Graham Swift: "The Light of Day" / "Das helle Licht des Tages"

Am bekanntesten ist sicherlich Swifts Roman "Waterland", der ja verfilmt wurde, aber auch "Learning to Swim" und besonders "Last Orders" ("Letzte Runde") waren/sind überaus lesenswert. Mit diesem neuesten Roman begibt sich Graham Swift nun stärker in die kriminalistische Ecke, wobei die Lösung eines gegebenen Falls gar nicht so eine große Rolle spielt, sondern vielmehr, wie die Entwicklung vor und nach der hier wichtigen Tat emotionell auf einen der Hauptbeteiligten wirkt.


Dieser Hauptbeteiligte ist George Webbs, ein Privatdetektiv. Er beschäftigt sich in erster Linie damit, hinter untreuen Lebenspartnern und der dazugehörigen Beweissicherung herzuschnüffeln. Hierbei stellt er - der ehemalige Police Detective - fest, dass die Menschen einem Privatdetektiv wesentlich anders gegenüber treten als einem Polizeibeamten und dass das Verhältnis, das man mit seinen Klientinnen und Klienten eingeht, eine seltsame Art von Intimität hat, die Webbs bis dahin nur aus der Arbeit seines Vaters kannte, der als Hochzeitsfotograf arbeitete. Außerdem lernt er aber auch durch seine Arbeit eine ganze Menge über Beziehungen im Allgemeinen und beginnt, diese Erfahrungen auch immer mehr in sein eigenes Privatleben einzubringen, das nach seiner unehrenhaften Entlassung aus der Polizei sehr gelitten hat. Seine Frau hat ihn nämlich verlassen, und das einzige weibliche Wesen in seinem Leben, neben Rita, seiner Sekretärin/Partnerin, ist Helen, seine Tochter, die einmal die Woche zu ihm kommt, um seine Kochkünste zu genießen. Denn nach seiner Scheidung wurde George auch zum "kochenden Detektiv". Und dies mit zunehmender Freude.

Als Sarah in sein Büro kommt, ist George zunächst etwas irritiert. Sarah ist - genau wie seine Exfrau - Lehrerin, eine Konstellation, die er eigentlich immer tunlichst meidet. Sarah ist mit einem Frauenarzt verheiratet, der mit einer jungen Kroatin fremdgeht, die das Paar nach dem Auszug ihres Sohnes aus Herzensgüte aufgenommen hatte. Die junge Frau - die fast alle ihre Familienangehörigen im Jugoslawien-Krieg verloren hatte, blüht im Haushalt der beiden bald auf, und das wiederum treibt umgehend andere Blüten. Als der Krieg im ehemaligen Jugoslawien nun im Sinne der Kroaten beendet ist, muss die junge Dame wieder zurück und George soll aufpassen, dass sie zum einen wirklich das Land verlässt und zum anderen der verliebte Frauenarzt selber aber im Lande bleibt. Dies geschieht auch, aber trotzdem sieht sich Sarah noch am gleichen Abend genötigt, ihren zurückkehrenden Ehegatten mit einem Küchenmesser zu töten, was sie dann auch sofort der Polizei mitteilt.

George, mittlerweile sehr in Sarah verliebt, ist verzweifelt und muss die nächsten Jahre damit verbringen, seine Angebetete, der er auch noch immer Hausaufgaben mitbringen muss, alle 14 Tage im Gefängnis zu besuchen. Diese Geschichte spielt im zweiten Jahr dieser Besuchsketten und man bekommt durch Georges Augen sehr schön die Atmosphäre und die Emotionen bei einem Besuch im Frauengefängnis vorgeführt. Und auch sonst, in seinen vielen Reminiszenzen, ist dieses Buch sehr eindringlich geschrieben, so dass es sehr nachdenklich stimmenden Lesestoff darstellt. 

