Andrej Kurkow: "Der wahrhaftige Volkskontrolleur"


Ein abgesprungener Engel begleitet eine Reihe von Russen, Bauern, Rotarmisten und andere in eine neue Art von Gelobtem Land. Er ist auf die Erde gekommen, weil er nicht verstehen konnte, dass in einem so großen Land wie Russland niemand in den Himmel kommt, obwohl es dort doch auch für den Himmel qualifizierte Menschen geben müsste. Als er mit der immer größer werdenden Gruppe durch die Gegend zieht, sieht er vieles, das ihm lobenswert erscheint, und die Frage, weswegen die Russen nicht in den Himmel kommen, beschäftigt ihn zunehmend; auch als diese Menschen beginnen, sich in ihrem "Gelobten Land" selbst einen Himmel auf Erden zu schaffen.

Ein sehr ehrlicher Mann, ob seiner Ehrlichkeit von seinen Nachbarn mit großem Misstrauen betrachtet, wird mit dem machtvollen Amt des Volkskontrolleurs versehen und nach und nach unmerklich von den Menschen, denen er bei seiner Arbeit begegnet, korrumpiert, ohne, dass er es selbst merkt, und er steigt so immer weiter auf und erhält immer mehr Befugnisse. Dabei versucht er, sich sowohl als guter Kommunist als auch als guter Mensch zu zeigen; ein Versuch, der ob seiner Unerfahrenheit in politischen Dingen ständig zum Scheitern verurteilt scheint.

Ein Schulleiter muss überaus seltsame Direktiven erfüllen, zentralisiert thematisierte Aufsätze für Schülerinnen und Schüler, die die Lehrerschaft nicht lesen soll, ebensolche Aufsätze von der Lehrerschaft selbst, die auch zentral gelesen werden sollen und eine große Blutspendeaktion, und sucht gleichzeitig einen Ausgleich zu seiner kriegerischen Vergangenheit und die Liebe. Dabei zeigt er großes Interesse an der Mutter eines Schülers, die er als die Ehefrau eines ehemaligen Kriegskameraden identifizieren kann.

Und ein anderer Mann zieht mit einem Gedichte aufsagenden Papagei durch die Gegend, bis er einem überaus unerwarteten Menschen zum Geburtstag aufspielt und so zu einem der wichtigsten Geheimnisträger Russlands wird.

Das ist in vielerlei Hinsicht zunächst amüsant und rührend, aber je länger die einzelnen Geschichten fortschreiten, desto mehr dümpeln sie vor sich hin, und am Ende werden sie auch alle nicht wirklich beendet oder auch nur zufriedenstellend miteinander verknüpft; als wollte der Autor der Leserschaft diese Arbeit überlassen oder als ob er irgendwie auch nicht weiter wusste. Irgendwie enttäuschend, wenn es am Anfang auch sehr interessant war.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 03/2013)


Andrej Kurkow: "Der wahrhaftige Volkskontrolleur"
Aus dem Russischen von Kerstin Monschein.
Haymon, 2013. 430 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen

Noch ein Buchtipp:

Maria Matios: "Darina, die Süße"

Mit einem Nachwort von Andrej Kurkow.
Ein kleines Dorf im Grenzland der Bukowina: Dort lebt Darina, scheinbar stumm und nicht ganz bei Verstand, allein im Bauernhaus ihrer Eltern. Einzig Zwytschok, dessen Herkunft niemand kennt, kümmert sich liebevoll um die Außenseiterin. Doch wie alle Anderen im Dorf weiß auch er nicht, welche dramatische Geschichte sich in Darinas Vergangenheit verbirgt - eine Geschichte, die tief in die Kriegs- und Nachkriegswirren Osteuropas führt.
Mit unverfälschter Hingabe führt Maria Matios, eine der prominentesten Autorinnen der Ukraine, in die faszinierende Welt der Bukowina. "Darina, die Süße", ihr erstes Buch in deutscher Übersetzung, zeigt die archaische Gewalt von Matios' Sprache, die in der Gegenwartsliteratur ihresgleichen sucht. Andrej Kurkow gibt in seinem Nachwort Geleit zu Maria Matios' außergewöhnlichem Werk. (Haymon)
Buch bei amazon.de bestellen