Barbara Bronnen: "Fliegen mit gestutzten Flügeln"

Die letzten Jahre der Ricarda Huch 1933-1947


"Ich habe Geschichte studiert ..."
Ein Porträt über die letzten Jahre im Leben der Ricarda Huch


Heute fast vergessen, zu ihren Lebzeiten eine der erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen: Ricarda Huch, 1864-1947. Geboren als Tochter einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Braunschweig, war sie eine der ersten Frauen in Deutschland, die studierte. Zwar nicht in ihrer Heimat, sondern in Zürich, wo Frauen zur Universität bereits zugelassen waren. Nach einem Studium der Geschichte und Philosophie promovierte sie 1892 und arbeitete anschließend als Bibliothekarin und Lehrerin, bevor sie sich zu einem Leben als freie Schriftstellerin entschloss. Trotz eines abenteuerlichen Lebens, das sie in Deutschland, der Schweiz, Italien und Österreich verbrachte, schuf sie ein immenses Werk, das Lyrik, Dramen, Romane, literaturwissenschaftliche und historische Werke umfasst. Berühmt wurde sie mit ihren historischen Romanen, mit denen sie die literarische Geschichtsschreibung zu einer Meisterschaft brachte. Ihre Themen umspannten die gesamte deutsche, ja europäische Geschichte, die mitunter als Kommentar zur Zeitgeschichte fungierten, wie ihre umfangreiche Arbeit über den Dreißigjährigen Krieg, die unter dem Titel "Der große Krieg in Deutschland" in drei Bänden vor dem Ersten Weltkrieg erschien. Zu ihren wichtigsten Werken gehören jene über die Romantik, über die Geschichte der italienischen Einigung, der Revolution von 1848, sowie die komplette deutsche Geschichte. Darüber hinaus veröffentlichte sie Biografien über so unterschiedliche Gestalten der Geschichte wie Gottfried Keller, Bakunin, Garibaldi und Wallenstein.

Als Ricarda Huch 1926 als erste weibliche Schriftstellerin in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen wurde, war sie auf dem Höhepunkt ihrer schriftstellerischen Laufbahn angelangt. Es war eine Ehre, bei den Sitzungen neben Thomas Mann und Alfred Döblin zu sitzen, was sie aber nicht hinderte, aus Protest gegen die nationalsozialistische Diktatur darauf zu verzichten. 1933 trat sie aus dieser honorigen Gesellschaft aus, da sie das Treuegelöbnis gegenüber dem NS-Staat nicht unterschreiben wollte. Hier setzt nun die Geschichte von Barbara Bronnen ein. Wie hat Ricarda Huch in der Zeit des Nationalsozialismus gelebt, wie hat sie diese überstanden? Auch wenn sie die NS-Regierung nicht feierte oder unterstützte, wurde sie doch geduldet. Ricarda Huch war zu diesem Zeitpunkt 69 Jahre alt. Sie hatte weder eine Rentenversicherung noch größere Einnahmen, also schrieb sie weiter und versorgte damit ihre kleine Familie, bestehend aus Tochter, Schwiegersohn und Enkel, mit denen sie zusammen in Jena lebte. In dieser Zeit der inneren Emigration schrieb sie ihr monumentales Werk zur deutschen Geschichte. Der erste, 1934 erschienene Band, "Römisches Reich Deutscher Nation", in der Öffentlichkeit als implizite Kritik am nationalsozialistischen Regime verstanden, wurde dementsprechend von der offiziellen Literaturkritik verrissen. Der zweite Band, "Das Zeitalter der Glaubensspaltung", konnte 1937 nur unter großen Schwierigkeiten, der dritte und letzte, 1941 fertiggestellte Band, "Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation", überhaupt nicht mehr erscheinen. Er wurde erst 1949, zwei Jahre nach ihrem Tod, in Zürich veröffentlicht.

Wie Huch diese schwierige Zeit überstand, politisch wie persönlich, wird ausführlich geschildert. Es ist von den materiellen Nöten die Rede, von politischer Isolation, von den Beschwernissen eines Kriegsalltags. Die Autorin füllt detailreich den vielbenutzten Begriff der "inneren Emigration" mit konkreten Inhalten. Sie berichtet von den Verhören wegen Vergehens gegen das "Heimtückegesetz", von finanziellen Problemen infolge schwindender Verkaufszahlen ihrer Bücher und mangelnder Publikationsmöglichkeiten. Aber darüber hinaus fasziniert Ricarda Huch vor allem durch jene Eigenschaften, die es ihr ermöglichten, sich immer wieder, besonders auch in hohem Alter, neu zu definieren, neu zu erfinden. "Man muss die geistige Leistung bewundern, mit der sie sich immer wieder in ihrem Leben einen neuen Freundeskreis erwarb", schreibt Bronnen darüber, dass Ricarda Huch im Alter von 72 Jahren mit ihrer Familie nach Jena zog. Zum ersten Mal in ihrem langen Leben als Historikerin begann sie sich nun mit der Gegenwart zu beschäftigen. Plötzlich war sie "mit echter, mit lebendiger Geschichte konfrontiert", mit der sie sich ohne zu zögern offen und aktiv auseinandersetzte.

