Joseph Zoderer: "Mein Bruder schiebt sein Ende auf"

Zwei Erzählungen


Trauer- und Erinnerungsarbeit in Gestalt von vitalen Männerporträts

In einer wunderbaren, zärtlichen und feinen poetischen Sprache schildert der 1935 in Meran geborene Schriftsteller Joseph Zoderer seine Beziehung zu zwei Menschen, die in seinem langen Leben wichtig für ihn waren  und immer noch sind.  In einer sowohl beeindruckenden als auch bewegenden Trauer- und Erinnerungsarbeit beschreibt er seine Erinnerung an seinen toten Freund  Konrad und seine Beziehung zu seinem nur scheinbar todgeweihten Bruder.

Mit Konrad war er einst aus der für beide zu eng gewordenen Heimat ausgebrochen und hatte im Wien der 1960er-Jahre ein ebenso bewegtes wie abenteuer- und wissensdurstiges Leben mit ihm geführt. Auch als sich ihre  Wege trennten,  blieben sie in einem stetigen Austausch und Kontakt  miteinander. Seine  Erinnerungen an den gerade verstorbenen Freund Konrad  geraten ihm selbst zur traurigen, aber auch irgendwie tröstlichen  Erkenntnis, was für einen großen, bisher nicht ausreichend erkannten Anteil  der verstorbene Freund an der Entwicklung und Selbstverwirklichung des  Autors genommen hat.

Trotz allem Trost bleibt ein Gefühl der Schuld.

 

Am liebsten saßen wir im Café Schwarzenberg. Vor den großen Fenstern die braunschwarzen Stämme der Alleebäume, die den Blick auf das Hotel Imperial gegenüber vertikal zerstückelten. Aber uns interessierte nicht so sehr der Balkon dieses Hotels, von dem herunter Adolf Hitler einst und später Breschnew und John F. Kennedy den begeisterten Wienern zugewinkt hatten. Wir lasen lieber Theaterkritiken und Buch- oder Filmbesprechungen, überhaupt lieber die Feuilleton-Seiten als die politischen. Wir fühlten uns damals noch in der Geistesnähe von Mark Twain oder Edgar Allan Poe, aber wir schlüpften schon in die Phantasie von Hemingway, Sartre und Camus. Stundenlang saßen wir bei einer einzigen Flasche Bier, oft bis zum Abend, bis die Kellertheater den Einlaß freigaben. Manchmal bummelten wir zuvor noch durch den Stadtpark an dem versteinert geigenden Johann Strauss vorbei und über den Ring zur Oper, durch die Kärntner Straße zum Stephansdom und über den Graben wieder zurück zur Michaelerkirche, vorbei an der Augustinerkirche zur Oper und zur Ringstraße.
(Aus dem Buch)

(Winfried Stanzick; 01/2013)


Joseph Zoderer: "Mein Bruder schiebt sein Ende auf. Zwei Erzählungen"
Haymon Verlag, 2012. 144 Seiten.
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Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Hundstrauer"

Ein Hund ist mehr als bloß ein Haustier: Er ist Freund und treuer Begleiter, stummer Gesprächspartner und Seelenverwandter. In seinem Blick spiegelt sich die eigene Gefühlswelt wider. Zugleich öffnet sich darin die Perspektive auf ein anderes Leben fern der Alltagshektik.
In seinem Gedichtband setzt Joseph Zoderer seinem verstorbenen Hundefreund ein poetisches Denkmal. Einfühlsam erinnert er sich an geteilte Momente und verneigt sich ein letztes Mal vor seinem Weggefährten. Zoderer lenkt den Blick aber auch auf das, was hinter der Freundschaft von Mensch und Tier liegt: die Freude am Leben und an der Natur, das Glück der Gemeinsamkeit und die Liebe ohne Vorbehalt. Mit Zeichnungen von Josef Fürpaß. (Haymon)
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"Die Walsche"

Olga hat vor Jahren ihr Bergbauerndorf in Südtirol verlassen und lebt mit einem Italiener, einem "Walschen", in der Stadt. Als sie zur Beerdigung ihres Vaters in ihren Geburtsort zurückkehrt, fühlt sie sich wie eine Heimatverräterin abgelehnt. Hier, aber auch unter den italienischen Freunden in der Stadt, ist sie eine Fremde, die zwischen zwei Welten ihre Identität finden muss.
"Die Walsche", verfilmt und als Bühnenstück aufgeführt, ist eine Geschichte von Fremdheit und Entfremdung, die bis heute nichts von ihrer eindringlichen Aktualität verloren hat. (Haymon)
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Weitere Lektüretipps:

Günther A. Höfler und Sigurd Paul Scheichl (Hrsg.): "Dossier 29. Joseph Zoderer"

Joseph Zoderer, 1935 in Meran geboren, gilt spätestens seit dem Roman "Die Walsche" (1982) als bedeutender deutscher Erzähler. Sein Werk ist zwar in seinen Südtiroler Erfahrungen verankert, aber als "Fremdheitsspezialist" überschreitet er die Grenzen seines Herkunftsraums, auf den er nicht festgelegt werden darf. "Der Schmerz der Gewöhnung" von 2000, eine Art Summe seines bisherigen Werks, ist ein Buch über Begegnung und Entzweiung, das seinesgleichen sucht.
Neben einer Chronologie des Werks, einer Bibliografie und dem Wiederabdruck wichtiger Rezensionen wird der Band Beiträge zur Entwicklung des Gesamtwerks, zum Stil seines ersten erfolgreichen Buchs, "Das Glück beim Händewaschen", zu seinen Topografien der Fremde, zu seinen Anfängen im Südtiroler Umfeld und zur Entstehung der "Walschen" (aufgrund des Vorlasses) enthalten.
Die Beiträge stammen von Hans-Georg Grüning, Benedikt Sauer, Sieglinde Klettenhammer, Ruth Esterhammer, Sigurd Paul Scheichl und Edith Plaikner. (Literaturverlag Droschl)
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Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): "Joseph Zoderer"
"Ich bin ein deutschsprachiger Autor mit österreichischer kultureller Prägung und italienischem Pass." Joseph Zoderers Selbstbeschreibung umreißt auf lakonische Weise die vieldeutige Topografie einer literarischen Autorschaft, die ihre Impulse aus der historisch immer noch latenten Spannung von Sprach- und Kulturgrenzen erfährt. Die Protagonisten seiner Romane sind "Fremdheitsspezialisten" - sie erfahren schmerzhaft, wie brüchig ihre Identitätskonstruktionen sind, und erleben sich zugleich in ihrer Widerständigkeit und ihrem Autonomiestreben. Das Werk lässt sich allerdings nicht auf seine Südtirol-Romane reduzieren. Zoderer veröffentlichte Gedichte und Texte in avantgardistischer Tradition, wurde als Verfasser von Reiseromanen bekannt und hat auch in Italien eine breite Resonanz. Das Heft gibt einen aktuellen Überblick über sein großes, facettenreiches Gesamtwerk. Beiträger des Heftes sind Toni Bernhart, Hans-Georg Grüning, Hermann Korte, Bernhard Arnold Kruse, Peter Pabisch, Maria Luisa Roli und Ewa T. Tobiasz. (Edition Text + Kritik)
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