Astrid von Pufendorf: "Die Plancks"

Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand


Erwin Planck - Totengräber der Weimarer Republik oder Opfer des Nationalsozialismus?

Der Nobelpreisträger Max Planck ist weit über Naturwissenschaftlerkreise hinaus bekannt, sein Sohn Erwin hingegen, in der Weimarer Republik zumindest scheinbar ein Politiker der zweiten Reihe, im Nationalsozialismus einer der Gratwanderer zwischen einer dem Regime gegenüber unauffälligen Existenz und dem aktiven Widerstand, tritt in der Sachliteratur kaum in Erscheinung. Allenfalls gilt er Historikern im Umfeld von Papens Staatsstreich als einer der Totengräber der Weimarer Republik. In diesem Buch geht es um das innige Verhältnis zwischen dem herausragenden Physiker Max Planck und seinem Sohn, um den Zusammenbruch zweier Regierungsformen - Kaiserreich und Republik - in Deutschland und darum, wie Vater und Sohn Planck zur jeweiligen Regierung standen, wie sie ihre Meinungen vertraten, und vor allem, wie sie zu ihnen gelangten. Eine pauschale Verurteilung des Sohnes fällt aus heutiger Sicht leicht, zumal Erwin Planck seine Fehler im Nachhinein teilweise einsah und die Konsequenzen zog, indem er sich dem Widerstand anschloss. Astrid von Pufendorf bemüht sich, anhand zahlreicher Briefe und anderer Texte Plancks und der ihn umgebenden Menschen zu ergründen, wie ein intelligenter Mensch, der die Bedrohung durch Hitler klar erkannte, diesem letztlich in die Hände arbeiten konnte.

