Alain Claude Sulzer: "Aus den Fugen"
Als der berühmte Pianist
Marek Olsberg sich auf ein abendliches Konzert in der Berliner
Philharmonie vorbereitet, ahnt er noch nicht, dass dieser Abend sein
Leben verändern wird. Genauso wenig wie einige der Besucher dieses
Konzerts, deren Leben, ohne dass sie es zunächst bewusst wahrnehmen
können, ähnlich aus den Fugen geraten scheint, wie das des Pianisten.
Behutsam und mit großer erzählerischer Kunst führt Alain Claude Sulzer
seinen schon von den ersten Seiten an gebannten Leser in die Geschichten
der verschiedenen Protagonisten ein. Neben dem berühmten Pianisten
selbst sind das Esther, die sich mit ihrer Freundin Solveig, die gerade
von ihrem Ehemann verlassen wurde, zu diesem Konzert verabredet hat. Der
Szenefotograf Johannes, der gerade in Berlin ist, dem man Konzertkarten
geschenkt hat, und der es in Begleitung einer Hostess besuchen
will. Da sind auch Sophie und ihre jugendlich aufsässige Nichte
Klara, der Leihkellner Lorenz und die beiden Homosexuellen Claudius und
Nico.
Das gegenwärtige Leben aller eingeführten Personen ist brüchig,
widersprüchlich, bei manchen geradezu prekär. Immer wieder spüren sie,
dass ihr Leben an der Oberfläche treibt, dass ihnen Konstanz und
Tiefgang fehlen, doch schon seit Langem sehen sie entweder keinen
Ausweg oder können nicht die Kraft für eine wirkliche Veränderung
aufbringen.
Als Marek Olsberg kurz vor der Pause seines Konzertes während der
Hammersonate von Beethoven
sein bisher gewohnt geniales Spiel abbricht, für alle im Saal
wahrnehmbar sagt: "Das war's dann", den Klavierdeckel
herunterklappt und über einen Hinterausgang den Saal verlässt, da ist
nicht nur das Leben des Musikers aus den Fugen geraten, sondern auch die
Lebensentwürfe und Lebenslügen der anderen Personen werden offenbar.
Nach außen hin ein ordentliches und geachtetes Leben führend, zeigen
sich die Risse, verursacht von Untreue, Verrat und von Misstrauen. Eine
Zeit lang lässt Alain Claude Sulzer seine Leser noch Anteil nehmen, wie
die jäh in ihren Täuschungen unterbrochenen Lebensläufe der
Protagonisten weitergehen, er lässt sie hineinblicken in die
schmerzhafte Tragödie von Lügen,
Selbsttäuschungen und Unklarheiten, doch dann enden die Geschichten, und
dem Leser bleibt es überlassen, wie die Menschen wohl mit der nun
teilweise erkannten Wahrheit ihres aus den Fugen geratenen Lebens
umgehen werden.
Wie bereits in etlichen seiner bisherigen Romane, spielt in "Aus den
Fugen" das Thema
Homosexualität eine herausragende Rolle. Der 1953 in Riehen bei
Basel geborene Alain Claude Sulzer ist ein großer Erzähler, dem es in
diesem Buch hervorragend gelingt, mit dem musikalischen Bild der Fuge
die Schönheit und die Brüche menschlichen Lebens zu beschreiben.
(Winfried Stanzick; 11/2012)
Alain Claude Sulzer: "Aus den Fugen"
Galiani, 2012. 240 Seiten.
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