"Grundeinkommen ohne Arbeit
Auf dem Weg zu einer kommunikativen Gesellschaft"

Herwig Büchele, SJ
Lieselotte Wohlgenannt


Ein gangbarer Weg zu einer neuen, humaneren Gesellschaft

Es braucht Utopien und die Bereitschaft, über die Alltagsrealität hinauszudenken, stellte der Jesuitenpater Alois Riedlsperger, Leiter der katholischen Sozialakademie, im Vorwort zu der im Jahre 1985 erschienen Aufklärungsschrift betreffend Grundeinkommen ohne Arbeit fest, denn nur so ist das in unserer Gesellschaft Erreichte zu erhalten und weiterzuentwickeln. Wie aus jüngsten Medienberichten zu ersehen ist, hält die Katholische Sozialakademie bis heute (und wir schreiben mittlerweile das Jahr 2002) an ihrer Forderung nach Einführung einer Grundsicherung fest und beteiligt sich in diesem Sinn an Initiativen zur Stärkung des Sozialstaates wie beispielsweise an dem Volksbegehren zur Verankerung des "Prinzips Sozialstaat" in der Bundesverfassung.

Grundeinkommen ohne Arbeit ist der Müßiggänger lästerliches Begehren, argwöhnt der arbeitsame Normalbürger und verwirft die Vision einer Gesellschaft ohne Arbeitszwang ins Reich frivoler Wunschträume. "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen", sagte Gott, als er Adam aus dem Paradies vertrieb, und bedachte dabei nicht, dass das was einst als Strafe gedacht war, heute für viele ein ferner Traum ist. Arbeitslosigkeit als Massenphänomen ist und bleibt die Geißel der Gegenwartsgesellschaften. Arbeit als Grundrecht ist illusionär und entpuppt sich bei näherem Hinsehen als zynisch gemeinter Arbeitszwang ohne hinreichende Realisierungschance. Der Traum von der Arbeit, die das zu verzehrende Brot adelt, ist für viele nur noch unerreichbare Romantik. Doch soll nicht essen, wer nicht arbeitet? Wie auch immer, der biblische Sprecher vom verschwitzten Arbeiter wirkt in den Köpfen der Menschen fort und so sind zu jeder Grundsicherungsdebatte schnell einmal Gegenargumente - ja Totschlagargumente - zur Hand. Demonstrativ seien davon zur Beispielgebung angeführt:

Wo bleibt die Gegenleistung?

Soll das Nichtstun gefördert werden?

Wer verantwortet den Leistungsverfall?

Ist nicht Müßiggang aller Laster Anfang?

Und wer bin ich eigentlich - ohne Arbeit?

Handelt es sich nicht bloß um sozial garantierten Hedonismus, der die verbreitete Unfähigkeit, Freiheit verantwortlich zu gebrauchen, noch verstärken wird?

Ist die Idee der Grundsicherung demnach ein unsittliches Ansinnen, welche keineswegs, wie fälschlich von Sozialutopisten angenommen, auf das Reich der Freiheit hinführt? Und handelt es sich nicht um ökonomischen Leichtsinn, der ein jedes Sozialbudget sprengen muss, überhaupt nur finanzierbar über räuberisches Besteuern von Einkommen der Fleißigen und Tüchtigen, die sodann zwangsweise das Faulbett des Leistungsscheuen zu erhalten haben? Nur allzu mühsam gelingt es den Gegnern der Idee ihre Empörung zu unterdrücken. Nie und nimmer werden sie einem Recht auf Faulheit zustimmen.

Die beiden Autoren von "Grundeinkommen ohne Arbeit" entgegnen den angeführten Einwendungen Punkt für Punkt, nicht immer in dem sie die Einwendungen argumentativ widerlegen würden, sondern in dem sie die Perspektive der Betrachtung wechseln. Der Streit um die jeweils letztgültige Wahrheit ist nicht unbedingt ihre Sache. Warum auch? Entscheidend ist der Perspektivenwechsel und der politische Wille zu einer sozialen und gerechten Gesellschaft. Freiheit bedarf der Alternativen, stellen die Autoren gleich zu Beginn fest und natürlich bedarf Freiheit unter heutigen Bedingungen einer Existenzsicherung unabhängig von Erwerbstätigkeit.

