Reinhard Lauer: "Aleksandr Puškin"

Eine Biografie


Puškin - ein Genie der Poesie

"Aleksandr Puškin ist der größte russische Dichter. Seine Bedeutung in der russischen Literatur ist einzigartig." Mit diesen Worten beginnt Reinhard Lauer seine neue Biografie über Alexander Puschkin. Nikolaj Gogol war wohl derjenige, der Puschkin als erster das Etikett oder besser die Würdigung 'Der große russische Nationaldichter' verliehen hat. Und zweifellos war es tatsächlich Puschkin, dem das Verdienst zukommt, die russische Literatur zur Eigenständigkeit emporgehoben zu haben, der seinen Dichter-Kollegen die weite Landschaft der russischen Volksseele aufzeigte, die darauf wartete, in einem künstlerisch literarischen Sinne urbar gemacht zu werden. Gegen die Willkür und den Widerstand der Zensoren, die von der Obrigkeit angehalten wurden, die junge Saat möglichst nicht aufkeimen zu lassen. Und Puschkin hatte ja auch sein Leben lang unter Bespitzelung, Zensur und Verbannung zu leiden. Diese ständigen Nachstellungen seitens der Behörden ziehen sich wie ein roter Faden durch Puschkins Biografie.

Reinhard Lauer, emeritierter Professor für slawische Philologie und Autor dieser Biografie, wählt den Terminus Aporie (Unmöglichkeit, eine korrekte Entscheidung zu treffen. unauflösbare Widersprüchlichkeit), um das Wesen Alexander Puschkins sowie das Wesentliche in seinem Schaffen zu charakterisieren. Er spricht von der Puškinschen Aporie, ein Ausdruck, der der Wesensart des Dichters in jeder Hinsicht gerecht wird. Anna Kern, Gattin eines russischen Generals, nebenbei Vertraute und Freundin Puschkins, drückt es so aus: "Bald war er lauthals fröhlich, bald traurig, bald schüchtern, bald frech, bald unendlich liebenswürdig, bald melancholisch gelangweilt, und nie konnte man erraten, in welcher Gemütsverfassung er in der nächsten Minute sein würde." Ja, es sind in der Tat unvereinbare Widersprüche, die das Bild des Dichters prägen, eine innere Zerrissenheit, die ihn nie zur Ruhe kommen ließ. Reinhard Lauer ist es gelungen, mit seiner Biografie ein lebenssprühendes Porträt Puschkins zu entwerfen. Nur wirkt sein Schreibstil manchmal ein wenig zu akademisch, gelehrt, professoral oder wie man es nennen will, um damit auch ein breites Publikum zu erreichen, was vermutlich aber auch gar nicht seine Intention war. Hin und wieder, vor allem zu Anfang kann einem in den slawischen Sprachen nicht so bewanderten Leser auch schon einmal der Kopf rauchen angesichts der Vielzahl von Namen, die er sich zu merken hat. Doch nach und nach werden einem die ungewohnten Buchstabenkombinationen vertrauter, und Lauers flüssig und geschliffen dargebrachte Prosa tut das Ihrige, Aufmerksamkeit und Interesse des Lesers stets wach zu halten.

In sieben Kapitel hat Reinhard Lauer sein Buch gegliedert, entsprechend den wichtigsten Meilensteinen auf Puschkins Lebensweg: Die frühe Kindheit, über die allerdings nur wenige Einzelheiten bekannt sind und Puschkins schulische Ausbildung an einem Elite-Lyzeum; dann seine Zeit im Staatsdienst als Kollegiensekretär in Petersburg; das dritte Kapitel behandelt die anschließende Strafversetzung in den Süden des Landes; darauf folgt die Verbannung nach Michajlovskoe; nach Begnadigung durch den Zaren dann Puschkins unstetes Nomadenleben, speziell sein Hin und Herpendeln zwischen den Metropolen Moskau und Petersburg; das sechste Kapitel beschreibt Puschkins Aufenthalt in Boldino, wo seine schönsten und wichtigsten Werke entstanden sind; und schließlich das Schlusskapitel, das die letzten, aufreibenden, von ständiger Geldnot geprägten Jahre des Dichters bis zu seinem Duelltod im Januar 1937 behandelt. Alle Kapitel sind der Übersichtlichkeit halber noch einmal unterteilt in kürzere Einzelabschnitte, die mit stichwortartigen Überschriften versehen sind. Anmerkungen zum politischen Klima in Russland vor, während und nach dem Dekabristen-Aufstand von 1825 nehmen, da die damaligen politischen Verhältnisse eng mit Alexander Puschkins Biografie verflochten sind, einen relativ großen Raum ein. Die Werkeinführungen sind knapp gehalten, beschränken sich auf das Wesentliche, und das ist gut so, der Leser sollte sich aus eigener Anschauung ein Bild von Puschkins Werken machen können. Immer wieder jedoch lässt der Verfasser den Dichter selbst zu Wort kommen, zahlreiche in den Text eingebaute Verse Puschkins lassen die Tiefe und Schärfe seiner Gedanken erahnen und zeugen von der Kraft und Schönheit seiner Poesie. (Erst nach 1930, einer entscheidenden Wende in seinem Schaffensprozess, wandte sich Puschkin der Prosa zu). Ab und an finden sich auch Zeichnungen des Meisters im Text, eilig hingeworfene Skizzen - so wirken sie auf mich - von Puschkins Hand, daneben lockern Autografen, Porträts sowie andere zeitgenössische Darstellungen den Text auf.

Reinhard Lauer verfällt in seiner Darstellung Puschkins weder in eine kultische Idealisierung des Dichters noch in eine abwertende Verurteilung, wie sie der provokatorische, teilweise fast schon chaotische Lebensstil Puschkins vielleicht hätte evozieren können. Er bleibt stets der Objektivität verpflichtet. Aus der unabsehbaren Fülle von Daten, Fakten und Anekdoten, die zu Puschkins Leben und Persönlichkeit überliefert sind, hat der Verfasser das aus seiner Sicht Wesentliche herausgefiltert und zu einem überzeugenden Porträt dieses großen russischen Dichters gestaltet.

Der Anhang mit Anmerkungen, Register etc. ist ziemlich umfangreich und füllt immerhin circa vierzig Seiten. Ein Buch, wohl in erster Linie, aber nicht nur für Fachleute. Ich denke, dass Reinhard Lauers Puschkin-Biografie eine Bereicherung für den Bücherschrank eines jeden an Literatur und hier natürlich vornehmlich an der russischen Literatur Interessierten darstellt.

(Werner Fletcher; 10/2006)


Reinhard Lauer: "Aleksandr Puškin"
C.H. Beck, 2006. 352 Seiten.
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Reinhard Lauer, seit 1969 o. Professor für Slavische Philologie an der Georg-August-Universität Göttingen und seit 1987 Vorsitzender der Kommission für Interdisziplinäre Südosteuropa-Forschung der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bei C.H. Beck liegt von ihm vor:

"Kleine Geschichte der russischen Literatur"
Die russische Literatur wird in diesem kompakten Überblick in ihrer Gesamtheit von den Anfängen bis in die jüngste Gegenwart dargestellt. Die Darstellung berücksichtigt den historischen Rahmen jeder Epoche, beschreibt ihre Hauptmerkmale, charakterisiert alle wichtigeren Autoren und bespricht in Kürze ihre Werke. Trotz immenser Faktenfülle ist diese Literaturgeschichte lebendig und allgemeinverständlich geschrieben. Sie soll allen, die sich für die russische Literatur interessieren, eine erste Einführung sein.
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