Don DeLillo: "Falling Man"


Don DeLillos Roman über den 11. September 2001

Der Einsturz des "World Trade Centers", nachdem zwei Flugzeuge hineingesteuert wurden, ist sicherlich eines der prägendsten Ereignisse des frühen 21. Jahrhunderts. Zunächst haben sich die Medien in Schrift und Bild dessen ausgiebig angenommen, und nun kommen, nach Krimis und Thrillern, mehr und mehr Titel auf den Markt, die das Thema eher menschlich-persönlich behandeln. Don DeLillo, der die meiste Zeit seines Lebens in New York verbracht hat, gehört sicherlich zu Denjenigen, die dazu mit am meisten zu sagen, bzw. zu schreiben haben.

Er tut dies vor dem Hintergrund der Figur des "Fallenden Mannes", eines Aktionskünstlers, der sich immer wieder an einem nicht sonderlich sicheren Geschirr vor vielen Zuschauern von Gebäuden fallen lässt und dann in einer eigentümlichen Stellung hängen bleibt, bis sein Helfer - oder die Rettungsdienste - ihn wieder hochziehen. Er erinnert viele seiner Augenzeugen und auch die Presse an jene Menschen, die an einem bestimmten 11. September den Sturz in die Tiefe dem Tod in den Flammen vorzogen, weshalb seine Auftritte auch immer wieder zahlreiche Menschen verstören.

Und verstört sind die Menschen gewesen - und sind es zum Teil auch heute noch -, die die Ereignisse damals vor Ort miterlebten. Ob sie sich nun selbst im Gebäude befanden oder ob sie jemanden verloren haben, bei dem es so war. Das Ereignis hat bei jedem Spuren hinterlassen. Plötzlich - im wahrsten Sinne aus heiterem Himmel - brach für viele Menschen ein Teil der Welt zusammen, der zuvor nach menschlichem Ermessen sozusagen "für die Ewigkeit" zu sein schien. Dies hat alte Sicherheiten aufgelöst und manchen Zeitgenossen orientierungslos gemacht; einige sofort und andere mit einer gewissen Verzögerung.

DeLillos Buch verfolgt die Wege einiger dieser Menschen, die sich zum Teil kreuzen, zum Teil aber auch eher nichts miteinander zu tun haben. Im schnellen Wechsel springt dabei die Erzählung von einer Figur zu anderen und zwingt so zum sehr genauen Hinsehen, über wen nun gerade geschrieben wird. Dies besonders auch, weil eine personale Erzählsituation vorliegt, die den Leser manchmal erst einige Sätze lang im Unklaren über die Identität der Figur lässt.

Das gestaltet die Lektüre nicht einfach, jedoch durchaus interessant, wenn man sehen möchte, wie sich eine Traumatisierung nach einem solchen Ereignis bei verschiedenen Menschen auswirken kann. Momente der politischen Betrachtung sind dabei weitestgehend ausgeklammert, was für sich genommen bei diesem Thema schon eine ziemliche Leistung ist; besonders auch, da eine der Reflektionsfiguren einer der mutmaßlichen Attentäter ist.

Insgesamt handelt es sich bei "Falling Man" um eine interessante Auseinandersetzung mit dem Thema Traumatisierung, welche die inneren Prozesse einer traumatisierten Person für den Leser glaubhaft nachvollziehbar macht.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 06/2009)


Don DeLillo: "Falling Man"
Übersetzt von Frank Heibert.
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Don DeLillo, 1936 in New York als Sohn italienischer Einwanderer geboren, gehört zu den größten Autoren der us-amerikanischen Moderne. Für den Roman "Weißes Rauschen" erhielt er den "National Book Award", der Roman "Libra" über Kennedys Ermordung wurde in den USA breit diskutiert, und der Roman "Mao II" mit dem "Pen/Faulkner Award" ausgezeichnet. Sein monumentales Romanepos "Unterwelt" wurde als eines der bedeutendsten literarischen Ereignisse des ausgehenden 20. Jahrhunderts weltweit bezeichnet.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Unterwelt"

