Jan Kossdorff: "Leben spielen"
Das
ewige Spiel
Schauspieler sind immer im Dienst, spielen immer eine Rolle, wissen
nicht, wer sie wirklich sind? So die durch Filme, Biografien und das
Auftreten diverser Akteure genährte, klischeehafte Vorstellung
von diesem Beruf in der Wahrnehmung der Nichtschauspieler. Jan
Kossdorff nimmt sich genau dieser Idee an und lässt seinen
Hauptprotagonisten Mischa,
fünfunddreißigjährig und
theatermüde, aus seiner geliebten Tätigkeit
aussteigen. Er kündigt alle Engagements, vergräbt die
Stücke im Geröll der Erinnerung, sucht sich einen
Arbeitsplatz, lernt kochen und kauft sich klugerweise einen Hund.
Mischa verdient sein Geld nun mit stinknormaler Büroarbeit als
Anzeigenverkäufer, und niemand in seinem Umfeld
weiß, dass er vor wenigen Monaten noch ein gefragter
Schauspieler war.
Mischa lernt die Blumenverkäuferin Valerie kennen. Die beiden
verlieben sich ineinander, und ihre junge Liebe übersteht
trotz einiger Verstimmung den Moment, als Valerie herausfindet, dass
Mischa früher Schauspieler war.
Der Tod von Mischas früherem Lehrer holt ihn wieder in seine
Vergangenheit zurück, sodass er bald mit seinem ehemaligen
Schauspielerfreund eine verrückte Idee entwickelt. Ein
Konzept, das anbietet, reichen Menschen die Möglichkeit zu
geben, gewisse Wunschträume wenigstens inszeniert zu spielen,
oder auch längst verlorene Vergangenheit zumindest im
schauspielerischen Sinn wieder aufleben zu lassen. Valerie ist
natürlich mit von der Partie.
Der erste Kunde ist ein reicher amerikanischer Jude, längst im
Exil lebend, der die vielleicht wichtigste Entscheidung seines Lebens
noch einmal an Originalschauplätzen in Wien nachstellen bzw.
nachspielen lassen will. Dass Valerie offenbar der verflossenen Liebe
des Alten frappierend ähnlich sieht, gibt der Sache einen ganz
besonderen Reiz.
"Sie war wild und verantwortungsvoll zugleich. Der
Spaß hat für sie dort begonnen, wo man Regeln nicht
so ernst nahm und Leuten ein bisserl auf der Nase herumtanzte, aber
gleichzeitig hat sie wohl gewusst, dass ihr Spaß auch nicht
das Wichtigste auf der Welt war. Als Kind wollte sie zum Zirkus gehen
oder Schriftstellerin werden, als dann der Krieg gekommen ist, hat sie
als Schneidergehilfin, als Billeteurin, später als Kellnerin
gearbeitet."
Ein anderer Kunde, Winzer mit Vermögen, möchte seinen
"James Bond"-Lebenstraum nachstellen, und so fliegt die Truppe nach
Thailand,
um an den berühmten Schauplätzen des Films "Der Mann
mit dem goldenen Colt" gewisse Szenen nachzuspielen.
Jan Kossdorff versucht meist glücklich, die feinen Grenzen
zwischen wirklichem Leben und dem, was wir uns gern als unser
alternatives, vielleicht besseres Leben vorstellen möchten,
verschwimmen zu lassen. Die feinen Eintrübungen der
Fantasiewelten, wo plötzlich die Jetztzeit mit aller Kraft
hereinbricht und die Dämme der Erinnerung brechen
lässt, sind ebenso gut gezeichnet, wie die Absurdität
der Vorstellung eines "James
Bond"-Traums, den wahrscheinlich nicht nur besagter Winzer,
sondern neben dem Rezensenten ziemlich sicher ein großer
Prozentsatz der meisten pubertierenden Männer gehabt hat. In
der Pubertät, wohlgemerkt.
"Sebastian deutete auf Tobias, der im Laufe der letzten zehn
Tage ein paar Mal in die Rolle des kleinwüchsigen
Ganoven-Butlers geschlüpft war und sich nun - tief in seinem
Korbsessel versunken - mit geschlossenen Augen tranceartig zur Musik
von Sade bewegte. Es war schwer, sich einen harmloseren Gegenspieler
vorzustellen."
Sprachlich ist der Roman ebenso harmlos, was die gute Lesbarkeit
allerdings sogar unterstützt. Die leichten Trübungen
regen zum Nachdenken über unsere eigenen Wünsche an,
der generelle Tenor dieses Romans ist aber eine permanente
Wohlfühlstimme, welche die Lektüre zu einem
äußerst angenehm unterhaltenden Erlebnis werden
lässt. Irgendwie auch schön, wenn man bereits in den
Anfängen von schwierigen Auseinandersetzungen mit ziemlicher
Sicherheit spürt, dass alles gut ausgehen wird.
Manche Beschreibungen sind zu sehr dem Film- und Theaterallgemeinwissen
entnommen, die Sonnenuntergänge á la
"Schnick-Schnack" werden wohl nur jenen Lesern wirklich vor Augen
stehen, welche die jeweiligen Originale kennen. Das vereinfacht die
Deutungsweise, ebenso wie so manche generelle Zustandsbeschreibungen,
die immer wieder zu viel sagen, dem Leser vielleicht ein wenig zu wenig
zutrauen.
"In Amerika muss man sehr genau aufpassen, was man in diesen
Tagen sagt. Leute - auch die jungen - legen viel Wert auf ihre
Komfort-Zone. Alles Mögliche kann sie ängstigen oder
kränken oder verletzen! Jetzt soll es Warnhinweise in
Büchern geben: Dieses Buch enthält Szenen, die Sie
erschrecken könnten. In diesem Buch gibt es Sex und Violence.
Kann man den Leuten Literatur nicht mehr zumuten?"
Doch, man kann. Natürlich. "Leben spielen" beweist allerdings,
dass man auch nicht muss. Der Roman ist erfrischend heitere
Unterhaltung innerhalb der angesprochenen Komfort-Zone. Nicht mehr.
Aber auch nicht weniger. Und das ist doch auch schon eine feine Sache!
(Roland Freisitzer; 04/2016)
Jan
Kossdorff: "Leben spielen"
Deuticke, 2016. 382 Seiten.
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Jan Kossdorff, geboren 1974, lebt in Wien und Altmünster. Er ist ausgebildeter Drehbuchautor und arbeitet als Journalist und Werbetexter. Bisher erschienen die Bücher: "Sunnyboys" (2009), "Spam! - ein Mailodram" (2010). Für "Kauft Leute" (2013) erhielt er die "Buchprämie der Stadt Wien" und den "Samiel Award" für den besten literarischen Schurken.