Erwin Planck wuchs mit drei älteren Geschwistern in einer sehr kultivierten, gut bürgerlichen Familie mit patriotischer Gesinnung auf. (Ich benutze das Wort "patriotisch" trotz des heutigen negativen Beigeschmacks, weil es damals selbstverständlich war, sich als Teil einer Nation zu empfinden.) Aus Abgrenzung gegenüber dem Elternhaus schlug Erwin nach dem Abitur eine Militärlaufbahn ein, begann jedoch nach der Ernennung zum Leutnant der Reserve ein Medizinstudium. Dieses fand durch den Beginn des Ersten Weltkriegs ein abruptes Ende.
Erwin geriet schon 1914 schwer verwundet in französische Gefangenschaft und kam erst Ende 1917 frei. Als Oberleutnant der Reserve arbeitete er im Generalstab, wo er den späteren Kanzler Kurt v. Schleicher kennen lernte und sich mit ihm anfreundete.
Erwin Planck stand wie viele junge Leute seiner Generation (und zahllose Ältere!) im Herbst 1918 dem Chaos in Deutschland hilflos gegenüber. Seine Erziehung und die Erfahrungen im Krieg hatten zu einer rechtsgerichteten Orientierung geführt. Die Angst vor einem bolschewistischen Deutschland bestärkte ihn darin und in einer eher demokratiefeindlichen Haltung, die auch sein Vater tendenziell teilte (der jedoch liberaler war und in die DVP eintrat). Ständige Zerreißproben mit einer in wichtigen Fragen sich verweigernden Linken, dem zunehmenden Straßenterror der extremen Rechten und einer ungeschickt lavierenden Mitte sowie die Uneinigkeit über die Stellung des Heeres im Staat waren nicht dazu angetan, der Demokratie mehr Wertschätzung entgegenzubringen, zumal Erwin Planck sinngemäß befand, die Tüchtigen sollten mehr wert sein.
Erwin erkannte die Politik als seine Berufung und arbeitete zunächst an der Schnittstelle zwischen Heer und Regierung, unter anderem an der Vorbereitung des Versailler Vertrags ("ausgeklügelter Lustmord"), dann in der innenpolitischen Abteilung des Reichswehrministeriums.
In den vergangenen zehn Jahren waren nacheinander seine Mutter und seine drei Geschwister gestorben, eine ungeheure Belastung für Vater und Sohn Planck und einer der Gründe für ihre enge Beziehung, aus der ein umfangreicher Briefwechsel entsprang.
1924 wechselte Erwin Planck in die Reichskanzlei und stieg, protegiert von Schleicher und anderen einflussreichen Persönlichkeiten, weiter auf. Schleicher wurde Erwins Trauzeuge.
Als es zum Präsidialkabinett unter Brüning kam, erlitt die Demokratie den ersten wirklich schmerzlichen Rückschlag. Erwin, der an der Umorganisation des Kabinetts eifrig beteiligt war, begriff offensichtlich nicht, was er und andere damit anrichteten. Brüning machte ihn "aus Verehrung für seinen Vater" zu seinem Privatsekretär. Nachdem Hindenburg Brüning fallen gelassen hatte und Papens "Kabinett der Barone" zusammentrat, wurde Planck im Gefolge Schleichers Staatssekretär in der Reichskanzlei; in dieser Funktion war er, wie erwähnt, maßgeblich am Staatsstreich in Preußen beteiligt. Er glaubte, auf diese Weise die von ihm eigentlich nicht geliebte, aber respektierte Republik sowohl vor den Kommunisten als auch vor den Nazis zu schützen. Gespräche mit dem damaligen Ullstein-Chef Schäffer zeigen, wie gefährlich Planck - und auch Schleicher - Hitler unterschätzten.
Als Papen die Reichswehr, leger ausgedrückt, vor seinen Karren spannen wollte, wurde er für Reichswehrminister Schleicher unhaltbar. Unter Druck trat das Kabinett Papen zurück, Schleicher wurde (eher widerwillig) Kanzler, Planck blieb auf seinem Posten. Nachdem dann Papen hinter Schleichers Rücken mit Hitler und Hindenburgs Sohn paktiert hatte, trat Schleicher zurück, unfähig, die längst gründlich beschädigte Verfassung in seinem Sinne zu missachten. Hitler hatte sein Ziel erreicht.
Planck stellte sein Amt zur Verfügung und unternahm erst einmal eine einjährige Reise nach Fernost. Bald nach seiner Rückkehr wurde das Ehepaar Schleicher ermordet; Planck begriff endgültig, was die Stunde geschlagen hatte, zumal sein Vater an den Schikanen gegenüber den jüdischen Mitarbeitern seines Instituts verzweifelte, allen voran Einstein. Im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchte er, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Erwin trat eine Stellung als Berater beim kriegswichtigen Konzern Otto Wolff an und nutzte die daraus entstehenden Kontakte und Reisen für eine Tätigkeit im Widerstand. Dabei hatte er vor allem mit zahlreichen Persönlichkeiten aus der Wehrmacht zu tun, die man aus dem Kreis der nach dem 20. Juli 1944 Ermordeten kennt. Planck fungierte als Kontaktperson, arbeitete aber auch an den Plänen für die Zeit nach dem erhofften Umsturz mit. Die anfängliche Akzeptanz des Auslands ("Appeasement") und später die deutschen Erfolge im Blitzkrieg schwächten die Position des Widerstands. Auch die zunehmende Überwachung machte der Opposition zu schaffen.
Am 23. Juli wurde Erwin Planck verhaftet, verhört und gefoltert. Ersuche um Begnadigung, unter anderem flehentliche Briefe des weit über achtzigjährigen Max Planck, blieben wirkungslos: Erwin Planck wurde am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet. Sein Vater, durch Erwins Tod endgültig gebrochen, überlebte ihn nur um zwei Jahre.

