Ernest Drake: "Expedition in die geheime Welt der Drachen"

Bezaubernde Drachenkunde mit viel Witz und Liebe zum Detail
- Empfohlen von 9 bis 99 (und darüber ...)


"Nur wenige können Meister der Drachenkunde werden. Ihre Aufgabe ist es, die letzten verbleibenden Drachen zu schützen, denn wer kann sagen, wie viele noch das nächste Jahrhundert überstehen und wie viele aussterben werden. Wenn dies geschieht, werden viele Menschen unwidersprochen behaupten, dass es nie Drachen gab, außer in der Fantasie. Aber das darf niemals geschehen." (Ernest Drake)

Wer dieser Tage die Regale der Kinder- und Jugendbücher nach Beute durchstreift, dem wird vornehmlich ein Band ins Auge stechen. Jener von Ernest Drake. Von den Maßen einem Album nicht unähnlich, blutrot aufgemacht, mit einem gekräuselten Reliefdrachen verziert - so präsentiert sich sein Werk "Expedition in die geheime Welt der Drachen".

Schlägt der im Bann der Neugier Stehende das Buch auf, wartet schon ein versiegeltes Kuvert mit der geheimnisvollen Aufschrift: "Für alle, die es betrifft". Darunter klebt der Bibliotheksausweis des Autors Dr. Ernest Drake. Übrigens: gültig bis April 1904. Das dazugehörige Lichtbild zeigt den Kopf eines betagten Mannes. Womit zu erahnen ist, dass der Nämliche wohl schwerlich der Realautor des Buches sein kann. Es sei denn ... es sei denn was? Es sei denn, er hätte den vernunftbegabten Riesenechsen einige ihrer den Alterungsprozess verlangsamenden Geheimnisse entlockt ...

Gegliedert ist das Werk - dessen dicke Seiten an Pergament erinnern - in vier Kapitel. Das erste widmet sich der "Einführung in die Drachenkunde". Eine aufwändig gestaltete Klappkarte lokalisiert die Lebensräume der "Drachen der Welt". Im zweiten Abschnitt geht es um "Drachenarten". Da wird gleich mal die bekannteste Spezies, der Europäische Drache (Draco occidentalis magnus) beschrieben. Über fünf Meter Höhe erreicht dieser flatterhafte Geselle. Menschen verspeist er "wegen ihres bitteren Nachgeschmacks nur, wenn keine andere Nahrung vorhanden". Sein unwesentlich kleinerer Vetter, der in der Arktis beheimatete Frostdrache, bevorzugt eher Eisbär und Schwertwal. Die imposanteste Drachenart lebt in Afrika. Bis zu sieben Meter groß kann ein ausgewachsener Wyvern (Draco africanus) werden. Wenig wunderlich, dass er Elefanten als Mahlzeit verzehrt. Damit die zoologische Abhandlung nicht zu trocken bleibt, liegt eine Fühlprobe von der Flügelhaut eines 45-jährigen Beuteldrachen (Vorkommen: Australien) bei. Ebenso die abgestoßene Haut eines Asiatischen Lung (250 Jahre alt). Besonders schillernd: die Flügelmembran eines jugendlichen Frostdrachen.

Kapitel drei: "Naturkundliche Studien". Flügel, Schuppen, Krallen oder Augen, alles was die Physiologie und Biologie der Drachen eben ausmacht, nimmt Drachologe Ernest Drake unter die Lupe. Besonders wichtig im Text scheint der Abschnitt "Feuerspeien", in dem hartgesottene Vorurteile endlich im Feuer der Wahrheit ihrer Läuterung zugeführt werden. Vom Embryo bis zum Schlüpfen gewinnt der Leser Einblick in den Entstehungszyklus der Drachen. Übrigens, Anzeichen für die Reife eines Drachen sind da folgend 1) das Horten und Nichtzurückgebenwollen wertvoller Gegenstände, 2) das Suchen nach Eisen und Feuerstein, um damit Funken zu erzeugen, 3) das mehrmalige Wiederholen all des um ihn Gehörten. Es lohnt sich daher, Wertsachen sicher zu verwahren und in der Gegenwart von Jungdrachen niemals zu fluchen.
Viele Drachen können sprechen, einige sogar schreiben. Ein Rätsel der Evolution, das selbst der große Darwin nicht knacken konnte.

