Robert Hofrichter: "Die Rückkehr der Wildtiere"

Wolf, Geier, Elch & Biber


Es gibt Bücher, die sind einfach schön. Andere sind bedeutsam - man sollte sie gelesen haben. Diesmal treffen beide Qualitäten zu, denn Robert Hofrichters Lektüre rührt, begeistert und bildet. Womit auch einmal mehr der Leopold Stocker Verlag, als Verleger dieses Buchs, einen überragenden Beitrag zur ökologischen Bewusstseinsbildung leistet. Im konkreten Fall zwar spezifisch zum Artenschutz, doch wird im Text klargestellt, dass Artenschutz immer und in erster Linie als umfassender Lebensraumschutz begriffen werden muss. Wer also für die Wiederansiedlung von Wölfen, Bären und Elchen plädiert, sollte sich demnach z.B. genauso der Forderung nach Errichtung so genannter "Grüner Brücken" über Autobahnen anschließen, welche es Tieren ermöglichen jene Todesschneisen des automobilen Verkehrs gefahrlos zu überwinden, die ansonsten der Faunen Lebensräume definitiv zerschneiden und in Inzuchtgebiete mit verminderter genetischer Austauschrate aufspalten.

Die Verelendung unseres ökologischen Erbes muss wohl nicht erst noch näher ausgeführt werden. Das Unverständnis und der Hass unserer Ahnen gegenüber allem "räuberischen Wild" ("Raubtier" - welch begriffliche Denunziation!) hatte in Mitteleuropa eine beinahe vollständige Ausrottung dieser Tiere zur Konsequenz und hinterließ den Nachgeborenen das traurige Vermächtnis einer wahrlich zusammen geschossenen Biosphäre. Unsere Mitwelt ist nun, zumindest so weit es die autochthone Fauna betrifft, weitestgehend ruiniert; jedenfalls stark verkümmert. Und sollten Forstwirte zuweilen auch die Überhegung ihrer Holzplantagen mit Wildtieren beklagen, so darf dies doch nicht zu dem Fehlschluss verleiten, darin viel mehr als Fleischtierhaltung und Trophäenzucht im Grünen zu erkennen. Für eine wirkliche Naturlandschaft aus urwüchsiger Fauna und Flora fehlt es mangels Willens dazu am Grundlegendsten.

Doch dass dem gegenwärtig so ist, muss kein unabänderliches Gesetz sein. Hofrichters Buch stimmt zwar melancholisch, wenn der Autor von der Ausrottungsgeschichte hoheitlich befohlener Vernichtungsfeldzüge gegen unschuldige Tiere berichtet, wobei keine Grausamkeit und kein auch noch so gemeines Vorurteil ausgespart blieb, doch noch mehr spricht aus den Zeilen die Gestik eines kämpferischen und deswegen mitreißenden Optimismus zum Leser. Ein Wechselbad der Gefühle tut sich auf, und zusehends aufgewühlt von einem ansteckenden Enthusiasmus entfaltet sich im Leser ein Motiv zur Wirkmacht, das auffordert, von einer Philosophie des Wortes zu einer Philosophie der Tat weiter zu schreiten.

Und fürwahr, so wie es ist, soll es nicht bleiben, denn, so Hofrichter, die Rückkehr der Wildtiere steht an der Tagesordnung, ist bereits Realität, trifft insbesondere im nur schütter von Menschen besiedelten Alpenbogen geradezu ideale Voraussetzungen an und ist daher kommend uns allen Aufgabe wie Herausforderung zugleich. Aufgabe deswegen, weil ohne die Mithilfe von Ökologen und Tierschützern vermutlich zum Scheitern verurteilt, Herausforderung, weil ohne Umdenken in der Bevölkerung kaum zu bewerkstelligen. Wofür eben auch das besprochene Buch ein wertvoller Beitrag zur nunmehr höchstdringlichen Bewusstseinsbildung ist.

Wer sind nun diese rückkehrenden Wildtiere, die Hofrichters Buch zum Thema hat? Es sind der Braunbär, der Bartgeier, der Europäische Biber, der Elch, der Eurasische Fischotter, der Nordluchs, der Alpensteinbock, der Waldrapp oder Schopfibis, die Wildkatze und - dem Rezensenten ein besonderes Herzensanliegen - der Grauwolf. Sie alle sind nicht Zuwanderer, sondern Rückkehrer, nehmen also lediglich ihr eingeborenes Recht auf Heimat wahr, denn sie gehörten doch einst zum natürlichen Faunenreichtum unserer Lande. Zu jedem dieser Tiere bietet Hofrichters Lektüre eine Fülle eindrücklichen Bildmaterials, jeweils ein zoologisches Kurzporträt, fundierte Informationen zu Biologie und Lebensweise, Verbreitung und Lebensraum, des Weiteren zur Kultur- und Verfolgungsgeschichte, zum aktuellen Stand der Rückkehr und damit einhergehenden Problemen, Perspektiven und Visionen.

