Wolfram Fleischhauer: "Das Buch, in dem die Welt verschwand"


Merkwürdige Todesfälle und eine Verschwörung

Es ist das Jahr 1780, und Deutschland ist immer noch in lauter kleine Herrschaftsbereiche aufgeteilt, die Bürgern und Händlern allerlei Probleme bereiten und auch die Verbreitung von Ideen ein wenig schwierig machen. So hat sich der junge Arzt Nicolai Röschlaub in seiner Heimatstadt durch die neumodischen Ideen zu so genannten Miasma-Tierchen bei den ansässigen Ärzten und beim Landesherrn unmöglich gemacht und musste zum Schutz des väterlichen Betriebes die Gegend verlassen.

An seinem neuen Amtssitz arbeitet er nun einem älteren Arzt fleißig zu und ist in seinem Forscherehrgeiz arg frustriert, bis er eines Abends von einer Magd zum Sitz eines ortsnahen Adligen gerufen wird, der sich nach starken Krankheitszeichen schon seit einigen Tagen in seiner Bibliothek eingeschlossen hat. Zusammen mit dem gleichfalls herbeigerufenen Apotheker gelingt es ihm, das hochherrschaftliche Verbot, die Bibliothek zu betreten, zu umgehen, und so findet er eine überaus verstörende Leiche in einem sehr ungewöhnlichen Raum vor.

Wenig später trifft er noch einen kaiserlich bestallten Beamten, der die Ermittlungen zu diesem Todesfall übernimmt und zu diesem Zweck Nicolai in seine Dienste nimmt. Und so wird der junge Arzt mit den "neumodischen" Ideen gerade wegen dieser Idee sozusagen zum ersten kriminaltechnischen Ermittler und sieht sich bald allerlei verstörender Dinge gegenüber. Die deutschen Länder - und Europa - scheinen von seltsamen und zum Teil sehr gefährlichen Geheimgesellschaften durchzogen zu sein, die einer ständigen Überwachung bedürfen, um großen Schaden von der Bevölkerung und vor allen Dingen vom Staat und der gottgegebenen Ordnung abzuwenden. Eine Aufgabe, der sich der idealistische junge Mann zunächst verschreibt, bevor ihn eine Zeugin eines weiteren Todesfalles auf ganz neue und recht verstörende Gedanken bringt. In der Folge zieht er auf eigene Faust durch die deutschen Lande - auf der Suche nach einer gefährlichen Idee, oder einer tödlichen, alles vernichtenden Krankheit.

Ausgehend vom "Stürmen und Drängen" durchläuft Nicolai die gedanklichen Bewegungen seiner Zeit - und auch ihre jeweiligen Oppositionen - und zeigt damit dem Leser zunächst, wie früher gedacht wurde und wie schwierig es für manche Gedanken, die uns heute selbstverständlich erscheinen, war, in der Zeit ihres ersten Auftretens Fuß zu fassen.

Gegen Ende, wenn die Geschichte ihrer Auflösung entgegen eilt, tut sie dies eher zurückhaltend und ist dabei weniger spannend, als es zuvor eingeführt wurde, weswegen das Buch rein narrativ nicht ganz befriedigen kann. Hinsichtlich des Inhalts und der Konzepte ist "Das Buch, in dem die Welt verschwand" jedoch auf jeden Fall eine lohnende Anschaffung, weil es uns einige wichtige Dinge zur Geschichte des Denkens in Europa sehr plastisch verdeutlicht.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 05/2009)


Wolfram Fleischhauer: "Das Buch, in dem die Welt verschwand"
Droemer, 2007. 493 Seiten.
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