Alexander Moritz Frey: "Hölle und Himmel"

Mit "'Der Meisterzeichner von Nachtstücken und Traumgesichten.' Alexander Moritz Frey - wiederzuentdecken"
von Hans-Albert Walter


Die Versuchung der unheiligen Zeitgenossen in den 1930er-Jahren: Eine Abrechnung über fünf Jahre komprimiert auf Monate

In der Reihe "Bibliothek der Exilliteratur" der inzwischen leider von der Bildfläche verschwundenen "Büchergilde Gutenberg" erschienen anno 1988 Freys Roman und ein außergewöhnlicher Begleitband im Doppelpack. Längst nur noch antiquarisch erhältlich, handelt es sich bei diesen Druckwerken um schmucke Bände.

Den hochinformativen, dabei sehr lesefreundlichen, weil völlig ohne Expertengeschwurbel auskommenden Kommentarband hat der deutsche Literaturwissenschafter und Publizist Hans-Albert Walter (1935-2016) verfasst. Von Hans-Albert Walter stammt übrigens auch das mehrbändige Mammutwerk "Deutsche Exilliteratur 1933-1950".
Neben Walters ebenso kenntnisreichen wie schwungvollen Ausführungen zu Leben und Werk Freys enthält der 268-seitige Begleitband eine aussagekräftige Dokumentenzusammenstellung (z.B. Faksimiles von Ausweisen und vor allem Zeugnisse des jahrelangen Schriftverkehrs bezüglich Freys Status in der Schweiz), den Text "Der unbekannte Gefreite. Persönliche Erinnerungen an Hitler" (von Frey) und "Abschiedsworte" von Dr. Walter Fabian anlässlich der Einäscherung Freys am 28. Jänner 1957 im Krematorium Zürich.
Der wunderbare Begleitband, der den Schriftsteller in wertschätzender Weise würdigt und die autobiografischen Hintergründe des Romans "Hölle und Himmel" sowie zahlreiche darin zu entdeckende interessante Aspekte beleuchtet, verdeutlicht, wie sehr dergleichen engagierte Publikationen heutzutage, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bedauerlicherweise fehlen. Ein Projekt wie dieser überzeugende Doppelpack erfordert nun einmal Zeit, Interesse und Wissen -  Mangelwaren im schnelllebigen, überwiegend saisonprofitorientierten Verlagswesen, wobei man sich doch gelegentlich wundert, wozu all die Eile überhaupt gut sein sollte, welcher Leser denn unter solchen Bedingungen noch mit wonnigem Genuss und nicht werbeferngesteuert nach lesenswerten Büchern sucht.
Das Ergebnis sorgfältiger Verlagsarbeit spricht jedoch tatsächlich "Bände", es lohnt sich, geneigte Kenner der Materie als Mitgestalter zu gewinnen, sofern inhaltliche Qualität überhaupt irgendeine Rolle spielen soll.

Frey, nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner einstigen Heimat Deutschland wegen hartnäckiger Anprangerung seiner Ansicht nach nazimitläuferischer Zunftgenossen als "Nestbeschmutzer" verunglimpft, hat nach seiner überstürzten Flucht nie wieder deutschen Boden betreten. Seine Exiljahre in Salzburg, wo er gewissermaßen vor dem "Anschluss" Österreichs vorübergehend gestrandet war, hat der aufmerksame Beobachter, Menschenkenner und standhafte Pazifist im Roman "Hölle und Himmel" ebenso schonungslos wie kunstvoll verarbeitet, sanft verfremdet zwar, dennoch mit hohem Wiedererkennungswert ("Schlüsselroman"), was Orte und Personen anbelangt, politische Entwicklungen sowieso.
"Der gültige deutsche Paß, die parteipolitische Passivität und die sog. 'arische' Abstammung: alle diese Momente zusammen gewährten Frey zwar alles andere als absoluten Schutz, doch boten sie beim Verlassen Österreichs am 15. März 1938 viel günstigere Voraussetzungen, als die meisten anderen Flüchtlinge sie besaßen.
Unbekannt die Fluchtumstände, unbekannt auch, weshalb sich Frey in Basel niedergelassen hat."
(Aus "Der Meisterzeichner von Nachtstücken und Traumgesichten", S. 34, 35)

Angereichert mit einer interessanten Geschichte um die möglicherweise von Bosch gemalte und daher vielleicht sehr wertvolle, jedenfalls symbolträchtige "Versuchung des Heiligen Antonius", die der Lederhändler Willwalt Wegwart (offensichtlich war seine Mutter begeisterte Wagnerianerin!) zufällig bei einem Trödler entdeckt, ergibt sich ein unterhaltsamer Roman, der mit geistreichen Dialogen und treffenden Schilderungen aufwartet. Die unheilschwangere politische Note des Gesamtkontexts schwingt einmal vordergründig, dann wieder hintergründig mit, und die sich langsam aber sicher verschärfende Situation (z.B. Hakenkreuzschmierereien an Wänden) wirft gespenstische Schatten voraus. Naturgemäß darf auch eine komplizierte Mannfraugeschichte samt tragisch-romantisch verklärtem Ende nicht fehlen.
Freys Vater (gestorben 1911) war einst Maler und Opernsänger gewesen, sodass der Autor über entsprechende Kenntnisse verfügte, um maltechnische wie auch kunstgeschichtliche Details anlassbezogen einzuweben. Als wichtigste Quelle für Freys Salzburger Jahre gilt übrigens sein Briefwechsel mit Thomas Mann.