Das Phänomen "Rückkehr der Wildtiere" ist ebenso faszinierend wie brisant, stellt Robert Hofrichter im Vorwort zu seinem Buch klar. In diesem Zusammenhang muss mittels Öffentlichkeitsarbeit danach getrachtet sein, jenen für das Zusammenleben von Mensch und Tier so verderblichen, weil über unreflektierte Mythen im Bewusstsein der Menschen verwurzelten Unsicherheiten, Ängsten und Fehlinformation mittels Aufklärung entgegenzuwirken. Wer kennt sie auch nicht, die Märchen vom bösen Wolf und den sieben Geißlein, oder "das Rotkäppchen", dessen liebe Großmutter vom hinterfotzigen Wolf verschlungen und vom Jäger dann doch noch gerettet wird. Die Botschaft ist klar: Nur ein toter Wolf ist ein guter Wolf. Und dies findet schon viel früher im Alten Testament ("Seine Fürsten in ihm sind wie Wölfe, die Beute zerreißen, indem sie Blut vergießen, Seelen vertilgen, um unrechtmäßigen Gewinn zu erlangen." Hes 22,27), wie ebenso in den Evangelien, auf die der sprichwörtliche "Wolf im Schafpelz" zurückgeht und in den Schriften von Martin Luther seinen Niederschlag. Isegrim verkörpert in der europäischen Mythologie das Böse schlechthin - das Böse in tierischer Gestalt, weshalb er nach Meinung des Autors auch der Erste unter den "großen Drei" Wiederkehrenden ist, denen unser besonderes Augenmerk zu gelten habe: Wolf, Bär und Luchs. Für viele Zeitgenossen immer noch Schädlinge.

Dabei sei der Wolf alles Andere als das, was man ihm andichte, stellt der Autor richtig. Als Hund wurde er in einer einzigartigen Symbiose von Mensch und Tier zum "besten Freund" des Menschen. Was Biologen auf die nahezu spiegelbildliche Übereinstimmung der sozialen Verhaltensmuster beider Arten zurückführen. Die Analogien zwischen Mensch und Wolf sind im Detail betrachtet dann auch in der Tat überaus erstaunlich: So erweist sich der Wolf als geradezu menschlich, wenn er über Wochen, Monate oder bis zu einem Jahr verstorbenen Rudelmitgliedern nachtrauert. Zur authentischen Erkenntnis wölfischen Sozialverhaltens empfiehlt der Autor übrigens ausdrücklich Werner Freunds Buch "Wolf unter Wölfen". Freund lebt seit über zwanzig Jahren als Rudelmitglied unter Wölfen. Und wenn der Wolf in seinem notwendig grausamen Treiben als Beutegreifer auch nicht ethischen Grundsätzen folgt, Tiere haben keine Ethik, so ist er doch faktisch der Gesundheitspolizist des Waldes. Hält er sich doch als Jagdopportunist an leicht zu erlegende Beutetiere, somit an Kranke, Geschwächte, Lebensunfähige, die - so beweisen es langjährige Untersuchungen zu einer geschlossenen Wolf- und Elchpopulation auf der nordamerikanischen Isle Royale - er davor bewahrt langsam an ihren Qualen zu verenden. Den siechenden Tieren ist der Wolf letztlich allemal eine Gnade - eine Erlösung von ihrem unabänderlichen Elend.

Hofrichters pragmatische Herangehensweise wird nicht die Zustimmung eines jeden Tierfreundes finden, denn wenn er auch den einen oder anderen unüberlegten Abschuss von Wildtieren beklagt und illegale Abschüsse anprangert, so tritt er doch dezidiert für eine Strategie des großen gesellschaftlichen Konsens ein, wobei der Jägerschaft eine überragende Bedeutung zukomme. Diese gelte es von Nutzen und Schönheit der anstehenden Veränderungen zur Faunenlandschaft zu überzeugen und ihre Unterstützung dafür mit Sachargumenten zu gewinnen. Wozu es optimistisch stimmende Wortmeldungen maßgeblicher Jagdfunktionäre gibt, demnach den rückkehrenden Wildtieren ihrerseits keine Gefahr drohe. Es scheint so, als hätte die Jägerschaft zwischenzeitlich die überragende und unersetzliche Bedeutung des Wolfes (sowie anderer Beutegreifer) für die natürliche Selektion, damit einhergehend für die genetische Güte der Wildbestände begriffen, sowie diese Erkenntnis in das eigene Denken integriert. Und auch den Forstwirten dürfte bereits im Vorfeld der Rückkehrdebatte hinreichend bekannt geworden sein, dass Wolf und Luchs den Baumbestand mitteleuropäischer Wälder vor allzu viel schädigendem Wildverbiss schützen helfen. Womit diesen früher taxfrei als Schädlinge stigmatisierten Tieren neuerdings ein wichtiger ökonomischer Nutzfaktor zugestanden wird.

