Hrsg. Walter Müller-Seidel und Wolfgang Riedel: "Die Weimarer Klassik und ihre Geheimbünde"


Das Buch versammelt Aufsätze, die zwischen September 1998 und Mai 1999 vor der Münchner Goethe-Gesellschaft gehalten wurden. Als verbindender Faden, der sich durch die einzelnen Beiträge zieht, dient dabei ein bestimmter Geheimbund, der Illuminatenorden. Über diesen sind im Zuge des Zusammenbruchs von Sowjetunion und DDR alte Details wiederaufgetaucht, welche unter anderem in diesem Buch verarbeitet werden und welche ein interessantes Licht auf die Rolle der sogenannten Klassiker in der vorrevolutionären Zeit, auf ihre Einstellung zur politischen Macht werfen. Geheimgesellschaften (in erster Linie alle möglichen Freimaurerlogen) gab es in dem Jahrzehnt vor der Revolution wie Sand am Meer, meist standen sie im Zeichen von Fortschritt und Aufklärung, denen sie durch konsequente Verbreitung des Wissens, durch schrittweises Durchdringen von Politik und Bildung mit ihren Mitgliedern, zum Sieg verhelfen wollten.

Der Illuminatenorden wurde 1776 vom Professor für Kirchenrecht an der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt, Adam Weishaupt, gegründet und zeichnete sich gegenüber der Freimaurerei, aus deren Umfeld er im übrigen seine Mitglieder rekrutierte, durch eine extrem hierarchische Strukturierung, komplizierte Geheimhaltungstechniken und einen strikten Gehorsam gegenüber den jeweiligen Vorgesetzten aus, lauter Dinge, die eher wenig mit des Menschen Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu tun hatten, die vielmehr direkt (wie überhaupt Weishaupts Ausbildung) von der bösen Erzfeindin aller Aufklärung, der Gesellschaft Jesu, stammten. Weitere den Orden prägende Elemente, die Weishaupt einbrachte, waren eine größere (republikanische) Radikalität in der politischen Zielsetzung und filosofisch ein strenger Materialismus französischer Prägung. Dieser weltanschaulichen Komponente waren sich allerdings die allerwenigsten Illuminaten bewusst, denn eine weitere Idee des Ordensgründers war es, erst nach und nach, dem Bewusstseinszustand des Adepten entsprechend, die Schleier und Vorurteile vor dessen Augen wegzuziehen, am Anfang sollte man ihm gegenüber hingegen bedenkenlos, auch wider besseres Wissen gute alte Begriffe wie Gott, Seele und dergleichen mehr verwenden. Weishaupt berichtet von einem eigenen Erleuchtungerlebnis, das ihn auf diesen Weg geführt und schließlich auch für den Namen der Bewegung, welcher zuallererst "Perfektibilisten" lautete, gesorgt habe; ein mindestens ebenso wichtiger Antrieb bei der Ordensleitung wie sein Kampf gegen die Dunkelheit dürfte aber der eines Berufspolitikers, eines Machtmenschen mit Hang zu konspirativen Praktiken gewesen sein. Größeren Erfolg begann Weishaupt in dem Moment zu haben, als er den Freiherrn Adolph von Knigge, den Schöpfer des Erfolgsschlagers "Über den Umgang mit Menschen" (ein Buch, das weniger eine Sammlung von "Benimm-dich-Regeln", als moderne Pädagogik und Alltagspsychologie zum Inhalt hat) als seinen Vize und Gesandten in norddeutschere Gefilde schickte, wo Knigge seinem späteren Buch alle Ehre machte, indem er in kurzer Zeit viele bedeutende Persönlichkeiten für den Illuminatenorden anwerben konnte. Während jedoch der Orden in Mittel- und Norddeutschland gerade dabei war, sich auszubreiten, erfolgte 1785 im Ursprungsland Bayern schon sein abruptes Ende. Außenpolitische Machenschaften des Ordens wurden von der bayerischen Regierung aufgedeckt, die Illuminaten verboten und Weishaupt musste, nachdem seine Unterwäsche öffentlich gewaschen worden war, das Land in Schimpf und Schande verlassen. Mit diesem Ereignis, dem (nicht zuletzt durch Schuld des Ordensgründers selbst) interne Streitigkeiten vorangegangen waren, war der Höhepunkt des Ordens bereits früh überschritten. Er lebte außerhalb Bayerns zwar noch teilweise bis in die späten Neunziger Jahre hin fort; doch da man nicht behaupten kann, dass unter den deutschen Jakobinern überdurchschnittlich viele ehemalige Illuminaten am Werk waren, geht man davon aus, dass er in der Zeit kaum mehr eine Rolle spielte.

