Aus: "Gockel und Hinkel" von Clemens Brentano

Zu Olims Zeiten, wo Dieses und Jenes geschehen ist, war dieses Schloß eines der herrlichsten und deutlichsten in ganz Deutschland; aber die Franzosen haben es so übel mitgenommen, daß sie es recht abscheulich zurückließen. Ihr König Hahnri hatte gesagt, jeder Franzose solle Sonntags ein Huhn, und wenn keines zu haben sei, ein Hinkel in den Topf stecken und sich eine Suppe kochen. Darauf hielten sie streng, und sahen sich überall um, wie jeder zu seinem Huhn kommen könne. Als sie nun zu Haus mit den Hühnern fertig waren, machten sie nicht viel Federlesens und hatten bald mit diesem, bald mit jenem Nachbarn ein Hühnchen zu pflücken. Sie sahen die Landkarte wie einen Speisezettel an, wo etwas von Henne, Huhn oder Hahn stand, das strichen sie mit rother Tinte an und giengen mit Küchenmesser und Bratspieß darauf los. So giengen sie über den Hanebach, steckten Groß- und Kleinhüningen in den Topf, und kamen dann auch bis in das Hanauer Land. Als sie nun Gockelsruh, das herrliche Schloß der Raugrafen von Hanau, im Walde fanden, wo damals der Großvater Gockels wohnte, statuirten sie ein Exempel, schnitten allen Hühnern die Hälse ab, steckten sie in den Topf und den rothen Hahn auf das Dach, das heißt, sie machten ein so gutes Feuerchen unter den Topf, daß die lichte Lohe zum Dach herausschlug und Gockelsruh darüber verbrannte. Dann giengen sie weiter nach Hünefeld und Hunhaun und sind noch lang unterwegs geblieben. ( ... )

Frau Hinkel durch das Krähen aller Hahnen in Gelnhausen und durch den aufsteigenden Rauch von neuem sehr betrübt, folgte ihrem Manne mit manchem Seufzer durch den Wald. Sie gedachte an die Herrlichkeit von Gelnhausen, wo immer das eine Haus ein Bäckerladen, das andre ein Fleischerladen ist; - ach, dachte sie, jetzt ist die Stunde, jetzt öffnen die Fleischer ihre Laden, jetzt hängen sie die fetten Kälber, Hämmel und Schweine auf und breiten in deren aufgeschlitzten Leibern reinliche schneeweiße Tücher aus! - Ach jetzt ist die Stunde, jetzt öffnen die Bäcker ihre Laden und stellen auf weißen Bänken die braunglänzenden Brode, die gelben Semmeln und schön lakirten Eierwecke, Bubenschenkel genannt, in Reih und Glied. Gackeleia, die sie an der Hand führte, weckte mit ihren Reden ihre Betrübniß oft von neuem wieder auf, denn sie fragte ein um das anderemal: "Mutter, giebt es auch Bretzeln, wo wir hingehen?" Da seufzte Frau Hinkel; Gockel aber, der ernsthaft und freudig voranschritt, sagte: "nein, mein Kind Gackeleia, Bretzeln giebt es dort nicht, sie sind auch nicht gesund und verderben den Magen; aber Erdbeeren, schöne rothe Waldbeeren giebt es die Menge," und somit zeigte er mit seinem Stocke auf einige, die am Wege standen, welche Gackeleia mit vielem Vergnügen verzehrte. Hierauf fragte Gackeleia wieder: "Mutter, giebt es auch so schöne braune Kuchenhäschen, wo wir hingehen?" Da seufzte Frau Hinkel abermals und die Thränen traten ihr in die Augen; Gockel aber sagte freundlich zu dem Kinde: "Nein, mein Kind Gackeleia, Kuchenhäschen giebt es da nicht, sie sind auch nicht gesund und verderben den Magen, aber es giebt da lebendige Seidenhäschen und weiße Kaninchen, aus deren Wolle du der Mutter auf ihren Geburtstag Strümpfe stricken kannst, wenn du fleißig bist. Sieh, sieh, da lauft eines!" und somit zeigte er mit seinem Stocke auf ein vorüberlaufendes Kaninchen. Da riß sich Gackeleia von der Mutter los, und sprang dem Hasen mit dem Geschrei nach: "gieb mir die Strümpfe, gieb mir die Strümpfe!" aber fort war er, und sie fiel über eine Baumwurzel und weinte sehr. Der Vater verwies ihr ihre Heftigkeit und tröstete sie mit Himbeeren, welche neben der Stelle wuchsen, wo sie gefallen war. Nach einiger Zeit fragte Gackeleia wieder: "liebe Mutter, giebt es denn auch da, wo wir hingehen, so schöne gebackene Männer von Kuchenteig, mit Augen von Wachholderbeeren und einer Nase von Mandelkern, und einem Mund von einer Rosine?" Da konnte die Mutter ihre Thränen nicht zurückhalten und weinte; Gockel aber sagte: "nein, mein Kind Gackeleia, solche Kuchenmänner giebt es da nicht, die sind auch gar nicht gesund und verderben den Magen. Aber es giebt da schöne bunte Vögel die Menge, welche allerliebst singen und Nestchen bauen, und Eier legen und ihre Jungen füttern. Die kannst du sehen und lieben und ihnen zuschauen, und die süßen wilden Kirschen mit ihnen theilen." Da brach er ihr ein Zweiglein voll Kirschen von einem Baum und das Kind ward ruhig. ( ... )


( Clemens Brentano; 8.September 1778 - 28.Juli 1842 )