Richard David Precht: "Liebe"

Ein unordentliches Gefühl


Liebe - ein Vollbad der lustvollen Selbstinventur

"So wichtig sie uns ist, in der abendländischen Philosophie gilt die geschlechtliche Liebe seit Platon als U-Musik", schreibt Richard David Precht, der nach seinem Erfolgstitel "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?" ein weiteres philosophisches Buch für Jedermann vorlegt. Doch dieses Mal begibt er sich nicht auf einen weitschweifigen Parcours, sondern konzentriert sich ausschließlich auf ein Thema, ein Sujet, das er bereits in seinem vorangegangen Buch kurz anriss - die Liebe.

Entgegen der meisten seiner Vorgängerkollegen aus der philosophischen Zunft, die den Menschen über seine Vernunft definierten und dieses phänomenale, kostbare Gefühl, diesen wunderbaren, aber manchmal so verwirrenden und komplizierten Bewusstseinszustand als einen Unfall "mit bedauerlichen Folgen für den umnebelten Verstand" disqualifizierten, ist es Precht beinahe 400 Seiten wert, darüber zu plaudern, zu analysieren, zu hinterfragen, zu spekulieren, zusammenzutragen, abzuwägen, vorzustellen und vor allem nachzudenken. Schließlich verfügt kein anderes Lebewesen über so viele Quellen der Empathie und Liebe wie der Mensch.

"Die Liebe ist das vielleicht wichtigste Thema an der Schnittstelle von Natur- und Geisteswissenschaft. Sie erschließt sich weder durch Logik noch durch eine philosophische 'Letztbegründung'", bemerkt der Autor. Was ihn jedoch nicht dazu bewegt, den Statistikern das Feld zu überlassen. Precht stellt sich der enormen Herausforderung und plaudert einmal charmant und witzig, dann wieder lehrreich und philosophisch, aber nie oberflächlich, über das so wundervoll Illusionäre wie die Liebe. Erneut ist ihm der Spagat zwischen Wissenschafts- und Populärlektüre gut gelungen, dieses Mal eindeutig tiefgründiger, als in "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?".

Liebe - ein ornamentaler "Spandrel" von atemberaubender Schönheit und Komplexität
Wiederum hat er sein Buch in drei Teile gegliedert.
Zunächst unternimmt der Autor einen Abstecher in die Evolution. Precht untersucht die Fundamente, "auf denen die heute so populären Theorien von den verschiedenen biologischen Interessen und Ausrichtungen von Mann und Frau stehen." Welche Programme verfolgen die Gene? Was ist geschlechtertypisches Sexualverhalten? Funktionieren die Gehirne von Mann und Frau unterschiedlich?, sind nur einige Fragen, die der Autor zu beantworten versucht.
Der zweite Teil handelt dann tatsächlich von der Liebe selbst. Zunächst aus biologischer Sicht: Was trennt Liebe von Sex? Welchen natürlichen Ursprung hat Liebe? Was passiert in unseren Gehirnen, wenn wir lieben?
Im dritten Teil geht es anschließend um die persönlichen wie um die gesellschaftlichen Möglichkeiten und Probleme mit der Liebe heute. Warum ist uns die romantische Liebe so wichtig geworden? Die liebe Familie - Was davon bleibt und was sich ändert. Oder: Gibt es im heutigen Konsumzeitalter überhaupt noch "echte" Liebe?

Letztendlich, so vermutet der Autor, könnte man bei diesem alles Andere als ordentlichen Gefühl von einem "Spandrel" ausgehen, ein Fachbegriff, der biologisch nicht überlebensnotwendige Eigenschaften, Fähigkeiten oder Merkmale bezeichnet, sei es nun der menschliche Blinddarm oder aber auch die Religiosität. Die Liebe, sei sie auch nur eine eigenständige Größe ohne biologisch eindeutige Funktion, ist auf jeden Fall ein ornamentaler Spandrel von atemberaubender Schönheit und Komplexität. Und unbestritten sind die folgenden Aussagen Prechts: "Wer sich auf einen anderen Menschen einlässt, wer sich ihm seelisch 'hingibt', der erweitert seinen Horizont und ersetzt seinen Wirklichkeitssinn durch Möglichkeitssinn. (...) Liebe ist nicht alles im Leben; aber ohne Liebe ist alles nichts."

Fazit:
"Liebe. Ein unordentliches Gefühl" offenbart sich weder als Beziehungsratgeber der herkömmlichen Art, noch vermittelt es Seite für Seite gute Ratschläge oder verteilt Tipps für den Alltag zu zweit. Aber dieses amüsante und gleichzeitig philosophisch gedankenreiche Buch kann vielleicht dazu beitragen, sich über ein paar Dinge bewusster zu werden, die vorher unklar waren. Sei es das eigene geschlechtliche und soziale Rollenverhalten oder aber ganz persönliche als selbstverständlich und normal eingeschliffene Reaktionen. Denn "genau darin", meint Richard David Precht, "liegt heute der Sinn von Philosophie. Sie fördert keine großen Wahrheiten mehr zu Tage, sondern sie macht, bestenfalls, neue Zusammenhänge plausibel." Dies ist dem Autor zweifelsohne gelungen.

(Heike Geilen; 08/2009)


Richard David Precht: "Liebe. Ein unordentliches Gefühl"
Goldmann, 2009. 397 Seiten.
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