Nach Kriegsende engagierte und arrangierte sie sich in der neuen Gegenwart, mit der Hoffnung so dem geistigen Wiederaufbau dienen zu können. Während sie mit der Arbeit an einem "Gedenkbuch" über Widerstandskämpfer begann, übernahm sie auch den ihr angetragenen Ehrenvorsitz des Kulturbundes in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und das Ehrenpräsidium des zentralen deutschen Frauenausschusses. 1946 ließ sie sich zum Mitglied der Beratenden Thüringischen Landesversammlung berufen. Ihr politisch-kulturelles Engagement gipfelte in ihrem Auftritt als Ehrenpräsidentin des ersten deutschen Schriftstellerkongress in Ostberlin, wo sie eindrucksvoll der Opfer des Nationalsozialismus gedachte. Kurz darauf siedelte Ricarda Huch, auch aus familiären Gründen, dann nach Frankfurt am Main, in den Westen, über. Geheim. Auch mit 83 Jahren hatte sie den Mut für einen Neuanfang nicht verloren. Wenig später verstarb sie an den Folgen einer Lungenentzündung.

"Das Faszinierende an der späten Ricarda Huch", so Barbara Bronnen, "ist die Leidenschaft, mit der sie sich in ihrem letzten Lebensjahrzehnt, in dem man normalerweise weniger flexibel reagiert, aus der Spur tritt und sich einem neuen Leben zuwendet, erfüllt von neuerworbener sozialer und politischer Kompetenz". Diese Bewunderung, mit der Bronnen "ihre" Huch begleitet, ist aus allen Sätzen spürbar. Es gelingt ihr, diese Kraft und Freude des Neuanfangs, diesen Mut zur Offenheit als inspirierenden roten Faden im Leben der Ricarda Huch herauszuarbeiten. Im Zentrum ihres Porträts steht weder das Werk noch die Arbeit der Huch als Schriftstellerin, sondern ihre bewundernswerte Persönlichkeit. Vielleicht ist es diese Bewunderung, die Bronnen zu Sprachschöpfungen verleitet, die zwar originell, aber auch befremdlich sind. Zeigt das Gesicht von Ricarda Huch im Alter wirklich eine "neue, durchgearbeitete Art von Schönheit", wie Bronnen schreibt, oder wie ist die Aufforderung, nun komme es darauf an, "ganz gegenwärtig zu sein" zu verstehen? Es gibt viele Wortkreationen und Metaphern, die unglücklich gewählt sind, dafür sind Empathie und Verehrung umso reichlicher vorhanden.
Ricarda Huch war, wie Barbara Bronnen feststellt, nie involviert in literarische Strömungen, ihren historischen Arbeiten lag keine Theorie zugrunde. Es war die Geschichte selbst, wie sie sich in den Erzählungen und Berichten manifestiert, die für sich genommen Struktur, Entwicklung und Sinn waren. Vielleicht ist sie gerade deshalb in Vergessenheit geraten. Dass zu ihrem 60. Todestag ein Porträt über ihre letzten Jahre erschien, worin weniger ihr Werk als ihre persönliche und politische Haltung im Vordergrund steht, ist ein durchaus berührendes Zeichen. Denn sie war eine Frau, die zeit ihres Lebens einen disziplinierten Optimismus lebte, die durch Schwierigkeiten hindurchging, alle Möglichkeiten, die ihr die Lebensumstände boten, zu nutzen bereit war und sich auch mit 81 Jahren nicht scheute, neu zu beginnen.

(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 12/2007)


Barbara Bronnen: "Fliegen mit gestutzten Flügeln. Die letzten Jahre der Ricarda Huch 1933-1947"
Arche Verlag, 2007. 192 Seiten.
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Barbara Bronnen, geboren in Berlin, aufgewachsen in Österreich, studierte Germanistik und Philosophie und promovierte in München, wo sie seit Mitte der 1970er Jahre als freie Autorin lebt.
Lien: https://bronnen.de/.

Noch ein Buchtipp:

Waltraud Maierhofer: "Hexen - Huren - Heldenweiber. Bilder des Weiblichen in Erzähltexten über den Dreißigjährigen Krieg"
Auch nach über 350 Jahren ist der Dreißigjährige Krieg noch fest im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert. Das Bild ist dabei in erster Linie durch tragische Gestalten wie Wallenstein oder durch plündernde Söldnertruppen geprägt. Die Rolle der Frau hingegen wird in der Erinnerungskultur weitgehend ausgeblendet oder auf die der namenlos leidenden Mütter und Ehefrauen oder der Soldatenliebchen und Huren reduziert. Worauf ist dies zurückzuführen? Die Autorin geht in ihrem Buch am Beispiel des Dreißigjährigen Krieges der Frage nach, ob die traditionell einander zugeordneten Begriffspaare Männer/Krieg, Frauen/Frieden in zeitgenössischen und späteren Erzähltexten, vor allem in historischen Romanen, aufgebrochen und unterwandert oder vielmehr begünstigt und verfestigt wurden. Denn in der Tat zeigt die Literatur von Grimmelshausen über Friedrich Schiller, Annette von Droste-Hülshoff, Ricarda Huch und Alfred Döblin bis Günter Grass zwar zahlreiche weibliche Einzelschicksale, selten jedoch Frauen als ruhmreiche Heldinnen und Kämpferinnen. Vielmehr werden diese vor allem als Opfer des Krieges und auffällig oft im Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen während der Kriegsjahrzehnte dargestellt. (Böhlau Verlag Köln)
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