Dr. med. Victor Chu: "Lebenslügen und Familiengeheimnisse"

Auf der Suche nach der Wahrheit


"Wir können nicht vorläufig leben."

Selten hat mich ein Buch so nachhaltig beeindruckt wie Victor Chus Suche nach der Wahrheit. Er setzt sich dabei intensiv mit der Suche nach der inneren Wahrheit, Selbsterkenntnis und dem Sinn im Leben auseinander. Eine entscheidende Rolle spielen Lebenslügen und deren Auswirkungen, die durchaus positiver und negativer Natur für den betreffenden Menschen sein können, aber letztendlich jenen Effekt haben, als würden wir unser Haus auf Sand bauen. Trotzdem finden Menschen immer wieder viele gute Argumente für die Verleugnung der Wahrheit, etwa weil sie zu schmerzhaft ist, um im Moment ertragen zu werden, aus Angst vor Verfolgung und sozialer Ausgrenzung oder auch weil die Wahrheit mit dem bisherigen Leben unvereinbar erscheint.

Dabei spielen Gefühle eine wichtige Rolle. Ausführlich geht der Autor auf Angst, Ohnmacht, Trauer, Wut, Scham, Schuld, Freude und Liebe ein und beschreibt deren Ausdruck und Ziele, aber er zeigt auch Möglichkeiten, um mit den Gefühlen zurecht zu kommen und sich von deren destruktiven Anteilen zu befreien. Aber es sind nicht immer nur eigene Gefühle, die uns zu schaffen machen, sondern oft genug auch Gefühle unserer Eltern, die wir übernehmen, die unser Leben nachhaltig beeinflussen und uns daran hindern unser Leben nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten.

Immer wieder geht es um die kleinen und großen Entscheidungen, die jeder Mensch täglich fällt und aus denen letztendlich ein Lebensweg entsteht. Dabei spielen Lüge und Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Unwahrhaftigkeit eine große Rolle. Doch um die Chance auf Änderung, die ja täglich vorhanden ist, zu wahren, ist es wichtig diese Begriffe zu verstehen. Victor Chu definiert Ehrlichkeit und Lüge als nach außen gerichtetes Verhalten. Bei Wahrhaftigkeit und Unwahrhaftigkeit handelt es sich hingegen um innere Haltungen. Von Unwahrhaftigkeit spricht man dann, wenn der Mensch sich selbst etwas vormacht, sich selbst gegenüber nicht zugibt, dass er lügt um selbst da eben durch eine Lebenslüge den Schein der Ehrlichkeit zu wahren und dabei sukzessive von der Substanz des Selbstseins verliert. Darum ist die Entscheidung, ob ein Mensch wahrhaftig oder unwahrhaftig ist, nicht die von gut und böse, sondern die viel elementarere von Selbst-Sein und Wesenlos-Sein, von Substanzlosigkeit.

Immer wieder war ich während der Lektüre so aufgewühlt, dass ich das Buch für einige Tage beiseite legen musste, nämlich dann, wenn das Gelesene zu sehr an meiner Oberfläche gekratzt hat und darunter manch unverarbeitete oder lang beiseite geschobene Gefühlsregung oder vielleicht auch die Ahnung eines Familiengeheimnisses spürbar wurden.

Doch der Autor zeigt nicht nur gnadenlos auf, sondern macht Mut, indem er immer wieder betont, dass der einzig verlässliche Zeitpunkt, um unser Leben zu ändern, genau jetzt ist, und dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, dass wir den richtigen Weg finden, sondern dass wir bereit sind, wenn wir in einer Sackgasse landen, unseren Irrtum zu erkennen und umzukehren.

Eine Warnung vielleicht am Schluss: Das Buch kann nachhaltig Ihr Leben verändern, denn ist die maskenhaft starre Oberfläche, die sich viele von uns zugelegt haben einmal porös, bleiben tief im Inneren viele Aussagen Chus hängen, krallen sich fest, verfolgen den Leser und lassen den Wunsch entstehen sich vom falsch gewordenen Selbst zu lösen und sich mit der Frage auseinander zu setzen: "Kann es sein, dass die Grundlage, auf der ich mein Leben aufgebaut habe, nicht stimmt?"

(Margarete Wais; 03/2005)


Dr. med. Victor Chu: "Lebenslügen und Familiengeheimnisse"
Kösel, 2005. 232 Seiten.
ISBN 3-466-30678-7.
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Dr. med. Victor Chu, geboren 1946, ist Arzt und Diplompsychologe. Er arbeitet als Gestalttherapeut, Tai-Chi-Lehrer und Ausbilder im Gestalt-Institut Heidelberg und hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Familien-Stellen beschäftigt. Victor Chu und seine Frau leiten eine psychotherapeutische Praxis in Neckargemünd bei Heidelberg. Lien: http://www.vchu.de/