Die Verflechtungen prominenter Illuminaten mit der Politik ihrer Zeit (der Salzburger Erzbischof Graf Colloredo und die späteren Minister Laudon und Cobenzl wären österreichischerseits zu nennen) kommen in den Beiträgen der Autoren immer wieder, als Haupt- oder Nebenthema, zur Sprache. Da sich dabei im heutigen Wissensstand noch immer viele Lücken auftun und Geheimgesellschaften ob ihres ungemein geheimen Charakters ohnehin zu allen Zeiten als ideale Projektionsfläche und Fantasieanheizer gedient haben, wundert es nicht, dass auch der aus heutiger Sicht berühmteste Illuminat, Herr J. W. v. Goethe, nicht von Spekulationen und Verdächtigungen heutiger Möchtegern-Aufdecker verschont bleibt. Nun, eine gewisse Rolle dürften er und sein Fürst allerdings wirklich in der Entwicklung, oder vielmehr Nichtentwicklung des Ordens gespielt haben. Als Adam Weishaupt nämlich gerade aus Bayern geflüchtet in Weimar oder Jena eine neue Karriere beginnen wollte und sich zu diesem Zweck um einen Lehrstuhl der Filosofie bewarb, wurde ihm negativer Bescheid zuteil, und das, obwohl er in der Gegend viele einflussreiche Freunde und Ordensbrüder, nicht zuletzt den Weimarer Fürsten Carl August höchstselbst nebst seinem dichtenden Geheimrat hatte. Ob Goethe nun die Anstellung bewusst hintertrieb oder die filosofischen Schriften Weishaupts nicht gefielen, ob die Rosenkreuzer erfolgreich intrigierten oder es letztlich doch wieder die Jesuiten waren, ein seltsames Licht wirft es schon auf die Weimar-Mafia, dass sie dem obersten Illuminaten kein ehrenvolles Amt schaffen wollte, sodass ein us-amerikanischer Germanist, Mr. W. Daniel Wilson, sich sogar zu der publicitywirksamen Unverschämtheit verstieg, Goethe zu unterstellen, er wäre alleine zu Spionagezwecken (nach dem Motto: zum Schauen geboren, zum Spitzeln bestellt ...) den Illuminaten beigetreten. Während es besonders unter den höheren Aristokraten natürlich viele gab, die dem Orden nicht zuletzt deshalb beitraten, damit sie im schlimmsten Fall, bei einer republikanischen Revolution, gedeckt, bei Ausbleiben einer solchen weiterhin privilegiert wären, dürfte hingegen, so der Grundtenor der Beiträge, Goethes Einstellung zu den diversen Geheimbünden der Zeit (Freimaurer war er auch) am ehesten eine Mischung aus Neugier bzw. Angst, etwas Interessantes zu versäumen, und dem Wunsch, durch Arbeit in einer Gemeinschaft ein Gegengewicht zu seinem mächtigen Ego zu bilden, gewesen sein.

Als Beweis dafür, dass es Goethe doch eher weniger ums Bespitzeln und Intrigieren gegangen sein dürfte, dient denn, dass sich seine Beschäftigung mit Geheimgesellschaften durchaus auch öffentlich, an zahlreichen Stellen in seinem literarischen Werk niedergeschlagen hat. Eine ihn besonders interessierende Möglichkeit geheimgesellschaftlicher Tätigkeit, die zugleich große Ähnlichkeit mit illuminatorischen Konzepten aufweist, findet sich in seinem Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre", ja schon das Konzept des Bildungs- und Entwicklungsromans gehört zur Gedankenwelt der Illuminaten. Die in ähnlicher Form auch im Umfeld der Illuminaten anzutreffende pädagogosche Grundidee des Romans ist die, dass der Reifungsprozess des Helden von weisen Ordensmitgliedern verfolgt wird, die hin und wieder auch - sei es als Fremde oder gute Freunde - in sein Leben eingreifen, es unmerklich in die gemäße Richtung lenken. Während es bei Weishaupts Entwürfen (vielleicht noch nicht bei den Entwürfen, dafür aber dann in der praktischen Anwendung) allerdings oft um bloßes Überwachen und Manipulieren gegangen sein dürfte, handelt es sich bei Goethe hingegen mitnichten um die Kontrolle über Menschen oder ihre demagogische Steuerung, sondern um ein subtiles Wechselspiel aus behutsamer Lenkung und Erfahrbarmachen von Freiheit, in dem auch - nicht nur an diesem Punkt klingt bereits Faustisches an - dem Irrtum eine wichtige Entwicklungsrolle zukommt. Eine weitere Idee des Romans, auf die Weishaupt realiter großen Wert legte, ist das systematische Verfassen von Lebensläufen, zu dem er sowohl die Adepten als auch die diese beaufsichtigenden direkten Vorgesetzten anhielt und so über Stärken, Schwächen und Entwicklungsfase jeder Person innerhalb des Ordens genau Bescheid wusste. Bei Goethe steht dahinter die Überzeugung, das klare, offene Wort könne bewirken, dass wir im biografischen Spiegel des anderen unser eigenes Selbst und im Vergleich mehrerer solcher Lebensläufe Grundmuster des auf die verschiedenen Charaktere einwirkenden Schicksals zu erblicken vermögen.