Graham Swift wurde am 4. Mai 1949 in London geboren. Er schloss 1975 sein Studium in Cambridge mit einem Mastertitel ab. Von 1970 bis 1973 war er an der New York University eingeschrieben. Von 1974 bis 1983 unterrichtete er Englisch in verschiedenen Londoner Colleges. Sein erster Roman, "The Sweet-Shop Owner", erschien 1980, es folgten die Romane "Shuttlecock" (1981), "Waterland" (1983), "Out of his World" (1988) und "Ever After" (in deutscher Übersetzung 1992 erschienen) sowie die Sammlung von Kurzgeschichten "Learning to Swim" (1982) und die Anthologie "The Magic Wheel" (1985). Seine Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt, drei von ihnen ins Deutsche.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 06/2003)


Graham Swift: "The Light of Day"
Englische Ausgabe:
Penguin Books, 2003. 256 Seiten.
ISBN 0-2411-4204-0.
ca. EUR 25,90. Buch bestellen

Deutsche Ausgabe: "Das helle Licht des Tages"
Aus dem Englischen von Barbara Rojahn-Deyk.
Hanser, 2003. 336 Seiten.
ISBN 3-446-20358-3.
ca. EUR 19,90.
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Ergänzende Buchtipps:

"Letzte Runde"
Ray, Lenny, Vic und Vince, vier alte Freunde treffen sich eines Morgens in ihrer Stammkneipe im Süden von London. Vom Pub aus fahren sie
in Vinces Mercedes ans Meer, um dort die Asche ihres soeben verstorbenen Kumpels Jack zu verstreuen. Sie unterhalten sich unterwegs, legen sich miteinander an, träumen, erinnern sich - und hin und wieder kehren sie in eine Kneipe ein. Auf der tragikomischen Pilgerfahrt kommt auf verhüllte Weise zur Sprache, was ihr Leben ausgemacht hat. In ihren alltäglichen Existenzen haben sich stille Dramen abgespielt, und jeder trägt eine Schuld mit sich herum. Die Pilgerfahrt führt nicht nur durch die Grafschaft Kent, sondern auch ein halbes Jahrhundert zurück in die Vergangenheit der Männer. Der Roman über die kleinen und die großen Freuden, Sünden und Dramen des Lebens, ausgezeichnet mit dem Booker Preis 1996, wurde im Jahr 2001 vom Australier Fred Schepisi mit Michael Caine und Bob Hoskins (u. a.) verfilmt ("Last Orders"; Großbritannien/Deutschland). 
Gebundene Ausgabe:
Aus dem Englischen von Barbara Rojahn-Deyk.
Hanser, 1997. 328 Seiten.
ISBN 3-446-18959-9.
ca. EUR 19,90.
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Taschenbuch:
Rowohlt
, 1997. 336 Seiten.
ISBN 3-499-22312-0.
ca. EUR 8,50.
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"England und andere Stories"
zur Rezension ...

"Waterland"
An einem strahlenden Sommertag im Jahre 1943 findet Henry Crick, Schleusenwärter an einem Fluss in den Marschen East Anglias, die Leiche eines 16jährigen Jungen. Das Ergebnis der offiziellen Untersuchung: Freddie Parr wurde Opfer eines tragischen Unfalls. Tatsächlich hängt sein Tod aber mit Vorgängen um Henry Cricks Sohn Tom und dessen schwangere Freundin Mary zusammen, beide auf verhängnisvolle Weise schuldig und unschuldig zugleich ...
Fast vierzig Jahre später wird Tom Crick, Lehrer für Geschichte, seine überraschten Schüler auffordern, Bücher und Hefte beiseite zu legen, und ihnen Geschichten erzählen: von den Marschen, von den Cricks und den Atkinsons, einfache Arbeiter die einen, Vertreter der aufstrebenden Bourgeoisie die anderen. Wir hören von einem Vorfahren, der im 18. Jahrhundert Fluss und Land erwirbt und seine junge Frau ins Verderben stürzt, von Tom Cricks Großvater, der sich in die eigene Tochter verliebt, und schließlich von jenem verhängnisvollen Sommertag im Jahre 1943.
Graham Swifts preisgekrönter Roman über das wechselvolle Schicksal zweier Familien wurde fürs Kino verfilmt. In den Hauptrollen: Jeremy Irons und Sinead Cusack.
Gebundene Ausgabe:
Aus dem Englischen von Franziska Reiter.
Claassen, 1993. 407 Seiten.
ISBN 3-546-00044-7.
ca. EUR 21,-.
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