(...) Am 5. Januar 1757 sticht F. R. Damiens auf König Ludwig XV. von Frankreich ein. Dieser wird kaum verletzt, nur seine Haut ist geritzt; die Rache fällt freilich schrecklich aus, der Attentäter wird zum Tod durch Vierteilen verurteilt. Die Justiz Seiner Majestät hat den verworren wirkenden Damiens bereits foltern lassen; die zugezogenen Ärzte raten, die Folter nicht allzu sehr auszuweiten, damit Damiens ihr nicht erliege. Seine Beine versagen bereits den Dienst, er kann nicht mehr stehen oder gehen. Doch ungerührt nimmt die offizielle Vergeltung ihren Lauf: Zu Beginn der Hinrichtung taucht der Henker die Hand, in der Damiens das Messer gehalten hatte, in eine Pfanne brennenden Schwefel, bis sie verkohlt. Dann reißt ein Helfer mit einer glühenden Zange Fleischstücke aus Armen, Brust, Bauch und Schenkeln des Verurteilten, legt nach jedem Riß die Zange wieder in das Feuer und gießt flüssiges Harz oder Blei in die Wunde. Damiens stößt entsetzliche Schmerzensschreie aus. Schließlich der eigentliche Vollzug der Todesstrafe: Der Delinquent soll mit Hilfe von Pferden gevierteilt werden. Die Tiere sind an seine Arme und Beine gebunden und ziehen in vier Richtungen. Doch der Körper widersteht mehreren Versuchen. Da durchtrennt der Scharfrichter die Sehnen an den Beinen und in den Achselhöhlen des Damiens. Die Maßnahme hat Erfolg: Die Beine lösen sich beim Anrucken der Pferde vom Rumpf, die Arme folgen knirschend, und endlich erreicht die Gerechtigkeit des Königs ihr Ziel. Der Leichnam und die abgerissenen Extremitäten des Attentäters landen auf dem Scheiterhaufen.

Alles nur Vergangenheit? Natürlich; in der neueren Geschichte der westlichen Welt wurde die Folter im Strafverfahren ebenso abgeschafft wie in vielen Ländern die Todesstrafe. Die traditionelle gesetzmäßige oder gerichtliche Folter ist von den Vereinten Nationen offiziell geächtet. Seither herrscht die optimistische Überzeugung, daß die Folter der Geschichte angehöre. Aber die Illusion, Folter sei ein historisches Phänomen, schläfert, wie R. Held feststellt, das kollektive Gewissen ein und mindert die Wachsamkeit gegen die reale und omnipräsente Gefahr.

Im Keller einer Polizei-Station im Kosovo wurden noch vor kurzem Mengen von Schlagringen, Zangen und Knüppeln entdeckt. Auch Kisten mit Verbandsstoff und Kartons voller Drogen standen bereit - probate Mittel, um Schreie zu ersticken. Noch immer schlagen Täter mit Fäusten, Stangen, Gewehrkolben, Ketten, Baseballschlägern, Rohren auf Opfer ein; sie drehen ihnen die Luft ab, benutzen Eisen und Plastik, Feuer und Wasser. Zunehmend drücken die Schergen auch auf den Knopf, denn die Nutzung von Strom ist die preiswerteste Foltermethode, die zudem auf dem Körper der Opfer wenig Spuren hinterläßt. Zu den "unblutigen" Verhören, den sogenannten "aggressiven Verhörtechniken", zählen die Isolations- oder Dunkelhaft, das Exekutieren zum Schein, das Festbinden und Verdrehen des Körpers auf einem Stuhl, über dem Tisch oder in der Luft hängend - alles altbekannte Methoden, die noch heute angewandt werden. In jedem bewaffneten Konflikt, auch wenn er sich in Europa ereignet, lassen sich Folterhandlungen finden, und die Todesstrafe vollstrecken nicht nur "Bananenrepubliken", bei denen wir das schlechte Gewissen kaum bemühen, sondern Weltmächte wie die USA und die Volksrepublik China. In mehr als der Hälfte aller Staaten der Erde, darunter in etlichen Ferienländern der Deutschen und bei manchen Alliierten im Kampf gegen den Terror, werden Männer, Frauen und Kinder gefoltert. Seit Mai 2004 gehen die Berichte und die Bilder von der Mißhandlung irakischer Gefangener durch US-Soldaten um die Welt. Und die Anwendung der Folter wird vielfach - beispielsweise in der Türkei - als normal empfunden, und zwar nicht nur von Polizisten und Richtern, sondern auch von Verteidigern und sogar von den Gefolterten selbst.

Eine "heilige Sache", die stets die eigene ist, erzeugt noch immer sehr verläßlich jenes gute Gewissen, das rücksichtslose Brutalität und gewissenlosen Terror erlaubt und sogar als Heldentat überhöht (Hubert Gundolf). Folter und Tötung werden heute in einem Maße praktiziert, das die Welt noch nie gekannt hat und das selbst die Jahrhunderte der Inquisition in den Schatten stellt. Foltern war und ist in aller Regel keine "Privatsache" einiger weniger sadistischer Exzeßtäter. Das Mißhandeln und Entwürdigen von Menschen geschieht vielmehr im Interesse und im Auftrag von Regierungen und anderen machtausübenden Institutionen, wird von eigens dazu legitimierten Organen angewandt und erfüllt eine politische Funktion.

Und wir können nicht einfach nur wegschauen oder auf andere Völker etwa in der Dritten Welt verweisen, wo Folterhandlungen, gleichsam als globale Schauspiele, eine Art selbstbestätigender Trost für die sogenannten zivilisierten Nationen geworden sind. Wir dürfen uns nicht mit Hinweisen auf faschistische und stalinistische Foltern oder auf Vorkommnisse in Lateinamerika, Iran, Türkei freisprechen. Und solange es unter uns einen Foltertourismus gibt, der Foltermuseen und Folterkammern vorführt, die offenbar besonders für Kinder attraktiv sind, haben wir kein Recht, uns über das angeblich dunkle Mittelalter zu erheben. (...)


(aus "Die Folter. Eine Enzyklopädie des Grauens" von Horst Herrmann)
Die Methoden und Werkzeuge mögen sich geändert haben, das traurige Faktum bleibt: Solange Menschen existieren, wird es Folter und Hinrichtung geben. Die Kriege im Kosovo, in Afghanistan und zuletzt im Irak haben gezeigt, daß das Bekenntnis zu Zivilisation und Menschenrechten vorläufig bleibt. Und was uns im demokratischen Westeuropa heute nur noch als Nachhall aus fernen Jahrhunderten oder anderen Weltgegenden beunruhigt, war bis vor wenigen Jahrzehnten auch hierzulande an der Tagesordnung: das systematische und im Einklang mit herrschenden Autoritäten bewußt praktizierte Quälen von Menschen - bis hin zum hunderttausendfachen Tod.
Horst Herrmann hat ein vollständiges Lexikon der historischen und aktuellen Foltermethoden erstellt. Er erläutert die Vorgehensweise der Folterknechte und Henker ohne jede Sensationshascherei, in nüchternem und knappem Ton, und zitiert historische Quellen und Beispiele. Das Ergebnis ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Grundlagenwerk. (Eichborn) 

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