Auch Friedrich Schiller interessierte sich lebhaft für Geheimbundwesen, ohne dass er selbst Freimaurer oder Illuminat (deren Keilungsversuche er des öfteren abzuwehren hatte) gewesen wäre. Während allerdings Goethe trotz (oder wegen) seiner tatsächlichen Mitgliedschaft einen stark utopischen Ansatz verfolgte, stand bei ihm Kritik im Vordergrund. Als einer der ersten beschäftigte sich Schiller eingehend mit jenem Problem, das als Dialektik der Aufklärung bekannt wurde und in etwa besagt, dass die als Befreiung und Wahrheitsdurchbruch gedachten Ideen der Aufklärung ihrerseits die Tendenz hätten, mit zunehmender Machtentfaltung in Dogmatismus und letztlich Despotismus umzuschlagen, was die Französische Revolution (und andere nach ihr) dann auch eindrucksvoll bestätigte. Zwei Jahre davor, im Jahre 1787 gelangte Schillers Drama "Don Carlos" zur Uraufführung, welches besagte Problematik zu verarbeiten sucht. Das Stück handelt außerdem vom Versuch einer radikalen politischen Erneuerung im Absolutismus Philipps 2. von Spanien, von einer idealistischen Männerfreundschaft und ödipalen Gefühlen, bringt eine der gelungensten Szenen von Peinlichkeit und mit der Figur des Marquis Posa einen der seltsamsten, vieldeutigsten Revolutionäre auf die Bühne und endet in einem scheinbar vollkommenen Triumph der Heiligen Inquisition. Nur auf ein Motiv daraus sei hier eingegangen, welches eine offensichtliche Beziehung zu den Illuminaten beinhaltet: das Streben nach abstrakten Idealen mit menschlicher, persönlicher Liebe zu verbinden und derart zu erden, eine Idee, die Schiller in seiner Schulzeit von Jacob Friedrich Abel, seinem Lieblingslehrer und späterem Chef der illuminierten Schwaben, vorgelebt worden war. Wird dieser Aspekt in dem Stück durch allerhand Intrigen immer verwirrter, um sich schließlich in die Zukunft auf und davon zu machen, ist die Warnung vor Einseitigkeit umso genauer ausgeführt; davor, in der Liebe zu einer einzelnen Person das Wohl der Allgemeinheit zu vergessen, und erst recht vor der Alleinherrschaft lebloser Prinzipien. Anscheinend war "Don Carlos" mit seiner Themenvielfalt, seiner komplexen Dramaturgie und seinen charismatischen Personen für seine Zeitgenossen so missverständlich, dass Schiller, unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse im Nachbarland, zur versuchten Klarstellung seine "Briefe über Don Carlos" folgen ließ, in denen der Autor nicht zuletzt vor allzu positiver Deutung seiner Helden warnt.

Ob es um Schillersche Mehrdeutigkeiten, Goethes geheime Gedanken, die Illuminaten oder die Zeit an sich geht, die Beiträge liefern eine Vielzahl von germanistischen und historischen Fakten, die den Themenkreis von verschiedenen Seiten und auf eine Art, die zu eigenen Überlegungen anregt, beleuchten.

 (stro; 06/03)


Hrsg. Walter Müller-Seidel und Wolfgang Riedel: 
"Die Weimarer Klassik und ihre Geheimbünde"
Königshausen & Neumann, 2003. 205 Seiten. 
ISBN 3-8260-2528-8.
ca. EUR 24,-.
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Die einzelnen Artikel des Buches:
Walter Müller-Seidel: Vorwort
Martin Mulsow: Steige also, wenn du kannst, höher und höher zu uns herauf. Adam Weishaupt als Philosoph
Theo Stammen: Adolph Freiherr von Knigge und die Illuminatenbewegung
Eberhard Weis: Der Illuminatenorden in Bayern (1776-1785) und die Frage seiner Fortwirkung in der späteren Zeit
Wolfgang Riedel: Aufklärung und Macht. Schiller, Abel und die Illuminaten
Dieter Borchmeyer: "Marquis Posa ist große Mode". Schillers Tragödie "Don Carlos" und die Dialektik der Gesinnungsethik
Hartmut Reinhardt: Geheime Wege der Aufklärung. Goethe, der Illuminatenorden und das Epos-Fragment "Die Geheimnisse"
Hans-Jürgen Schings: "Wilhelm Meister" und das Erbe der Illuminaten

Weiterführende Lektüre:

Johann Wolfgang von Goethe: "Wilhelm Meisters Lehrjahre"
Insel TB; 641 Seiten
ca. EUR 12,50. Buch bestellen

Friedrich Schiller: "Don Carlos. Infant von Spanien"
dtv 1998; 442 Seiten
ca. EUR 8,18. Buch bestellen

Adolph Freiherr von Knigge: "Über den Umgang mit Menschen"
Insel 2001; 453 Seiten
ca. EUR 10,00. Buch bestellen

Hans-Jürgen Schings: "Die Brüder des Marquis Posa. Schiller und der Geheimbund der Illuminaten"
Niemeyer Verlag, Tübingen
ca. EUR 30,68. Buch bestellen

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