Gustave Flaubert: "Reisetagebuch aus Ägypten"


"Betrachtung: die ägyptischen Tempel langweilen mich fürchterlich. Wird das ebenso sein, wie mit den Kirchen der Bretagne, wie mit den Wasserfällen der Pyrenäen? Oh, über den Zwang! Tun, was man tun muss; immer den Umständen entsprechend sich benehmen (obschon der Widerwille des Augenblicks einen davon zurückhält), gerade wie ein junger Mann, ein Reisender, ein Künstler, ein Sohn, ein Bürger usw. sich benehmen soll!" (Gustave Flaubert)

Gustave Flaubert wurde am 12. Dezember 1821 als ungewolltes Kind eines Chirurgen in Rouen geboren. Er schrieb bereits als Schüler Romane und Dramen, erfüllt vom "tiefen Abscheu vor der Menschheit". Das von der Familie gewünschte Rechtsstudium brach er infolge einer Nervenkrise (eines epileptischen Anfalls) ab.

Am 22. Oktober 1849 verließ der 28-jährige Flaubert in Begleitung seines Freundes Maxime du Champ Croisset Richtung Ägypten und trat eine Reise an, die ihn für die Dauer von mehr als zwei Jahren zu Schiff, Pferd, Esel wie auch auf Schusters Rappen von Marseille nach Alexandria, weiter nach Kairo, Sakkara, Memphis, Theben und Koseïr führte.

Das "Reisetagebuch aus Ägypten" hält sämtliche Stationen detailliert und unverblümt in einer Weise fest, die sich deutlich vom übrigen Schreiben Flauberts unterscheidet: Er beließ nämlich die einmal niedergeschriebenen Eindrücke und Schilderungen der teils recht beschwerlichen Reise unverändert, im besten Sinne ursprünglich sozusagen; ein Umstand, der dem Tagebuch eine dichte Unmittelbarkeit bewahrt hat, wobei die aufrichtige Schlichtheit der Sprache den Lesegenuss nicht unerheblich steigert.

Mit realistischem Blick, unangemessene Gefühlsausbrüche beiseite lassend, beschrieb er seine Zeitgenossen, ohne Rücksicht auf Rang und Namen, seien es Würdenträger ("... neben ihm ein dicker, feister Blonder in Kleidern, der ehemalige Gouverneur von Wadi-Halfa", "Seine Frau, eine dicke Syrierin, hässlich mit gutem Gesicht, schwanger [ist das das Werk des Padre?]"), Sklaven, Matrosen, Tänzerinnen oder Lustknaben in treffsicheren Worten, spürbar beeindruckt von der Fremdartigkeit der Erscheinungsbilder ("Großes Weibsbild, das Josef Tauben verkauft: männliche Arme, Gesicht ziemlich platt, die Zöpfe mit Bändern durchflochten, eine Anhäufung schwarzer Flächen, mit Fett lackiert", "Haartracht der Ababdeh: keine Kopfbedeckung; zu beiden Seiten des Kopfes tragen sie die Haare in zwei dicken Büscheln; oben auf dem Kopfe stehen sie bürstenartig geschnitten empor oder sind abrasiert [seltener]") und skizzierte die einem auf der Durchreise Befindlichen zugänglichen Lebensumstände, Sitten und Gepflogenheiten der Menschen, von denen ihm einige im Verlauf seiner Reise vertrauter wurden.

Angesichts der sich stetig wandelnden Lichtverhältnisse allerdings geriet Flaubert aufrichtig ins Schwärmen, wenn er, hingerissen und fasziniert von der gewaltigen Kraft des Landes am Nil, sprachlich in Farben und Formen schwelgte, die Schattierungen der Dämmerung, die Sonne, den Wüstensand, die Nilfluten, die Pflanzen und Tiere darstellte und stimmungsvolle Vergleiche anstellte. ("Bei Sonnenuntergang schied sich der Himmel in zwei Teile; nach dem Horizonte zu war er zart blassblau, während über unseren Köpfen in ganzer Breite ein ungeheurer purpurner Vorhang mit drei deutlichen Falten schwebte. Hinter mir und auf den Seiten war der Himmel mit kleinen weißen Wolken wie gefegt, die sich wie Strände hinzogen; dieses Aussehen hatte er den ganzen Tag über gehabt. Das Ufer zu meiner Linken lag ganz schwarz. Der große rote Vorhang löste sich in kleine flockige Goldmassen, und der Himmel war wie mit regelmäßigen Tupfen bedeckt. Der Nil bekam unter dem roten Widerschein des Himmels die Farbe von Johannisbeersaft.")

Gustave Flaubert litt unter der Anpassung an das fremde Klima und die ungewohnte Kost, infolgedessen unter Leibschmerzen (Umstände, die auch heutigen Fernreisenden nicht fremd sind), vergnügte sich mit biegsamen, geschmückten Tänzerinnen, war zu Gast bei hochrangigen Persönlichkeiten, erlegte allerlei Getier und besichtigte unter bisweilen abenteuerlichen Bedingungen archäologisch bedeutsame Stätten der Altägyptischen Kultur. Bei derartigen Gelegenheiten erging er sich in aus heutiger Sicht recht sonderbaren Interpretationen Altägyptischer Motive auf und an Bauwerken, sowie von antiken Statuen und Hieroglyphen. Wiewohl sein Interesse nicht in erster Linie den Ruinen galt, lieferte er wortreiche Beschreibungen der besichtigten Tempelanlagen, Pyramiden, Grabkammern und der darin befindlichen Mumien.
Der zeitlose Wert seines Reisetagebuches besteht nach Ansicht des Rezensenten jedoch primär in Flauberts Beschreibungen der Naturwahrnehmungen und seiner Zeitgenossen.

Obgleich Flaubert kein Mann von zur Schau gestellten Gemütsaufwallungen war zeigt sein Reisetagebuch doch deutlich, wie sehr ihn Land und Leute beeindruckten, in sein Herz Eingang fanden - wie frei er sich trotz aller Strapazen fühlte, endlich der Langeweile entkommen und lebendig wie vielleicht später niemals wieder. Denn eigentümlicherweise zog sich Flaubert, zum Sprachfanatiker geworden ("... lieber wie ein Hund krepieren, als eine Sekunde zu früh einen Satz niederschreiben, der noch nicht reif ist"), in späteren Jahren völlig zurück und schrieb seine berühmten Werke, darunter "Madame Bovary".
Sein Kontakt zur Außenwelt bestand in regen Briefwechseln mit seiner Geliebten, Louise Colet, und zahlreichen Schriftstellerkollegen. Gustave Flaubert starb am 8. Mai 1880 auf seinem Anwesen in Croisset.

(Felix; 02/2003)


Gustave Flaubert: "Reisetagebuch aus Ägypten"
(Originaltitel "Notes inédites ... Voyage d'Egypte 1849-51")
Aus dem Französischen von E. W. Fischer.
Mit einem Nachwort von Wolfgang Koeppen.
Diogenes, 2003. 232 Seiten.
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