Alexander Grin: "Purpursegel"


Ein romantisches Märchen: armes Mädchen und reicher Jüngling im Bann der Liebe und des Schicksals

"So, zufällig, wie die Leute sagen, die lesen und schreiben können, hatten sich Grey und Assol am Morgen eines ganz und gar schicksalhaften Sommertags gefunden." (S. 101)

Eines Tages erwacht die junge Assol nach einem Schläfchen inmitten der Natur mit einem ihr gänzlich unbekannten Ring am kleinen Finger. Bis dahin ist in Alexander Grins Geschichte allerdings schon einiges geschehen: Das fantasiebegabte, lebenstüchtige Mädchen, dessen Mutter vor langer Zeit gestorben ist, lebt mit dem Vater Longren, einem ehemaligen Matrosen und nunmehrigen Spielzeugmacher, aufgrund einiger Vorfälle von der Dorfgemeinschaft verspottet und gemieden, mehr schlecht als recht in einem kleinen Haus am Meer in Kaperna.

Vor sieben Jahren hat ihr der Liedersammler Egl prophezeit, für sie werde ein Märchen wahr: "Eines Morgens werden auf dem Meereshorizont Purpursegel in der Sonne aufblitzen. Ein weißes Schiff unter riesigen leuchtenden Purpursegeln wird die Wellen durchschneiden und geradewegs auf dich zukommen. (...) Dann wirst du einen tapferen schönen Prinzen erblicken, stehend wird er dir beide Hände entgegenstrecken. (...) Er wird dich in sein Boot setzen und aufs Schiff bringen, und du wirst für immer in das funkelnde Band fahren ..." (S. 31)

Was Assol zu dieser Zeit natürlich noch nicht ahnt, ist, dass an einem weit entfernten Ort ein außergewöhnlicher, eigensinniger Knabe namens Arthur Grey in wohlhabenden Verhältnissen herangewachsen ist. Dieser Grey wird ihr weiteres Schicksal bestimmen.
Von der Natur mit großem Gerechtigkeitsempfinden, beachtlicher Intelligenz und Strebsamkeit sowie der Sehnsucht nach dem Meer ausgestattet, heuert der tüchtige Jüngling im Alter von fünfzehn Jahren auf einem Schoner an. Der dortige Kapitän erkennt nach einiger Zeit das enorme Potenzial des tapferen Burschen und vermittelt ihm das Wissen eines echten Seebären. Bereits nach fünf Jahren befehligt Grey sein eigenes Schiff, die "Secret".
Während eines Landgangs entdeckt er die im Gras schlafende Assol und verliebt sich auf der Stelle in das Mädchen. Er ist es, der Assol seinen wertvollen Ring ansteckt.
Im örtlichen Wirtshaus erkundigt sich Grey später nach dem Mädchen. So erfährt er von tragischen Ereignissen, ungerechtfertigten Verdächtigungen, ärmlichen Lebensumständen und nicht zuletzt von der Prophezeiung des Liedersammlers.

Grey ersteht unverzüglich zweitausend Meter purpurrote Seide, organisiert Segelmacher und lässt Musikanten auftreiben. Er will und kann es sich leisten, Assols und seinen Traum vom Glück wahr werden zu lassen, und seine treue Mannschaft steht zu ihm. Nachdem alle Arbeiten im Verborgenen geschehen sind, auf dem Weg, Assol abzuholen, erläutert Grey dem Matrosen Panten seine Motive in einem bewegenden Monolog, der über die Reichweite der eigentlichen Geschichte hinaus Allgemeingültigkeit besitzt.

In sieben Kapiteln erzählt Alexander Grin seine jugendfreie, erbauliche Liebesgeschichte, die auch von Außenseitertum, Armut und Reichtum, guten und bösen Menschen handelt.
Der Autor versetzt sich einfühlsam in das jeweilige Wesen seiner Protagonisten und verleiht jedem von ihnen einen besonderen Klang. Auch stimmungsvolle Naturschilderungen und einprägsame Dorfszenen tragen zum Zauber der Lektüre bei.

"Purpursegel" wurde übrigens anno 1961 unter der Regie von Alexander Ptuschko verfilmt (dt. Titel "Das purpurrote Segel").
Bei der im Jahr 2016 im Unionsverlag erschienenen Ausgabe im handlichen Kleinformat handelt es sich um die bereits fünfte Werkübersetzung ins Deutsche (die Übersetzungen sind unter verschiedenen Titeln erschienen), konkret um die Neuauflage der schon im Jahr 2001 veröffentlichten Fassung, auch mit unverändertem Nachwort.

Alexander Grin, eigentlich Alexander Stepanowitsch Grinewski (1880-1932), bezeichnete dieses Werk als "Feerie". Wie so viele andere Märchen, bietet auch "Purpursegel" Interpretationsspielräume und ermöglicht unterschiedliche Lesarten: Ob man nun die Liebesgeschichte in den Mittelpunkt rückt, oder eher den realistischen Schilderungen der Lebensumstände Interesse entgegenbringt - das stimmungsvolle Märchen vom unbeirrbaren Festhalten an der Hoffnung, vom Glauben an Wunder und an das selbstgemachte Glück lässt wohl keinen Leser unbeeindruckt.

(Irmgard Ernst; 03/2016)


Alexander Grin: "Purpursegel"
(Originaltitel "Alye parusa")
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Leonhard Kossuth.
Aus dem Russischen von Charlotte Kossuth.
Unionsverlag, 2016. 149 Seiten.
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Alexander Grin, geboren 1880 als Alexander Stepanowitsch Grinewski in Wjatka, Russland, konnte seinen großen Traum - zur See zu fahren - nie realisieren. Stattdessen wurde er Wolgamatrose, Goldwäscher, Hafenarbeiter, Badewärter, Amtsschreiber, Torfstecher, Gelegenheitsarbeiter und von Maxim Gorki geförderter Schriftsteller. Politische Verfolgung und Verbannung trieben ihn kreuz und quer durch Russland. Alexander Grin starb 1932 in Stary Krim.