Mehr gab es da nicht. Oder sie konnten nicht mehr, denn auch sie betrieben das beliebte KOMASAUFEN und waren am besten Wege ihren zwei Freunden in den sozusagen seligen Zustand zu folgen, hätte nicht der vorzeitige Ausfall der Freunde, der Total-Ausfall,  alles verhindert. Sie sagten bloß immer wieder; „Scheiß Kiwara! Scheiß Kiwara!“

Zwei Tage ließ ArolaParola in der UNTERWELT ermitteln, es könnte ja dort etwas zu finden sein, eventuell, dann zog sie wieder alle ab. „Nein!“, sagte sie, „wir suchen jetzt in nobleren Bereichen. Und außer Verhistor, der sich nicht mehr von seinen alten Klamotten trennen konnte, wurden alle neu eingekleidet und auf den Kohlmarkt geschickt, auf die Luxusmeile Wiens.

Helen-Francesca fand sich am besten in diesem Milieu zurecht. Sofort knüpfte sie direkt Kontakte zu den Geschäftsleuten, zu den Chefitäten, wie sie meinte.

MODE AKRIS
MODE FOGAL
MODE KRAL
MODE GUCCI
MODE CHANEL
MODE HÄMMERLE
MODE CHEGINI VIRIONIS
MODE GEORGIO ARMANI
MODE HOUSE OF GENTLEMAN

Leona und Laslo hatten als neues Ziel Tiffany & Co, Dolce & Gabbana, Diesel und Bulgari, und am Kohlmarkt Nr. 2 den neuen Briten Burberry; ihre Methoden und auch ihr Modegeschmack unterschieden sich wesentlich von denen der Helen-Francesca.
Maika und Mario nahmen sich den Bereich Kundschaft vor. Dort erfuhren sie, dass sich der Bürgermeister Häupl ärgert, weil er in Bezug auf diese Mordfälle vor Tagen eine lose Zunge hatte.
Doch das war nicht alles - und dennoch schon um einiges mehr als Markus Verhistor  ausforschen konnte. Er spazierte langsam auf dem Kohlmarkt umher.
„Auch ein Ersaufen, Zusammensaufen, Deppertsaufen“, was sonst?“, sagte er vor sich hin, drehte am Michaelerplatz um, verspottete die Touristen, die sich Überreste einer römischen Siedlung ansahen, und machte sich wieder in die andere Richtung auf den Weg durch den Kohlmarkt und freute sich auf ein Trüffelextrawurstsemmerl mit Senf beim Meinl am Graben.

UNTERWELT und High-Society waren für ihn eins. Und er ließ sich von diesem Glauben, war es ein Irrglaube?, auch nicht abbringen. Wohl vergessend, oder besser gesagt verdrängend, dass er selber bereits ein lupenreiner Alkoholiker war. Jeden Tag drei Biere und einen großen Schnaps. „Wenn das nicht mehr drinnen ist, bleibt die Welt stehen!“, sagte er bei jeder Gelegenheit. Damit machte er sich Mut. Und log sich täglich von Neuem selber an.

Es stand insgesamt nicht so schlecht. Timna-Krisoner lieferte Details aus dem 6. Bezirk, die Immobilienmaklerin Rauscher meldete auch kleine Erfolge, die sie neben ihrer derzeitigen Haupttätigkeit in Wien diesbezüglich machte, und sogar Otto-Heinrich Gruller sandte seine Überlegungen und Schlüsse dazu in Briefpost von Gosau nach Wien.
ArolaParola konzentrierte sich schließlich auf das Foto, auf dem Herr Merder zu sehen war und noch ein stadtbekannter Mann mit stechenden Augen. Das Foto, das beim Begräbnis der beiden Wienfluss-Toten entstanden war, hatte sie der Polizei noch nicht gezeigt. ArolaParola brachte keinen Neuigkeiten mehr zuwege, die Medien tobten. Sie saß auf ihrem Klappbett, die Zelle war kalt und sie war sich sicher, ja, sie spürte, hatte das Gespür,  bald würde sich alles erklären.

