Vlado Žabot: "Wolfsnächte"


Winter, Wölfe und Weiber

"Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
(...)" (Aus "Im Winter. Ein Winterabend." von Georg Trakl)

Der Organist und Messdiener Rafael Meden sitzt, wie so oft, seit er in die Pfarre des Dorfes Vrbje entsandt worden ist, um den Einzug eines neuen Pfarrers vorzubereiten, in seiner Stube und tröstet sich mit reichlich Schnaps über seinen Verdruss und seine Einsamkeit hinweg. Es ist ein bitter kalter Abend, und es schneit. Der letzte Pfarrer ist unter ungeklärten Umständen verschwunden, die Dorfbewohner bilden eine verschworene Gemeinschaft, und seit seiner Ankunft ist Rafael ein mehr schlecht als recht geduldeter Außenseiter. Die verwahrloste Kirche mit der verluderten Orgel und das verfallende Pfarrhaus des Hl. Urban liegen verlassen auf einem Hügel, der Zugang ist nur auf einem unwegsamen Pfad möglich. Über zu viel Gesellschaft kann sich Rafael also nicht beklagen, bis - ja, bis er an jenem bewussten Abend draußen ein Scharren und Schritte vernimmt. Er wagt sich in der unheimlichen Finsternis vor die Tür und trifft auf den ihm wohlbekannten Professor Aazar Michnik, seines Zeichens Musiktheoretiker und Pädagoge an jenem Konservatorium, von welchem Rafael einst so gedemütigt Abschied nehmen musste. Michnik sagt, er sei gekommen, in Vrbje einen Kirchenchor zu gründen. Der Professor ist jedoch nicht allein, und Rafael findet sein Betragen überaus seltsam: Ein geheimnisvolles Mädchen, angeblich des Professors Schülerin und eine außergewöhnliche Begabung mit absolutem Gehör, perfekter Technik - ein Wunder geradezu - lauert im Halbdunkel, bei den verfluchten Kirchenglocken ...

Die junge Frau, Jemima, und Professor Michnik quartieren sich also kurzerhand im Pfarrhaus ein und nehmen es regelrecht in Besitz, indem sie beispielsweise nicht eben fromme Gemälde, die Satyrn, splitternackte Faune, ebensolche Weiber und Pan zeigen, aufhängen. Das Unheil nimmt seinen Lauf: Sei es nun, dass Rafael im örtlichen Gasthaus, Agas Spelunke, auf düstere Gestalten trifft, die ihn vor dem "Vrb" (Weidengeist) und "Vrbanium", das Weiber zu unersättlichen Verführerinnen mache, sodass sie ihre Männer vergifteten, warnen; sei es, dass die Frauen im Dorf vorerst merkwürdige Namensgleichheiten, später jedoch verstörende Übereinstimmungen im Aussehen aufweisen und ihre sexuellen Spielchen mit ihm treiben. Rafael verstrickt sich immer tiefer in einem mysteriösen Geflecht, nachdem ihm Jemima eine Nachricht zugesteckt hat: der Professor wolle ihn umbringen.

Inzwischen werden die Weiber von Vrbje tatsächlich zusehends lüsterner, und Rafael stolpert von der willigen Schülerin Jemima zur ebenfalls nicht gerade schüchternen Kellnerin Puža, die ihn ebenfalls warnt: "Hier lebte angeblich früher einmal eine Hexe (...) auch sie hatte diesen Namen (Jemima; Anm.), ... das Weidenblatt ist ihr Zeichen", in die Arme der Ehefrau eines anscheinend Sterbenskranken. Rafael tut das dörfliche Gerede anfangs als Aberglauben ab, und als er die Bösartigkeit hinter den Masken zu erkennen beginnt, ist es bereits zu spät. Alles in allem scheinen die Frauen von Vrbje im Bund mit einer unheilvollen Macht. Eine seltsame Erkrankung befällt Rafael Meden, er sieht sich in der "Nacht der weißen Wölfin" einem Mordversuch mittels vermeintlichen Giftes ausgesetzt und wird noch mehr zum Außenseiter, denn etwas Eigenartiges geht in Vrbje vor: Die Dorfbewohner schleichen hinauf zur Kirche, vorgeblich, um sich im Chorgesang zu üben, doch es erklingen nur unheimliche Töne, und bisweilen bleibt es überhaupt still. Wiederholt überlegt Rafael, den Bischof von diesem Treiben in Kenntnis zu setzen, aber es kommt nie dazu. In der Kirche spielen sich seltsame Dinge ab, ein weißes Wolfsfell verschwindet auf unerklärliche Weise aus dem Pfarrhaus, ein Nikolaus-Umzug entwickelt sich zum lebensgefährlichen Spuk zwischen weißen Weiden, und die zunehmend feindselige Umgebung treibt ihr böses Spiel mit dem unglückseligen Messdiener und Organisten.

Alles nur Hirngespinste, dem Verfolgungswahn eines schnapstrinkenden Sexbesessenen zuzuschreiben? Wer weiß ...

"Wolfsnächte" ist der vierte Roman des 1958 in Slowenien geborenen Vlado Žabot. Seine bildhafte Sprache fängt das im Dorf heraufdämmernde Unheil vollkommen ein, die Charaktere bewahren ihr Mysterium, und die Handlung steuert, indem sie zunehmend verdichtet wird, auf den Endpunkt zu.
Ein wirklich spannender Roman rund um eine verwunschene Dorfkirche!

(K. Eckberg)


Vlado Žabot: "Wolfsnächte"
Übersetzt von Erwin Köstler.
Drava Verlag, 2000. 263 Seiten.
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