Im Prolog wird das Attentat auf Kurt von Schleicher aufgrund von Augenzeugenberichten rekonstruiert. Dass die am helllichten Tag von einem Himmelfahrtskommando vorgenommene Hinrichtung des ehemaligen Kanzlers dessen gutem Freund Erwin Planck die Augen restlos öffnete, ist offensichtlich. Plancks langer Weg von einem in der Monarchie verhafteten Intellektuellen, einem jener jungen Leute, denen der Erste Weltkrieg vier wichtige Jahre und den Boden unter den Füßen genommen hatte, zu einem überzeugten Mitglied des Widerstands lässt sich angesichts von Plancks verfassungsfeindlichen Aktivitäten unter Brüning und Papen nicht leicht nachvollziehen. Astrid von Pufendorf gelingt es jedoch, diese Entwicklung verständlich zu rekonstruieren. Dazu trägt vor allem das erwähnte umfangreiche Quellenmaterial bei, denn anhand der persönlichen Korrespondenz wird Plancks Charakter transparent; er erweist sich als ein Politiker, der vor allem danach strebte, seinem Land bestmöglich zu dienen - und seinem Vorgesetzten, Vorbild und Freund, Schleicher. Die Briefe lassen auch Schleicher in einem besseren Licht erscheinen als in der "offiziellen" Geschichtsschreibung, in der er vor allem als Intrigant in Erscheinung tritt.
Die Entstehung der Weimarer Republik und ihr Verfall aus der Sicht einer in den Lehrbüchern wenig beachteten "Grauen Eminenz" präsentieren sich sehr spannend, zumal Frau von Pufendorf sich auf das Nacherzählen hervorragend versteht. Hier und da ein Exkurs, eine Voraus- oder Rückblende, insgesamt aber ein auf der Chronologie fußendes Konzept, die stark anrührenden Zitate an wichtigen Stellen, ausreichende, doch nicht ausufernde Erläuterungen des historischen Kontexts: Zwar ist das Buch straff gegliedert, was dem Verständnis entgegenkommt, aber es gelingt der Autorin auch, Ansichten und Empfindungen vieler Beteiligter zu skizzieren und dem Leser nahezubringen. Am Ende entsteht eine differenziertere Sicht auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, eine Sicht, die das Empfinden und die persönlichen Hintergründe der damaligen Menschen einschließlich einiger Entscheidungsträger einbezieht und nicht nur die verheerenden Folgen einer nach heutigem Ermessen verfehlten Politik. Auch dieses Buch ist dazu angetan, den Antwortversuchen auf die Frage "Wie konnte es zu Hitler kommen?" einige neue Impulse zu geben.
Zahlreiche, zum Teil sehr persönliche Fotos von den Plancks und ihren Freunden ergänzen das Buch und zeigen Plancks Entwicklung von einem Kind aus der heilen bürgerlichen Welt der Kaiserzeit zum Soldaten, zu einem Staatsmann und schließlich zum Opfer eines Schauprozesses.

Zur Lektüre dieses übrigens hervorragend lektorierten Buchs benötigt man keine über das Schulwissen hinausgehenden Vorkenntnisse, weshalb es sich für ein breites Publikum eignet. Besonders aufschlussreich ist es indes für Geschichtsinteressierte, die sich die finsterste Epoche der jüngeren Geschichte auch aus einem persönlichen Blickwinkel zugänglich machen möchten. Erwin Planck hatte zwar mehr Einfluss als die meisten seiner Altersgenossen, dennoch vertritt er eine Generation, die nach der Entwurzelung durch den hoffnungsfroh begonnenen und im Grunde überraschend verlorenen Krieg in die Demokratie wie in kaltes Wasser geworfen wurde und deshalb weder ihren Wert noch ihre Mechanismen verstand - oder vielmehr erst, als man sie 1933 verspielt hatte. Plancks Vita zeigt aber auch, dass es möglich ist, eigene gravierende Fehler zu erkennen und daraus drastische Konsequenzen zu ziehen.
Das macht dieses Buch zu einem bedeutenden Werk über das Deutschland des 20. Jahrhunderts.

(Regina Károlyi; 03/2006)


Astrid von Pufendorf: "Die Plancks"
Propyläen Verlag, 2006. 512 Seiten.
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Astrid von Pufendorf, geboren in Berlin, studierte in Oxford, München, Freiburg und Frankfurt/Main Politische Wissenschaften, Geschichte und Literatur.