Klare Worte finden sich gleich zu Beginn des Schriftwerks: "In gesellschaftlichen Verhältnissen, die Ungerechtigkeit, Elend und Not produzieren, genügt es nicht, durch Caritas diese Not zu lindern, es kommt darauf an, durch gerechte Gesetze dem Unrecht und dem Elend vorzubeugen, sie strukturell zu verhüten. Der Grund der Gerechtigkeit ist die Anerkennung der Würde jedes Menschen und seiner Freiheit. Gerechtigkeit konkretisiert sich vor allem in der Verwirklichung der Menschenrechte. Sie sind zentral im Wesen menschlicher Freiheit und ihrer sozialen Natur begründet." Doch Freiheit bleibt ein luftiges Ideal, solange man ihre Materialisierung scheut: ">>Liberale<< Freiheit bei materieller Armut, wirtschaftlicher Abhängigkeit und Ausbeutung kommt der faktischen Unfreiheit gleich. Freiheits- und Mitwirkungsrechte, die nicht nur formal-abstrakt gelten sollen, bleiben unauflöslich eingewurzelt in die sozialen Grundrechte." Die Forderung nach Einführung einer materiellen Grundsicherung steht somit. Der Sozialstaat wird in die Pflicht genommen. Darüber hinaus erheben die Autoren das Begehren, man möge das Grundrecht auf ein Grundeinkommen in den Menschenrechtskatalog aufnehmen und in der Verfassung festschreiben. Eine Forderung, die heute wieder an Relevanz gewinnt und von einem breiten Bündnis sozialer Kräfte beansprucht wird (Sozialstaatvolksbegehren).

Wie bereits weiter oben ausgeführt wurde, betrachten nicht wenige Zeitgenossen die Idee der Grundsicherung als ein unsittliches Begehren, das den wohlanständigen Tüchtigen und Fleißigen verhöhnt. Darauf reagiert das Autorenduo mit einer ganzen Salve von wohlüberlegten Argumenten, die sich unter der Überschrift "Warum ein Grundeinkommen ethisch gerechtfertigt sein kann" versammeln. So seien lebensfreundliche Leistungen statt Leistungszwang anzustreben. Im Idealfall sollten Neigung und Leistung zusammenfallen. Nicht allein das Kosten-Nutzen-Kalkül solle gelten, das alle Lebensregung nach seiner Verzweckbarkeit und Brauchbarkeit definiert. Der Verdinglichung und Verknechtung des Menschen in der Leistungsgesellschaft sei Einhalt zu gebieten. Nicht weiterhin sollten die Menschen in "Erfolgreiche" und "Versager" gespalten werden. Die positiv bejahende Gewährung eines Grundeinkommens für jeden Menschen könnte den Ausweg aus einer Gesellschaft bedeuten, welche die Leistung zum Selbstzweck erklärt; sie würde zum Ausdruck bringen, dass der Mensch nicht erst durch die Gegenleistung für die Gesellschaft beginnt, Mensch zu werden. Eine solche gastfreundlichere Gesellschaft könnte dem Menschen die verkümmerte Erfahrung und das Bewusstsein zurückgeben, dass er um seiner selbst willen einen Wert darstellt. Zugleich wäre eine Grundsicherung geeignet die Logik kapitalistischer Herrschaft über den Menschen zu durchbrechen und wäre zur Eindämmung einer oft korrupten und sich herrschaftlich gebärdenden Sozialstaatbürokratie dienlich ohne Abbau der sozialen Sicherung. Weil, ein allgemeines Grundeinkommen wäre billig zu administrieren (etwa als Negativsteuer) und würde sich gegen jeden unmittelbaren Sozialmissbrauch verschließen. "Wer also heute einen politischen Beitrag dazu leisten will, dass die Bevormundung der Menschen durch persönliche und kollektive Instanzen gemildert wird, oder positiv formuliert, wer mehr persönliche und gesellschaftliche Freiheit wünscht, wird nicht herumkommen, die Einführung eines (symptomfreien!) Grundeinkommens ernsthaft in Erwägung zu ziehen", stellen die Autoren der katholischen Sozialakademie fest. Ein Grundeinkommen würde den Menschen durch die Erweitung ihrer alltäglichen Lebensfreiheiten die Chance eröffnen, eine Kultur neuer sozialer Verhaltensweisen mit aufzubauen, die - statt auf Konkurrenz und Über- und Unterordnung - auf gleichberechtigter Zusammenarbeit beruht und die dem Menschen jenen tragenden Grund seines Lebens und jenes Grundvertrauen vermittelt, von dem her er Orientierungssinn und Orientierungswissen gewinnen kann. Diese Offensive gegen die verabsolutierte Konkurrenzgesellschaft würde also Antworten in der Sinnkrise eröffnen, die unsere westliche Welt mit Schlagworten wie Sinn- und Orientierungsverlust der Menschen schüttelt. Selbstverwirklichung in Freiheit wäre erstmals als reale Option für jedermann denkbar, der sich mit wenig bescheidet. Soviel zum eminent sittlichen Charakter der Idee einer Grundsicherung.