Weitaus problematischer ist da schon die Reaktion von Schafzüchtern, die auf die allmähliche Rückkehr großer Beutegreifer mit unversöhnlicher Ablehnung bis hin zu offener Feindseligkeit kontern und dafür ökonomische Argumente ins Treffen führen. So bräuchte man zum Schutz der Herden alleine in Tirol rund 150 Vollzeitschäfer, zuzüglich korrekt sozialisierter Schutzhunde, was sich keiner leisten könne. Ein Beispiel mehr, dass die Wiederkehr der großen Beutegreifer ein gesamtgesellschaftliches Anliegen ist, eine - wohl auch finanzielle - Herausforderung an die Bürgergesamtheit, was einen allgemeinen Konsens voraussetzt und keinesfalls zu Lasten Einzelner gehen darf, will man nicht Verbitterung und Hass in schlechtester Manier kultivieren. Die Wiedererlangung von Naturschönheit sollte uns jedenfalls die geringen Opfer an Geld und Mühsal wert sein.

Die Problematik eines Artenschutzes, der sich nicht mit vorgefundener Naturarmseligkeit zufrieden gibt, sondern sich viel mehr und ohne falsche Scheu an der Vision eines uneingeschränkten Reichtums naturgegebener Lebensformen orientiert, sollte vermittels obiger Ausführungen zum besprochenen Buch somit hinreichend angedeutet sein, obgleich gerade einmal nur angedeutet, denn dass es zur Rückkehr großer und "räuberischer" Wildtiere in ein überwiegend als Kulturlandschaft geprägtes und teils unmäßig besiedeltes Mitteleuropa noch Vieles und Wichtiges auszuführen gilt, darf der Leser dieser Rezension getrost einmal als gewiss annehmen. Eine jedwede Mensch-Tier-Beziehung wird niemals konfliktfrei sein, denn allzu sehr ist menschliches Anspruchsdenken allemal auf sein unmittelbares (materielles) Eigeninteresse zentriert, auch wenn ihm dadurch viel Schönheit verloren geht, doch sollte die bloße Möglichkeit eines Miteinanderlebens niemals vorschnell als unerreichbare Vision schwärmerischer Wildtierutopisten abgetan werden. Dass dieses und wie dieses nämlich sehr wohl funktionieren kann und könnte, inwieweit wir alle dafür jedoch umzudenken haben, welche Herausforderungen und Opfergaben uns dazu erwarten, zugleich, welch ein Mehr an Naturschönheit und ökologischem Wertvermögen zur lohnenden Vergeltung dann ansteht, dafür ist Hofrichters enthusiastisches Buch ein gediegener Befund - sohin der Befund eines Sachverständigen zu einer realen Vorstellung von einer schöneren Welt, die dem Menschen - so lehrt man es doch die Kinder - einzig zur fürsorglichen Hege und nicht zur blindwütigen Ausbeutung ihrer Schätze anvertraut ist.

Dieses jeden Naturliebhaber wohl frohlockend machende Buch sei in diesem Sinne jeder Person mit vornehmer Daseinsauffassung als ein Schrifttum stillen Adels auf das Herzlichste zur Lektüre empfohlen. Die Faszination des Schönen tritt uns in Wort und Bild hieraus ins Gemüt; in Gestalt einer Ode sinnigen Gehalts, die zur Wiedererlangung göttlichen Schöpfungsreichtums gesungen ist - farbenreich im Klang, doch klar und nüchtern im Gesprochenen. Und da es zugegebenermaßen eine Schwäche des Rezensenten ist, angesichts einer ethisch hochwertigen Lektüre gern einmal in hymnischen Lobgesang zu verfallen, sei zum Resümee sein Urteil zum Buch zusätzlich auch noch mit höchst profaner doch dafür umso eindrücklicher Wortwahl zum abschließenden Ausdruck gebracht: einfach lesenswert.

(Harald Schulz; 11/2005)


Robert Hofrichter: "Die Rückkehr der Wildtiere"
Stocker, 2005. 256 Seiten, 200 Farbabbildungen.
ISBN 3-7020-1059-9.
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Dr. Robert Hofrichter, Jahrgang 1957 ist Zoologe / Biologe, freier Journalist, Naturfotograf und Mitarbeiter am Zoologischen Institut der Universität Salzburg. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Artikel und Aufsätze zu Thematiken der Flora, Fauna und Ökologie sowie Veröffentlichungen als Bildautor runden sein literarisches Werk ab.