Oswald Spengler: "Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte"

Herausgegeben und eingeleitet von Thomas Zwenger


Logik der Geschichte

Diese 'Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte' (Untertitel) sind herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Thomas Zwenger. Ursprünglich war ja dieses kulturphilosophische Monsterwerk in zwei Bänden 1918 und 1922 erschienen und spiegelte Spenglers geistige Existenz zwischen Naturwissenschaft und Philosophie, Pietismus und Darwinismus, Goethe und Nietzsche wider - wobei im Zentrum eher Goethes Verse zu stehen schienen: "Wenn im Unendlichen dasselbe / Sich wiederholend ewig fließt." Inspiriert durch Otto Seecks 'Geschichte des Untergangs der antiken Welt' wählte Spengler den sowohl alarmierenden als auch missdeutbaren Titel für sein Werk. Er selbst verwehrte sich gegen eine pessimistische Auslegung seines Buchtitels, indem er meinte, man könne ja anstelle von 'Untergang' auch 'Vollendung' sagen. Während der erste Band 'Gestalt und Wirklichkeit' gewagte historische Analogien aufbaut kombiniert mit einer widersprüchlichen Weltanschauung, bringt der zweite Band 'Welthistorische Perspektiven' metaphysische Spekulationen sowie Ausführungen zu Staat und Ökonomie.

Spengler sieht eine Ablaufgesetzlichkeit in Entstehen, Aufstieg, Blüte und Verfall von Weltkulturen (Ägypten, Babylon, Indien, China, Antike, Arabien, Mexiko) mit dem "faustischen" Abendland als vorläufigem Höhepunkt. Wie würde er heute wohl die USA und Russland sowie die wiederaufblühenden Großkulturen Indien und China in seine Theorie einbauen?! Und wie möchte Spengler Cäsarismus, Sozialismus und Christentum zu einem längerfristigen politischen System verschmelzen?! Wichtig waren wohl seine Ansätze zur Verwerfung der Europazentrik und der Forderung einer Neukonzeption der Universalgeschichte, die er als zyklischen Aufstieg und Niedergang von Kulturen und Zivilisationen sieht - basierend auf kosmischen "Flutungen". Im Grunde sieht Spengler nur die Alternative: "man wächst oder stirbt ab. Es gibt keine dritte Möglichkeit."

Kritisch muss man anmerken, dass Spenglers Theoreme weniger originär die seinigen, als vielmehr eklektische Neuarrangements traditioneller und damals aktueller Philosopheme waren. Interessant ist, dass für Spengler Kultur und Zivilisation quasi Gegenbegriffe sind - ja, Zivilisation sei der Tod der Kultur! Nach Spengler sind nämlich Charakteristika der Zivilisation u.a.: Künstlichkeit aller Lebensbereiche, Herrschaft der anorganischen Metropole, kühler Tatsachensinn, Materialismus und Irreligiosität, Unterhaltungsindustrien, Zusammenbruch der Moral, Tod der Kunst, Gewalt und Imperialismus. Freilich scheint dies ein Sammelsurium unterschiedlicher Kriteriengewichtungen, allerdings kommt uns heutzutage vieles davon bekannt vor.

Unter vielerlei Aspekten hat der Rassenbegriff immer wieder für Missverständnisse gesorgt. Ungeschickterweise verwendet Spengler eben auch Begriffe wie Rasse, Blut und Boden, die von den Nazis besetzt wurden. Spengler distanziert sich allerdings auch ausdrücklich vom Antisemitismus, denn für ihn ist eine Rasse etwas Kosmisches, nichts biologistisch Fassbares. Er glaubt, dass "diese physiologische Herkunft nur für die Wissenschaft und niemals für das Volksbewusstsein vorhanden ist." So wie Spengler über das Kapital schreibt, muss man Schlimmes für uns heute befürchten: "Der Kulturmensch treibt Handel mithilfe von Geld, der Mensch der Zivilisation denkt in Geld. (...) Folglich ist die Periode der Zivilisation die hohe Zeit der Finanzmagnaten, der Börsenspekulanten, des Kunsthandels und der Korruption." Nach Spengler strebt abendländische Technik nach Herrschaft über die Natur, der Mensch wird vom Herrn der Maschine zu deren Sklaven.