Die am öftesten gestellten Fragen im Zusammenhang mit der Idee vom Grundeinkommen, sind die Fragen nach der Finanzierbarkeit und Administrierbarkeit. Dazu werden die Meinungen renommierter Ökonomen wie bspw. Milton Friedman, James Tobin und Robert Theobald ausgeführt, welche alle drei - aus unterschiedlichen Motiven - die Einführung eines Grundeinkommens ohne Arbeit befürworten. Der Nobelpreisträger und Vordenker neoliberaler Ökonomie Milton Friedman hatte bereits in seinem 1962 erschienenen Buch "Capitalism and Freedom" die Idee eines garantierten Einkommens in Form einer negativen Einkommensteuer zur Lösung des Armutsproblems vorgeschlagen. Friedman, der sich selbst als "Rechten" einstuft, trat aus Gründen einer besseren Effizienz der Marktwirtschaft, der Einsparung von Administrationsaufwand und Steuermitteln für ein staatliches Grundeinkommen ein. Die Finanzierung war nach seinem Ermessen eben überhaupt kein Problem, sondern, ganz im Gegenteil ermögliche die Einführung einer Grundsicherung erst wahrnehmbare Einsparungen zum Sozialbudget. Darüber hinaus war für den Wirtschaftsliberalen Friedman die Freiheit und Würde der Person des Armen wie des die Armut verwaltenden Beamten ein Argument, das ihn für eine negative Einkommensteuer in dieser Form votieren ließ. Trotz seiner sehr klaren Zielsetzung fand Friedman kaum Anhänger unter Ökonomen seiner eigenen Richtung, aber unerwartet positive Aufnahme bei eher "linken" Sozialreformern. Einer davon war der bereits oben erwähnte James Tobin - wie Friedman ein Nobelpreisträger - , der in der Kritik der Armutsadministration weitgehend mit Friedman übereinstimmte, insgesamt jedoch wesentlich andere Ziele verfolgte. Seine Kritik: die Wohlfahrtsprogramme kämen nicht allen zugute, die sie bräuchten, und deckten auch schlecht die Bedürfnisse derer, die tatsächlich Hilfe bekämen. Die aufwendige Administration entziehe Mittel und Kräfte, die für würdigere Aufgaben eingesetzt werden könnten. Seine Hauptsorge ist die Herausbildung einer Armutsklasse von Sozialhilfeempfängern, die am Rande der amerikanischen Gesellschaft, ihrer Hoffnungen, Normen und Werte existieren würde. Auch Tobin schlägt eine Negativsteuer vor, die Einkommensunterschiede vermindern, aber nicht aufheben würde, ohne eigene Bemühungen zu bestrafen. Wie Friedman betont auch Tobin die Notwendigkeit, den Wohlfahrtsempfängern Freiheit, Selbstbestimmung und Würde wiederzugeben. Die von ihm geschätzten Gesamtkosten - rund 2% des Bruttonationalprodukts - schienen ihm hierfür gut angelegt und ökonomisch zielführend.

