Träumen IV
Eine alte Geschichte

Eine alte Weide trauert
dürr und fühllos in den Mai,
eine alte Hütte kauert
grau und einsam hart dabei.

War ein Nest einst in der Weide,
in der Hütt ein Glück zu Haus;
Winter kam und Weh, - und beide
blieben aus.

 

XXII

Wie eine Riesenwunderblume prangt
voll Duft die Welt, an deren Blütenspelze,
ein Schmetterling mit blauem Schwingenschmelze,
die Mainacht hangt.

Nichts regt sich; nur der Silberfühler blinkt.
Dann trägt sein Flügel ihn, sein früh verblasster,
nach Morgen, wo aus feuerroter Aster
er Sterben trinkt.


(von Rainer Maria Rilke)