Ray Charles mit David Ritz: "Ray"

Ray Charles gilt als Erfinder der Soul-Musik, gewann bis zu seinem Tod im Juni 2004 ein Dutzend Grammys und war einer der ersten schwarzen Musiker, die es in einem von Weißen beherrschten Geschäft zu Ruhm brachten. In "Ray" erzählt er die Geschichte seines Lebens, von der Chronik seiner musikalischen Entwicklung über seine Heroinabhängigkeit bis zu seinem ausschweifenden Liebesleben.


Dies ist die Autobiografie eines der wichtigsten Männer der Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts; auch wenn sich Ray Charles selbst nicht so gesehen hat. Er wurde am 23. September 1930 in Albany, Georgia geboren und wuchs in ländlicher Umgebung auf. Er verlor früh sein Augenlicht, so dass er buchstäblich ausschließlich das ländliche Leben einer sehr armen schwarzen Familie in den Südstaaten der 1930er Jahre aus eigener Anschauung kannte. Von seinem siebenten Lebensjahr an war er blind.

In "Ray" schildert der Musiker, wie er heran- und immer mehr in die Rolle des Musikers hineinwuchs. Dabei ging er häufig Wege, die mancher einem blinden Menschen niemals zutrauen würde.
Alles, was im Kinofilm "Ray" (siehe weiter unten; Anm. d. Red.) Thema ist, wird auch in diesem Buch angesprochen. Ray Charles schont sich selbst nicht; nicht, wenn es um seine Wutanfälle gegenüber Kollegen geht, nicht in Bezug auf seine zahlreichen Affären und Vaterschaftsklagen und ganz bestimmt nicht in Bezug auf seine Heroinabhängigkeit und darauf, wie er diese Sucht schließlich überwand.

Er berichtet ungeschönt davon, wie er Rassismus erlebte und warum er nicht zu einem Vorkämpfer gegen Rassismus wurde. Er ist schonungslos im Umgang mit der eigenen Vergangenheit, weil er wirklich nichts zu bereuen scheint. Dieser Mann hatte sich mit Haut und Haar der Musik verschrieben, und alles Andere musste dahinter zurückstehen.

Was das Buch interessant macht ist, dass es - in Interviewform von David Ritz aufgezeichnet - direkt "aus Rays eigenem Mund" geschrieben wurde und somit ungekünstelt wiedergibt, was Ray Charles dachte und fühlte. Seine Gedanken zu vielen Fragen und Problemen sind wirklich lesenswert. Man muss nicht durchgehend mit ihm einer Meinung sein, aber Ray Charles wirft interessante Gesichtspunkte zu vielen eher schon abgegrasten Themen auf, wobei die Sichtweise eines Blinden ihm hier ganz eigene Einsichten ermöglicht.

Ray Charles’ Lebensgeschichte ist auch die Historie des Soul und R'n'B und einiger anderer Musikrichtungen, außerdem in einigen Teilen eine Geschichte der Rassentrennung und ihrer Aufhebung, die Ray meiner Meinung nach durchaus sehr idiosynkratisch betrachtet, um es vorsichtig auszudrücken.

Diese Ausgabe der Autobiografie von Ray Charles enthält etliche Fotos, ein Nachwort von David Ritz und - zusätzlich zum Material der Vorausgabe - einen Bericht über Rays letzte paar Monate auf Erden aus der Sicht seines Koautors. Den Abschluss der Autobiografie bildet eine ausgiebige, kommentierte, chronologische Diskografie, welche Musikfreunde sicherlich anspornen wird, auf die Jagd nach einigen bisher nicht so bekannten Titeln zu gehen. Alles in allem ist dies wirklich ein Buch "mit Musik drin".

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2005)


Ray Charles mit David Ritz: "Ray"
(Originaltitel "Brother Ray")
Heyne, 2005. 415 Seiten.
ISBN 3-453-50014-8.
ca. EUR 12,40.

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Lien:
https://www.raycharles.com/

Die Lebensgeschichte von Ray Charles wurde 2004 unter der Regie von Taylor Hackford mit Jamie Foxx, Kerry Washington, Clifton Powell, Harry Lennix, Sharon Warren, Regina King (u.a.) als "Unchain My Heart: The Ray Charles Story" verfilmt (Lien zur Netzseite des Films: https://movies.uip.de/ray/).
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David Ritz verfasste als Koautor die Autobiografien von u. a. B. B. King, Smokey Robinson und Etta James. Zuletzt war er als Koautor bei dem Lebensbericht von Walter Yetnikoff beteiligt. Er verfasste auch die Biografien "Divided Soul: The Life of Marvin Gaye" und "Faith in Time: The Life of Jimmy Scott".