Im Nachhinein kann man sagen, genau zum richtigen Zeitpunkt holte sich ArolaParola alle Helfer zu ihr. Sie steht auf ihrem Klappbett und genießt die Wärme, die von den hochnervösen Körpern in ihrer engen Zelle verströmt wird.

***

Heute habe ich euch alle zu mir gebeten. Ihr wisst, dass ich die Leute hier hoch schmieren muss, um eine so große Versammlung überhaupt durchführen zu dürfen. Passt also bitte auf! Hört her!

Sie springt von ihrem Bett, drängt sich zwischen die Anwesenden, glaubt sich in einem großen Vortragssaal. Am schwach vergitterten Fenster bleibt sie stehen.

Vor einer Woche hat hier bei uns jemand 4 Affen in eine Reparaturwerkstätte gebracht. Elektronische Wunderdinger. So etwas ist der absolute Hammer. Eine Neuheit, die noch niemand kennt. Mit diesen animierten Schimpansen werden alle Wünsche nach einer bezahlbaren, realistischen Animatronic wie aus den Hollywood-Filmen erfüllt, man kann sie zum Guten verwenden, aber auch zum Bösen. Eine Supersache! Und ein großer Mosaikstein, eine ganze Steinplatte auf unserem, auf diesem langen Weg. Aber der Reihe nach:

Sie starrt auf ihre Finger, die sie der Reihe nach aufzählend hebt und, einmal gehoben, mit der anderen Hand festhält.

Steuerung über Bewegungs- und Berührungssensoren.
Bewegungen des Kopfes, der Augen, der Lippen möglich.
Realistische Lautäußerungen und Bewegungsabläufe sind bereits programmiert.
Bis zu 20 Progammsteps lassen sich abrufen.

Soviel über die 4 Affen. Ich sage euch, das ist der springende Punkt! Ein auffallend dünner Mann, ein wenig an Karl Valentin erinnernd, den Münchner Hitler-Verarscher - mein Hunderl braucht auch eine Fahrtkarte zum Führer - , gab sie ab. In dieser Werkstatt. Zum Richten. Und dieser Mann versteckte stets mit seiner linken Hand seinen Mund! Seinen Mund! Und ist hochintelligent. Diese Information haben wir Anna zu verdanken. Danke, Anna! Super gemacht! Und du, Hilde-Francesca, schau uns nicht so entmutigend an!

Sie schlendert vom Fenster weg, jeden mit freundlichen aber bestimmten Blick musternd und postiert sich aufrecht vor der Zellentür. (...) 




Paula Jaegand: "Es gilt (ArolaParola Roman Nr. 1)"  
arovell verlag, gosau salzburg wien, mai 2007. 150 Seiten
Paula Jaegand: geboren am 16. 3. 1988 in der Stadt Salzburg. Lebt als freischaffende Autorin vergleichsweise zurückgezogen in München, Salzburg, Gosau, Linz und Wien.
Zwischen Liptauer, Löffelchenstellung und Komasaufen liegt die Welt der Detektivin ArolaParola. Für sie gilt das geschriebene Wort. Sie nimmt an, für andere gilt das auch. (...)
Auf dem Vorplatz stehen zwei Pferde in schönsten Wappenfarben! Mit sehr großen Wägen und sehr weit ausladenden Federungen. Karossen, in denen vier Gestalten sitzen. Und zwei spanisch livrierte Kutscher zügeln die glatt und üppig in ihrem funkelnden Gurtenwerk tänzelnden Rosse.
In der Kutsche sitzen einige Personen. ArolaParola erkennt ihre Freundin Claudia Salani, ihren Freund und Berater Markus Verhistor, sowie die beiden Mithelfer bei ihren kriminalistischen Ermittlungen, Anna Brigen, angehende Detektivin, und Jack Eder, den Ballonfahrer.
Sie reibt sich die Augen, setzt sich an ihren kargen Tisch und denkt daran, dass sie noch einige Wochen hier in diesem österreichischen Justizgebäude in Wien als Untersuchungshäftling verbringen muss ...
Buch bei amazon.de bestellen