Jörg Steiner: "Ein Kirschbaum am Pazifischen Ozean"


Eine Erzählung, die den Leser gefangennimmt, indem sie nur erzählt

Der Schweizer Schriftsteller Jörg Steiner ist für zwei Monate nach Santa Monica in Kalifornien eingeladen. Als "Writer in Residence" soll er an der "University of Southern California" Vorlesungen und Seminare für Studenten halten.
Im dortigen "Max-Kade-Institut" soll er wohnen und arbeiten.

Jörg Steiner erzählt mit einer äußerst sensiblen Beobachtungsgabe die Erlebnisse dieser Wochen im Rückblick fast zwanzig Jahre später. Er erinnert sich, mittlerweile alt geworden, an diese für ihn doch nach wie vor bemerkenswerte Zeit in den Vereinigten Staaten von Amerika. Indem er sich schreibend und erzählend erinnert, macht er die Erfahrung, dass es nicht unbedingt die wichtigen Erlebnisse sind, die das Gehirn am deutlichsten in der Erinnerung verankert und gespeichert hat, sondern es sind gerade die unbedeutenden Eindrücke.
Etwas, das der Leser, denkt er nur lange genug über sein eigenes Leben nach, durchaus bestätigen kann, und was den Rezensenten zu der Überlegung bringt, ob wir den großen und spektakulären Ereignissen in unserem Leben nicht viel zu viel Bedeutung und Wertschätzung entgegenbringen zuungunsten eben dieser kleinen Miniaturen des Lebens.

Steiner beobachtet mit einem bewundernswerten Einfühlungsvermögen sehr genau, und man kommt beim Nachwirkenlassen zu dem Schluss, dass es in diesem Buch, das so ganz ohne besondere Absicht geschrieben scheint, (jedenfalls wird keine vom Autor mitgeteilt), letztlich darum geht, der Wirklichkeit, der erlebten Wirklichkeit und ihrem Nachklang in der Erinnerung nachzuspüren.

Am meisten angesprochen hat den Rezensenten die Beschreibung der kalifornischen "Tree-People", die durch das Pflanzen von Bäumen ihrer Hoffnung auf Rettung und Veränderung der Welt einen tatkräftigen, durchaus nicht naiven Ausdruck geben.

(Winfried Stanzick; 04/2008)


Jörg Steiner: "Ein Kirschbaum am Pazifischen Ozean"
Suhrkamp, 2008. 86 Seiten.
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Jörg Steiner wurde 1930 geboren. Sein literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem "Max-Frisch-Preis" der Stadt Zürich 2002.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Mit deiner Stimme überlebe ich. Geschichten"

"Erzählen heißt Leben gewinnen", steht, leise und eher versteckt, in einer Geschichte von Jörg Steiner. Und indem dieser Autor erzählt, indem er Figuren erfindet und Orte dazu, einem Dialog nachlauscht, den er eben gehört zu haben scheint, Gerüche und Geräusche evoziert, wird der Leser zum Zeugen: Eine Welt entsteht, ein kleiner Kosmos, der riesengroß zu werden vermag und sich alsbald der Fantasie des Lesers bemächtigt. Und dann begegnet man "seinen Leuten": einem pensionierten Singlehrer und Rosa Knecht, die Pfeifenrauch lieber mag als Zigarrenrauch, einem wunderlichen Mann mit Hund und Herrn Eisinger, der heute nicht gut Schach spielt, und auch einem Inhaftierten, der einen Brief nach draußen schreibt und einer Frau bekennt: "Mit deiner Stimme überlebe ich."
Jörg Steiner kommt in keinem Text an ein Ende, er rundet nicht ab, bilanziert nicht, sondern lässt seine Geschichten in der Schwebe, im Offenen und kommt dadurch ganz nah an das Wunderbare, das jeder kennt, der lebt. Und staunen kann. (Insel)
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