"Gussy Warschauer-Gerson (Freys Herzensdame in der Schweiz, Anm. d. Rez.) zufolge befand sich die 'Versuchung des Hl. Antonius' im Besitz des Salzburger Kaufmanns Moser, des 'Urbildes' für Wegwart. Moser muß es auch tatsächlich fotografiert haben, da Frey ein Gemäldedetail für den Schutzumschlag verwenden konnte." (Aus "Der Meisterzeichner von Nachtstücken und Traumgesichten", S. 66, 67). Die Erstauflage von "Hölle und Himmel" im Jahr 1945 zierte eine Fotografie des laut Hans-Albert Walter verschollenen Gemäldes, im Begleitband nur als kleine Schwarzweißabbildung, auf der leider kaum etwas erkennbar ist, enthalten.

Der zeitgeschichtliche Vorgänge und Figuren abbildende und entlarvende Roman "Hölle und Himmel" konnte - wenig überraschend - also erst im Jahr 1945 (beim Schweizer Verlag "Steinberg") erscheinen. Frey, der im Ersten Weltkrieg (als Sanitäter) an der Westfront im selben Regiment wie Adolf Hitler (als Meldegänger) gedient hatte, stellt den Machthaber in traumartigen Fantasien (?), die völlig abseits der Handlung überraschend in den symbolträchtigen Roman eingewebt sind, in dessen Berghof, wohin er seinen Protagonisten Funk (magisch?) vordringen lässt, zur Rede. Funk erinnert den wie immer schlaflosen Severin, wie der Machthaber im Roman heißt, an gemeinsame Kriegserlebnisse und entwirft vor dem zu Boden Gezwungenen unter Anderem auch die Idee einer öffentlich einsehbaren erniedrigenden Hafteinrichtung für die Anführer besiegter Feinde. Diese Passage muss Frey offenbar ein besonderes Anliegen gewesen sein, zumal Funk bald nach dieser Szene von Wegwart, der sich als wahrer Freund und Retter in der Not erweist, in einer filmreifen Aktion nach Pressburg in Sicherheit gebracht wird und nach der geglückten Flucht keinen weiteren Auftritt mehr im Roman hat.

Neben Freys - wenn man so will - alter ego Alexander Funk, dem aus Deutschland geflohenen eigenbrötlerischen Juristen (Frey selbst hatte - von den Eltern zum Jusstudium gezwungen - beim Examen leere Blätter abgegeben und war darob kein Jurist geworden), vorübergehend in der Festspielstadt ansässig, der wiederholt polizeilich schikaniert wird (u.A. weil die Behörde in ihm einen Kommunisten oder auch Dieb eines Regenmantels vermutet), bevölkern die Szenerie: der dubiose Rahmen- und Nazipostkartenhändler (und Pfuschrestaurator) Rudolf Ravello, Professor Promesser, der gestrenge Kunstexperte und lebenskluge Diskussionspartner Wegwarts und Funks, Frau Kienzl, Wegwarts Bedienerin, der inzwischen mit üblen Anfeindungen konfrontierte jüdische Anwalt Weißbrot, der kinderreiche Maler Adalbert Spindler, der mit Wegwart noch mehr als eine Rechnung offen hat (Tulpenzwiebel!), zu verhaltensoriginellen Aktionen neigt (Stichwort: plötzliches Erscheinen einer Ziege auf dem Gemälde) und letztlich in die Mühlen der Justiz zu geraten droht, der unter zunehmend erschwerten Bedingungen tätige Festspiel-Theatermann, bei dem Funk eine stechmückengeprägte Audienz erhält, die Wiener Restauratorin Melanie Haider (das "Malweib"), "Konkurrentin" der "Jungfrau im Ei" auf dem von Wegwart vergötterten Gemälde, längere Zeit Wegwarts inoffizielle Geliebte, die sich in einer ihr absolut ausweglos erscheinenden Situation zu kriminellem Verhalten veranlasst sieht, der anschlussvorfreudige Polizeirat Franz Meier, die auffallend unterschiedlichen Doktorengebrüder Bruno und Christian Fork, die lose mit Funk befreundete Witwe Franziska Brandt und ihre fürchterlich ungezogene Tochter Phyllis, der milde Polizeikommissär Dr. Haska, der begüterte Sonderling Theodor Alt, seines Zeichens Hotelier und erfolgloser Bildhauer, sowie einige "Statisten".
Eine nächtliche Brandstiftung (anscheinend ließ Frey nicht ungern Romanschauplätze in Flammen aufgehen, siehe auch "Verteufeltes Theater"), ein womöglich beweiskräftiger italienischer Hut, ein reumütiges Geständnis und der strahlende Triumph der läuternden Liebe über die Besessenheit von einem Gemälde sorgen für einen ereignisreichen, versöhnlichen Abschluss des Romans.

Alexander Moritz Freys literarische Abrechnung mit seinen düsteren Salzburger Jahren erzwingt auch heute noch die Auseinandersetzung mit teils unangenehmen Wahrheiten, wenngleich sein Zeitbild im anschmiegsamen Tarnkostüm einer unterhaltsamen Handlung auftritt.

(kre; 02/2020)


Alexander Moritz Frey: "Hölle und Himmel"
Büchergilde Gutenberg, 1988. 483 Seiten.
Hans-Albert Walter: "'Der Meisterzeichner von Nachtstücken und Traumgesichten.'
Alexander Moritz Frey - wiederzuentdecken"

268 Seiten.
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