Die Handlung des Romans führt von den 1950er-Jahren in die heutige Zeit und zurück, führt von New York durch die Weiten Amerikas bis in die Wüste Arizonas. Hauptpersonen sind Nick Shay, Manager in einer Müllentsorgungsfirma, und Klara Sax, eine Konzeptkünstlerin. Ihre Lebensläufe, ihre Erinnerungen verbinden sich mit einer Vielzahl von unvergesslichen Figuren, fiktiven und historischen, mit politischen, sportlichen und künstlerischen Ereignissen. (Goldmann)
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"Weißes Rauschen"
Jack Gladney ist Professor für Hitler-Studien an einem us-amerikanischen College. Er und seine fünfte Frau Babette leben gemeinsam mit ihren vier Kindern aus verschiedenen Ehen in einem sympathischen Chaos. Ohne allzu große Gewissensbisse geben sie sich den Verlockungen eines konsumfrohen Daseins hin. Doch als sich in einer nahen Chemiefabrik ein Giftgasunfall ereignet und Jack kontaminiert wird, nimmt ihr ganzes Leben eine jähe Wendung ... (Goldmann)
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"Libra. Sieben Sekunden"
Libra, das Zeichen der Waage, unter dem der Todesschütze von Dallas, Lee Harvey Oswald, geboren wurde, bestimmt in DeLillos faszinierender Verbindung von Fiktion und Wirklichkeit das Schicksal des us-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy. Denn sieben Sekunden entscheiden bei Oswald, dem Unberechenbaren, dem Wankelmütigen, darüber, wohin die Waagschalen sich neigen. (Goldmann)
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Weitere Buchtipps:

Stig Dalager: "Im Schattenland"