Im letzten Abschnitt des Buches werden Szenarien zur Einführung eines Grundeinkommens in Österreich vorgestellt. Diskutiert werden Annahmen über die Höhe und den Bezieherkreis sowie über die Finanzierung. Direkte wie indirekte ökonomische Effekte werden ebenso bedacht wie wirtschaftliche und politische Folgewirkungen. Zu den politischen Folgewirkungen ist anzumerken, dass mit einem garantierten Einkommen recht unterschiedliche Ziele angepeilt und wohl auch erreicht werden können. Soll ein Grundeinkommen (politische) Freiräume schaffen, zur Initiative oder Innovation anregen, ist wohl Voraussetzung, dass es hoch genug ist um am "normalen" Leben der Gesellschaft teilhaben zu können. Wie auch immer die Zielsetzung im Einzelfall geartet sein mag, so scheint doch gewiss, dass ein Mehr an materieller Freiheit auch zum einem Mehr an Unabhängigkeit gegenüber angemaßter Herrschaft führt. Wem nicht der soziale Absturz ins Bodenlose droht, sobald er Unbotmäßiges sagt oder gar unbotmäßig handelt, der kann seine Rechte als bewusster Bürger einer Demokratie erst wahrnehmen. Ein Grundeinkommen ohne Arbeitszwang bedeutet noch nicht eine Welt ohne Fremdherrschaft, doch wäre die Einführung ein erster großer Schritt zur Befreiung und Selbstwerdung des Menschen. "Ein von jeder sonstigen Bedingung unabhängiges Recht auf Einkommen, als Konkretisierung des Rechts auf Leben, wird politisch nicht leicht durchzusetzen sein", geben die Autoren zu bedenken. "Doch wurden alle grundsätzlichen gesellschaftlichen Reformen, von der Einführung des allgemeinen Wahlrechts über das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen bis hin zum Ausbau der modernen Sozialversicherungssysteme, zuerst lächerlich gemacht und als zerstörerisch bekämpft. So wie uns diese Einrichtungen heute selbstverständlich sind, könnte auch ein vom Leistungseinkommen unabhängiges, die gesellschaftlichen Lebensbedürfnisse sicherndes Grundeinkommen einst zu den Selbstverständlichkeiten unserer Gesellschaft gehören." - Mit diesen letztlich doch noch ermutigenden Worten beschließen die Autoren ihr engagiertes und wirklich fundiertes Plädoyer für ein Grundeinkommen ohne Arbeit. Dieses von der katholischen Sozialakademie Österreichs herausgegebene Buch dürfte zur Zeit leider gänzlich vergriffen sein. Unter dem Titel: "Den öko-sozialen Umbau beginnen: Grundeinkommen" hat das Autorenduo Lieselotte Wohlgenannt und Herwig Büchele über den Europa-Verlag (ISBN 3-203-51101-0) eine thematische Fortsetzung zum besprochenen Buch herausgegeben, welche um den Preis von € 7,26 erhältlich ist. Allgemein lässt sich zur Sache feststellen, dass die Debatte über eine Grundsicherung in letzter Zeit wieder eine erfreuliche Renaissance erlebt und insbesondere von den Grünen und der katholischen Sozialakademie Österreichs thematisiert wird. So bleibt nur noch zu hoffen, dass den vielen Worten auch einmal Taten folgen werden. Wie alleine schon das Beispiel des rechtsgerichteten Ökonomen Milton Friedman zeigt, ist die Diskussion über die Einführung einer Grundsicherung nicht unbedingt als politische Weltanschauungsdebatte zu führen, die sich dann rasch an stereotypen Lagermentalitäten festfährt und als Anliegen linkshumanistischer oder christlich-sozialer Ideenlehren denunziert wird, sondern sie ist als eine bloße Frage ökonomischer Vernunft zu erachten, die darüberhinaus im ethischen Sinne richtungsweisend ist.

(Harald Schulz; 2/2002)


"Grundeinkommen ohne Arbeit
Auf dem Weg zu einer kommunikativen Gesellschaft"

Europaverlag, ISBN 3-203-50898-2
Soziale Brennpunkte
Herausgegeben von der Katholischen
Sozialakademie Österreich
Wien 1985

Ergänzende Lektüre:

Hrsg. Andreas Exner, Werner Rätz, Brigitte Zenker: "Grundeinkommen" zur Rezension ...