Viktor Jerofejew: "Die Akimuden"
Bizarrer Endzeitroman
        
        Viktor Jerofejew, übrigens nicht mit dem Autor des Erfolgstitels "Moskau
          - Petuschki" verwandt, hat mit seinen bisherigen Romanen bereits
        bewiesen, dass er kein Schöpfer leichter, unterhaltender Romane ist. "Die
          Moskauer Schönheit" und "Der gute Stalin" (vielleicht das
        zugänglichste Buch aus der Feder Jerofejews) zeigten, dass Jerofejew zu
        den wichtigsten russischen Autoren der Gegenwart gezählt werden muss.
        
        Sein Roman "Die Akimuden" entzieht sich prinzipiell der Katalogisierung
        in Bezug auf seine Gattung. Vordergründig so etwas wie ein Science
          Fiction-Roman, merkt man sehr schnell, dass der Autor hier die
        Klischees zu seinen Gunsten nutzt und den Leser mit einem fast
        unverständlichen Text attackiert, der sich als russische Politsatire der
        besten Sorte entpuppt. Allerdings täte eine Einschränkung auf die
        Politsatire dem Text auch unrecht, da er viel weiter in die Tiefen der
        russischen Seele dringt.
        
        Dazu eine absurd bizarre Handlung, die einen immer wieder zwingt,
        innezuhalten und zu überlegen, ob man überhaupt noch auf der richtigen
        Fährte ist.
        
        In Moskau wird die Botschaft eines Landes eröffnet, die man auf keiner
        Landkarte findet. Der Botschafter ist offensichtlich ein guter alter
        Bekannter, was darauf schließen lässt, dass die Akimuden eine Art Symbol
        für ein Volk der ehemaligen Sowjetunion sind. Dieser Botschafter wird
        von vielen Russen als möglicher Erlöser angesehen, von anderen wieder
        als Teufel: Niemand weiß, was es mit ihm auf sich hat. Eine etwas
        nymphomanisch veranlagte Agentin wird auf ihn angesetzt, um ihn zu Fall
        zu bringen. Zusätzlich wird Moskau von Toten überrannt; Tote, die die
        Lebenden verdrängen, töten und zu Ihresgleichen machen.
        
        Großartige Szenen wechseln sich mit Szenen ab, die auf den ersten Blick
        jenseits von Gut und Böse zu sein scheinen, oft ist man geneigt, die
        diversen Geschehnisse mit Unverständnis zu lesen. Zu bizarr, zu
        abgedreht, zu weit weg von dem, was man sich von einem Roman dieses
        Autors erwarten würde, scheint das Ganze, bevor es doch knapp vor dem
        endgültigen Rausschmiss wieder kippt und man versteht, dass genau diese
        übertrieben karikierte Erzählweise die einzig mögliche ist, um
        Jerofejews verzweifelte Botschaft anschaulich darzustellen. Ein wahrer,
        postmodernistischer Aufschrei, der Murakamis
        Geister in den Kindergarten zurückschickt. Der Pelewins "Generation
          P" alt aussehen lässt. Und das ist eine ziemliche Errungenschaft.
        
        Was diesen tatsächlich teilweise schwer verträglichen Roman wirklich gut
        macht, ist die schier unglaubliche Menge der Anspielungen, Allusionen,
        Zitate und Hinweise, die Viktor Jerofejew in seinen Text einbaut.
        Allerdings handelt es sich hier um Wissen, das eine wirklich enge
        Vertrautheit mit der russisch-sowjetischen Kultur, Literatur (Gogol,
        Majakowski, Gontscharow,
        Dostojewski,
        Platonow, Sorokin,
        Pelewin und noch viele Andere kommen hier kurz vor), der (früheren und
        heutigen) Politik (natürlich kommt Vladimir Putin auch zum Handkuss),
        der Geschichte, des russischen Films (nicht nur Tarkowski) und des
        zeitgenössischen Fernsehens (es gibt nicht wenige russische Prominente,
        die sich in diesem Roman erkennen sollten) voraussetzt. Das macht Spaß,
        allerdings geht der Rezensent davon aus, dass den meisten Lesern genau
        diese Feinheiten unbewusst entgehen werden. Wie auch soll man als Leser
        all die feinen Anspielungen verstehen, wenn man nicht lange in Russland
        gelebt und all das aufgesogen hat?
        
        Jerofejews Roman, eine Art Endzeitroman, wenn man so will, wird wohl, so
        die Vermutung des Rezensenten, im deutschsprachigen Raum nicht den
        Erfolg landen, den er derzeit in Russland hat. Man fragt sich, ob es
        nicht möglich gewesen wäre, hier mit Fußnoten, Ergänzungen und
        Anmerkungen nachzuhelfen, sodass der interessierte Leser ein wenig
        Unterstützung bei seiner Erkundung der russischen Zombiewelt erhält?
        Vermutlich hätte ein solches Vorgehen das Buch allerdings zumindest um
        ein Drittel verlängert.
        
        Jerofejews Prosa ist blendend übersetzt, hat zügiges Tempo drauf, selbst
        die Übersetzung schafft es, die vielen Mehrdeutigkeiten aus dem
        Russischen doch irgendwie zumindest anzudeuten, was allemal schon
        beachtlich ist. Gerade die russische Sprache ist ja ein Sammelbecken für
        vieldeutige Wortspielereien.
        
        "Die Akimuden" von Viktor Jerofejew ist ein fantastischer Roman.
        Absolute Empfehlung, allerdings wirklich nur für jene Leser, die sich
        zumindest fast als halbe Russen fühlen ...
(Roland Freisitzer; 10/2013)
          Viktor Jerofejew: "Die Akimuden"
      (Originaltitel "Akimudy")
        Übersetzt von Beate Rausch.
        Hanser Berlin, 2013. 461 Seiten.
        
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