Als der Rechtsanwalt Jon Baeksgaard und seine israelische Lebensgefährtin Eve Lettermann am frühen Morgen des 11. September wie Millionen andere New Yorker zur Arbeit gehen, ahnen sie nicht, in welches die Welt erschütternde Ereignis sie geraten würden. Jon ist unterwegs zu seiner ersten Begegnung mit dem muslimischen Mandanten Ifrahim Mohammed, der wegen Mordes an einem jüdischen Juwelier angeklagt ist. Eve auf dem Weg zu ihrem Büro, wo sie für eine große us-amerikanische Immobilienfirma arbeitet - und das sich in der 84. Etage des Südturms des "World Trade Centers" befindet ...
Stig Dalager zeichnet ein beeindruckendes Bild der dunklen Atmosphäre, die in den Monaten nach dem Terrorangriff über New York liegt und darüber, wie schwierig es für die Menschen nach diesem Ereignis ist, ihr Leben zu werten und ethisch zu handeln. (Eichborn)
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John Griesemer: "Herzschlag"
New York im September 2001: Der Schauspieler Noah Pingree ist auf dem Weg zur Arbeit. Im Theater im "Lincoln Center" steht sein neues Stück auf dem Programm. Alles ist wie immer, doch je näher der Auftritt rückt, desto stärker werden Noahs Kopfschmerzen. Und kurz bevor sich der Vorhang öffnet, trifft ihn der Schlag.
Als er Tage später in einem Krankenhaus erwacht, steht nicht nur die Stadt New York, sondern die ganze Welt unter Schock. Doch Noah kämpft sich zurück ins Leben - und stellt fest, dass manchmal erst alles aus den Fugen geraten muss, damit etwas Neues beginnt.
Mit "Herzschlag" hat John Griesemer ein magisches Werk geschaffen: Die Geschichte des geschlagenen Schauspielers, dem sich inmitten von Tragödien das nackte Leben zärtlich offenbart, ist zugleich die Geschichte des Schreckens und der Schönheit unserer Welt. (Arche-Verlag)
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Hugh Nissenson: "Tage der Ehrfurcht"
August 2001. New York. Niemand ahnt etwas von der Katastrophe, die bald kommen wird.
Artie Rubin, 67, Hypochonder und Autor in einer Schaffenskrise, lebt mit seiner Frau Johanna, 63, einer erfolgreichen Börsenmaklerin, an der Upper West Side, New York.
Ihre besten Freunde Adam und Shirley haben einen schwulen Sohn, der bald heiraten wird, ihre Tochter Leslie erwartet ein Kind von ihrem Ehemann Chris, dessen Bruder Sutton gerade von Judy verlassen wurde, weil sie sich in Guy verliebt hat, der wiederum der Vorgesetzte des ehemals Geliebten ist und so weiter und so fort - der ganz normale Alltagstrubel also. Doch eines Morgens ist die Welt eine andere: Artie, gerade wieder mit sich selbst und seiner Krise beschäftigt, hört im Radio von Flugzeugen, die in die Türme des "World Trade Centers" geflogen sind. Fassungslosigkeit. Die Menschen eilen auf die Straßen und versuchen, Angehörige zu finden. Niemand bleibt von der Katastrophe unbehelligt, für einen kurzen Moment sind alle Alltagssorgen null und nichtig. Ein letzter Telefonanruf erreicht Judy von ihrem Geliebten Guy, er steht im 101. Stock des "WTC". Artie und Johanna versuchen zu helfen, es scheint, als würde ein unsichtbares Netz alle Menschen in New York miteinander verbinden ...
"Tage der Ehrfurcht" ist ein sensibler, auch humorvoller Roman über existenzielle Fragen wie Älterwerden, Krankheit und Tod, aber auch ein lebendiger Roman über Kraft und Lebensmut, über unterschiedlichste Menschen in New York und erzählt nicht zuletzt von einer hinreißenden Liebesgeschichte, die keine Altersgrenzen kennt. (Atrium Verlag)
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Sandra Poppe, Thorsten Schüller, Sascha Seiler (Hrsg.): "9/11 als kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien"
Wie hat sich die Kulturproduktion in der Folge des Terrors verändert? Die Anschläge vom 11. September 2001 stellen nicht nur eine politische und gesellschaftliche Zäsur dar, sie lassen sich auch als Trauma des Denkens betrachten. Im Mittelpunkt dieses Bandes stehen die Auswirkungen von "9/11" auf kulturelle und künstlerische Diskurse. Dabei geht es nicht nur um eine Inventarisierung von Repräsentationen des Terrors in Medien, visueller Kunst und Literatur; vielmehr wird aufgezeigt, wie sehr "9/11" Denkmodalitäten verändert hat. Aus unterschiedlichen Perspektiven untersuchen die interdisziplinären Beiträge den Zäsurcharakter von "9/11" in Theoriebildung, Schrift- und Bildmedien. (Transcript)
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Wolfgang Herrndorf: "Sand"
"Er aß und trank, bürstete seine Kleider ab, leerte den Sand aus seinen Taschen und überprüfte noch einmal die Innentasche des Blazers. Er wusch sich unter dem Tisch die Hände mit ein wenig Trinkwasser, goß den Rest über seine geplagten Füße und schaute die Straße entlang. Sandfarbene Kinder spielten mit einem sandfarbenen Fußball zwischen sandfarbenen Hütten. Dreck und zerlumpte Gestalten, und ihm fiel ein, wie gefährlich es im Grunde war, eine weiße, blonde, ortsunkundige Frau in einem Auto hierherzubestellen."

Während in München Palästinenser des "Schwarzen September" das Olympische Dorf überfallen, geschehen in der Sahara mysteriöse Dinge. In einer Hippie-Kommune werden vier Menschen ermordet, ein Geldkoffer verschwindet, und ein unterbelichteter Kommissar versucht sich an der Aufklärung des Falles. Ein verwirrter Atomspion, eine platinblonde US-Amerikanerin, ein Mann ohne Gedächtnis - Nordafrika 1972.
Ein mitreißender Agentennervenkitzel - und noch viel mehr: ein literarisches Abenteuer.
Wolfgang Herrndorf, 1965 in Hamburg geboren, hat Malerei studiert und unter Anderem für die "Titanic" gezeichnet. 2002 erschien sein Debütroman "In Plüschgewittern", 2007 der Erzählband "Diesseits des Van-Allen-Gürtels" und 2010 der Roman "Tschick", der zum Überraschungserfolg des Jahres avancierte.
Wolfgang Herrndorf wurde u.A. mit dem "Deutschen Erzählerpreis" (2008), dem "Brentano-Preis" (2011) und dem "Deutschen Jugendliteraturpreis" (2011) sowie dem "Hans-Fallada-Preis" (2012) ausgezeichnet. (Rowohlt Berlin)
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