Thomas Mann lobte seinerzeit das Werk zunächst als "Buch voller Schicksalsliebe und Tapferkeit der Erkenntnis, worin man die großen Gesichtspunkte findet, die man heute gerade als deutscher Mensch braucht." Bereits 1922 distanzierte er sich allerdings von Spengler und bezeichnete sein Buch als fatalistisch und zukunftsfeindlich: "Er tut nicht wohl daran, Goethe, Schopenhauer und Nietzsche zu Vorläufern seines hyänenhaften Prophetentums zu ernennen." Immerhin übte Spengler Einfluss aus auf Kulturphilosophen wie Arnold J. Toynbee, Franz Borkenau und auch Samuel P. Huntington. Erschreckend ist ja, dass Spengler den Zweiten Weltkrieg ebenso vorausgesagt hat wie den Aufstieg Russlands und die Politisierung des Islam. Auch seine Vergleiche der USA mit der "antiken Hypermacht" Rom liegen nicht ganz schief. Allerdings darf wohl bezweifelt werden, dass sich die westliche Demokratie in absehbarer Zeit in den von Spengler prognostizierten Endzustand des Cäsarismus auflöst.

In den Notizen aus seinem Nachlass (1913/19), die nun unter dem Titel 'Ich beneide jeden der lebt' erschienen sind, gibt sich Spengler als komplexbeladener Mensch zu erkennen: "Ich empfinde die meisten großen Weltereignisse - den Krieg z.B. - als persönliche Schuld. Wie kommt das? Ich gehe in entsetzlicher Verzweiflung herum, wie ein Missetäter, der dafür Strafe verdient. (...) Ich werde an den Folgen meiner Einsamkeit sterben. (...) Werde ich von den Jahren, die mir vor dem Irrsinn noch übrige bleiben, wenigstens die wichtigsten Dinge beenden?" Ein Ausdruck des durchaus virulenten Kulturpessimismus ist wohl Spenglers Vision von der Verdrängung des Buches durch die Zeitung: "Die Bücherwelt mit ihrem Reichtum an Gesichtspunkten, die das Denken zur Auswahl und Kritik nötigte, ist nur noch für enge Kreise ein wirklicher Besitz." Es wäre freilich interessant gewesen, hätte Spengler die neueren Medien und v.a. das Internet noch miterlebt. Seine Geschichtsphilosophie läuft ohnehin auf ein "Absterben des Geistes und die denkfeindlichen Konsequenzen, die daraus folgen" (Adorno) hinaus.

Im Übrigen ist es auch Adorno, der wider den Spengler'schen historischen Schicksalskosmos als ein dekadentes perpetuum mobile den Geist der Utopie beschwört. Spengler hatte allerdings bereits apodiktisch-prophylaktisch dekrediert: "Die Entwürfe von Weltverbesserern haben mit der geschichtlichen Wirklichkeit nichts zu tun." Denn für Spengler bedeutet sein Argumentieren und Prognostizieren in trostlosen Zyklen die "Logik der Geschichte" - vielleicht erkennen wir aber heute in der Moderne, dass Geschichte nichts mit Logik zu tun hat und uns weder aus dem Kosmos noch aus der Seele herauswächst.

Spengler sieht in der Geschichte eine "Notwendigkeit", die sich "mit dem einzelnen oder gegen ihn" erfüllt. Da gilt es doch wohl innezuhalten und zu schlucken - kann uns denn dieses Konvolut scheinlogischer Eskalationen das Leben und die Geschichte erklären, wie sie beide sein könnten, wenn der Mensch lernfähig wäre?! Spengler lesen lohnt heutzutage nur, wenn wir ihn gegen den Strich lesen - denn die Lektüre dieses Werks kostet uns wertvolle Lebenszeit, in der wir die Welt hätten verbessern können. Vorausgesetzt menschliche Fantasie und Moral sind doch stärker als irgendeine kosmische Logik.

(KS; 10/2007)


Oswald Spengler: "Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte"
Herausgegeben und eingeleitet von Thomas Zwenger.

marixverlag, 2007. 740 Seiten.
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Oswald Spengler wurde am 29. Mai 1880 in Blankenburg/Harz geboren. Er studierte in München, Berlin und Halle Naturwissenschaften und Mathematik, war drei Jahre Oberlehrer in Hamburg und zog sich dann als Privatgelehrter nach München zurück. Er starb dort am 8. Mai 1936.