Ein derartiges Buch:

B.B. King mit David Ritz: "Ein Leben mit dem Blues. Die Autobiografie"

Als weltweit gefeierter "König des Blues" ist B.B. King eine Legende. Er gilt als der beste Bluesgitarrist aller Zeiten. Seine Bedeutung für die Blues- und Rockmusik kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In "Ein Leben mit dem Blues" erzählt der 1925 im Mississippi-Delta geborene "Blues Boy" erstmals seine bemerkenswerte Geschichte: seine Kindheit in ärmlichen Verhältnissen auf einer Baumwollplantage, die musikalischen Anfänge als Gospelchorsänger und Gitarrist in Memphis sowie seinen internationalen Erfolg als Superstar des Blues. B.B. King erweist sich als meisterhafter Erzähler. Er schreibt wie er singt: mit Witz, Weisheit und Mut zur Ehrlichkeit; seine Sprache ist einfach und sensibel zugleich. Offen und direkt berichtet er über sein Leben und seine Musik. Eindrucksvoll beschreibt B.B. King die Entwicklung des Blues von den akustischen Anfängen auf dem Lande über den elektrischen Blues in den Städten bis hin zu seiner eigenen stilübergreifenden Richtung. Dadurch entsteht ein einmaliges Porträt einer der herausragenden Persönlichkeiten der populären Musik des 20. Jahrhunderts. (Palmyra)
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Leseprobe:

(...) Wenn wir Hühnchen aßen, dann musste es Sonntag sein, der Tag des Kirchgangs. Ja doch, Jesus, Mama glaubte an die Kirche. Unsere Kirche war die Shiloh Baptist Church, und ich mochte sie vor allem wegen des Gesangs.
Die Kirche war einfach: Der Prediger sang oder las vor, und die Gemeinde sang ihm nach. Selten mit Begleitung - erst als ich viel älter war, bekamen wir ein Klavier in der Kirche -, der Gottesdienst war schmucklos und einfach. So bekam ich meinen ersten Religionsunterricht und meinen ersten Musikunterricht.
Ich war ein neugieriges Kind, ein kleiner Schlingel, aber im Wesentlichen mit guten Manieren. Ich wurde erzogen, meiner Mama zu gehorchen. Auf dem Lande tat man das, was einem die Erwachsenen befahlen. Wenn man das nicht tat, bekam man den Hintern voll. So einfach war das!
Ich war ein glückliches Kind. Ich liebte das Land mit all seinen Farben und Geheimnissen. In der Nacht, wenn ich die Hand nicht vor Augen sehen konnte, schlich ich mit einer Schachtel Streichhölzer raus und steckte sie alle an. Meine Augen glänzten voll Verwunderung, und ich kam mir vor, als würde ich die ganze Welt erleuchten.
Am Tag starrte ich in die Sonne - wahrscheinlich mehr als mir gut tat. Und während eines Gewitters wartete ich auf den Blitz. Die meisten Kinder fürchteten sich vor dem Blitz, aber für mich war er schön. Ich versuchte, auf ihn draufzuspringen - so dumm war ich. Der weiße Streifen, der über den schwarzen Himmel schoss, erregte mich. Und dasselbe galt für den glühenden Glanz der Sonne. Wenn ich zurückdenke, wird mir klar, dass ich ein Brandstifter hätte werden können. Es war ein Wunder, die Kraft des Lichtes und der Hitze zu erleben.
Und dann gab es die Musik. Ich hörte sie schon sehr früh, genauso früh wie ich sah oder sprach oder ging. Sie war immer da - alle Formen, alle Arten, alle Rhythmen. Die Musik war der einzige Grund für mich, morgens aufzustehen.
Ich kam mit Musik in meinem Inneren zur Welt. Das ist die einzige Erklärung, die ich geben kann, da keiner meiner Verwandten singen oder ein Instrument spielen konnte. Die Musik gehörte zu meinem Körper wie die Rippen, die Leber, die Nieren, das Herz. Wie mein Blut. Sie war eine Kraft in mir, die schon da war, bevor ich die Szene betrat. Sie war eine Notwendigkeit für mich - wie Nahrung oder Wasser. Und von dem Augenblick an, als ich erfuhr, dass es Klaviertasten zum Hämmern gab, begann ich auf ihnen zu hämmern, und versuchte, meine Gefühle in Töne umzuwandeln.
Manchmal werde ich nach dem wichtigsten musikalischen Einfluss meiner Kindheit gefragt. Ich nenne immer einen bestimmten Namen: Mr. Wylie Pitman. Ich nannte ihn Mr. Pit.
Sie werden Mr. Pit natürlich in keiner Geschichte des Jazz finden, und der Mann ist nicht in der Hall of Fame des Down Beat. Aber, ihr Lieben, ihr könnt mich beim Wort nehmen: Mr. Pit konnte einen ordentlichen Boogie-Woogie auf dem Klavier spielen. Und - was am besten war - er wohnte in derselben Straße wie wir.
Red Wing Café. Ich kann dieses große rote Schild vor mir sehen, in genau diesem Augenblick. Das war Mr. Pits Geschäft. Es war ein kleiner Laden, wo er und seine Frau, Miss Georgia, ihre Waren, wie Limo, Bier, Süßigkeiten, Kuchen, Zigaretten und Petroleum verkauften. Mr. Pit vermietete auch Zimmer.
Mama und ich waren dort immer willkommen, und als wir einmal total abgebrannt waren, wohnten wir tatsächlich eine Zeitlang im Red Wing Café.
Mr. Pits Geschäft war das Zentrum der schwarzen Gemeinde von Greensville. Und wenn man ins Café ging, sah man zwei Dinge - sofort beim Eintreten! -, die mich für den Rest meines Lebens beeinflussten.
Ich spreche von einem Klavier und einer Jukebox.
Oh, dieses Klavier! Es war ein altes ramponiertes Pianino und der wunderbarste Apparat, den meine Augen je erblickten. Boogie-Woogie war damals modern, und das war der erste Stil, den ich kennen lernte. Mr. Pit gehörte zu den Besten. Er war einfach an einer musikalischen Karriere nicht interessiert. Wenn er es gewesen wäre, hätte er großen Erfolg gehabt, das weiß ich. Er wollte einfach in Greensville bleiben und ein einfaches Leben führen.
Als Mr. Pit also eines Tages zu spielen begann, watschelte ich zum Klavier und starrte ganz einfach vor mich hin. Es erstaunte und faszinierte mich, wie seine Finger dahinflogen, wie all diese Akkorde zusammenkamen, wie die Töne auf mich einströmten und in meinen Ohren klangen.
Sie glauben nun, ein älterer Typ würde durch dieses kleine herumstehende Kind abgelenkt werden. Nicht Mr. Pit. Vielleicht, weil er und Miss Georgia keine eigenen Kinder hatten. Aber aus welchen Gründen auch immer, der Mann behandelte mich wie einen Sohn. Er hob mich auf den Stuhl und setzte mich richtig auf seinen Schoß. Dann ließ er meine Finger die Tasten rauf- und runterlaufen. Das war ein schönes Gefühl, und fünfundvierzig Jahre später ist es noch immer genau so.
Ich versuchte herauszufinden, wie er es schaffte, dass all diese Töne zusammenkamen. Ich war nur ein Knirps, aber ich versuchte selbst einige kleine Boogie-Woogie-Figuren zu erfinden.
An manchen Tagen war ich draußen im Hinterhof des Hauses. Wenn ich Mr. Pit den schönen Boogie-Woogie hämmern hörte, ließ ich immer alles fallen und rannte in seinen Laden hinüber. Der Mann ließ mich jedes Mal spielen.
"So geht’s, kleiner Mann! So geht’s!", rief er dann immer und spornte mich an, als ob ich sein Sohn oder sein Schüler gewesen wäre.
Er sah, dass ich gerne die üblichen Kinderspiele für das Klavier liegen ließ. Deshalb glaubte er, ich liebte die Musik genauso wie er. Und all das geschah, als ich erst drei Jahre alt war.
Ich konnte einfach nicht genug davon bekommen. Ich war stundenlang dort - ich saß auf seinem Schoß, schaute ihm beim Spielen zu oder spielte selber. Er war ein geduldiger und liebevoller Mann, dem es mit mir nie langweilig wurde. (...)

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