Im IV. Kapitel heißt es "Mit Drachen arbeiten", wobei das Anlegen eines "persönlichen drachenkundlichen Notizbuches" empfohlen und die richtige Annäherung an einen Lung erklärt wird. Drachen zu zähmen sollte den fortgeschrittenen Drachologen vorbehalten sein. Denn Drachen, die nach dem Zähmzauber wieder zu sich kommen, reagieren manchmal recht unwirsch - vor allem, wenn sie sich entsinnen, etwas getan zu haben, das sie als peinlich empfinden. Wer die Wertschätzung eines Drachen erringen möchte, dem sei das Studium des "Rätselhefts für Drachen" ans Herz gelegt. Die schuppigen Echsinnen und Echsen liebe knifflige Fragen.

Anhang I gibt Einblicke ins "Drachenkundliche Labor". Besonders wertvoll: 1869 abgepackter Drachenstaub - eine Rarität! Anhang II verrät zum Überleben nützliche Zaubersprüche und -formeln. Anhang III erinnert an berühmte Drachenkundler, aber auch Drachentöter der Vergangenheit; etwa an Georg von Kappadokien (3. Jh. n. Chr.), der stets mit einem christlichen Heiligen selbigen Vornamens verwechselt wird.

Das Nachwort lässt einen Blick ins spiegelglatte Auge des Drachen zu - aber nicht nur das, ein Plädoyer für den Artenschutz ruft Jung und Alt zu mehr Toleranz auf.

Wer Joanne K. Rowlings liebevoll ausgestaltete Zauberwelt liebt, dem wird auch die Expedition in die geheime Welt der Drachen viel Freude bereiten. In der Bibliothek von Hogwarts steht Ernest Drakes Buch ganz gewiss. Schließlich lautet das Motto der "Schule für Hexerei und Zauberkunde" ja: "Draco dormiens nunquam titillandus" - "Kitzle nie einen schlafenden Drachen!".

(lostlobo; 10/2004)


Ernest Drake: "Expedition in die geheime Welt der Drachen"
Ars Edition, 2004. 32 Seiten. (Ab 9 J.)
ISBN 3-7607-4818-X.
ca. EUR 25,60.
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Noch ein Buchtipp:

Josef Guter: "Drachen - Ungeheuer und Glücksbringer"

In der Mythologie fast aller Völker spielt der Drache eine große Rolle. Im Christentum gilt er als Symbol des Teufels, und viele Heilige wie Georg und Margareta sind gegen ihn zum Kampf angetreten. Auch im germanischen Mythos ist die Midgardschlange eines der wichtigsten endzeitlichen Ungeheuer. Freundlicher ist das Bild des Drachen bei den Kelten und besonders bei den Chinesen, denen er als Symbol für den Kaiser galt. Auch das Drachensteigen hat sich aus einem Fest zu Ehren eines Drachengottes entwickelt. Noch heute wird auf indonesischen Inseln einem Drachengott geopfert, und im 17. Jh. soll ein Drache die christliche Missionsarbeit in China in der Weise unterstützt haben, dass er zwei Jesuiten aus dem Gefängnis befreite.
Mythen, Sagen und Legenden aus der ganzen Welt hat der Autor für dieses Buch zusammengetragen, von Siegfried und Beowulf über die griechische Hydra und den alttestamentlichen Leviathan bis hin zu den fernöstlichen Drachensagen. Darüber hinaus geht er der Frage nach, ob eventuell doch einzelne, bis in vorgeschichtliche Zeit überlebende Dinosaurier oder zumindest eine größere Festlandart der Komodo-Warane den Hintergrund der Drachen-Vorstellungen geliefert haben könnten.
Eine Auflistung von Drachenorten in Europa mit Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Raum und die Wiedergabe der mit ihnen verknüpften Geschichten und Erzählungen runden den reich illustrierten Band ab. (Stocker)
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